Frankreich: Sarkozy vs. Villepin:Duell der Sonnenkönige

Im "Prozess des Jahrzehnts" rund um die Clearstream-Affäre trifft Frankreichs Präsident Sarkozy auf seinen ewigen Rivalen Villepin, den Ex-Premier - es könnte ihre letzte Machtprobe sein.

Stefan Ulrich, Paris

Vor vier Jahren schrieb ein französisches Autorenduo über das Gerangel zwischen dem damaligen Premierminister Dominique de Villepin und dessen Innenminister Nicolas Sarkozy: "Die Messer sind gezückt. Aber wir haben noch nichts erlebt. Das Schlimmste kommt noch. An den Wänden werden wir Blut sehen."

Heute fließt zwar kein Blut an den Holzvertäfelungen des Pariser Gerichtssaales herunter, in dem 1793 Königin Marie-Antoinette zum Tod durch die Guillotine verurteilt wurde. Aber keiner zweifelt daran, dass das Ringen Villepins und Sarkozys seinen Höhepunkt erreicht. Es geht um die politische Zukunft zweier Alphatiere, die sich bewundern, fürchten und hassen. Es geht um die Konfrontation des alten gegen ein neues Frankreich. Anwesend vor dem Tribunal de Grande Instance ist in diesen Wochen nur Villepin.

Der 1,92 Meter lange, lässig-elegante Großbürger hat einen quälenden Abstieg hinter sich. Vom Premier und Präsidentschafts-Anwärter ist er zum Angeklagten in einem Verleumdungsprozess geworden, der ihm fünf Jahre Gefängnis einbringen könnte. Sarkozy dagegen, der etwa 1,65 Meter kurze, quirlig-draufgängerische Parvenü, ist vom Innenminister zum Präsidenten aufgestiegen. Und das möchte er bleiben.

Wie es aussieht, könnte ihm allenfalls Parteifreund Villepin gefährlich werden - die linke Opposition ist viel zu uninspiriert und zerstritten. Daher tritt Sarkozy, vertreten durch einen Anwalt, nun als Nebenkläger auf, um seinen Gesinnungsgenossen und Rivalen ein für allemal zu erledigen. Wird Villepin wegen Verleumdung verurteilt, markiert das sein politisches Ende. Sprechen ihn die Richter dagegen frei, könnte das den Anfang vom Niedergang Sarkozys bedeuten.

Der Clearstream-Fall ist einer dieser Skandale, wie sie die Fünfte Republik immer wieder zum Beben brachten. Wieder geht es um ein Gebräu aus Wirtschaftsinteressen, politischer Macht und Geheimdienst-Intrigen. So dürfte sich Untersuchungsrichter Renaud Van Ruymbeke kaum gewundert haben, als ihm im Sommer 2004 brisante Dokumente zugespielt wurden. Danach unterhielten französische Politiker und Wirtschaftsbosse geheime Konten bei dem Luxemburger Finanzinstitut Clearstream, um Millionen-Provisionen aus dem Verkauf französischer Fregatten an Taiwan zu waschen.

Der Prozess des Jahrzehnts

Auf den Kontenlisten erschien auch der Name eines Mannes, der sich locker zutraute, den damaligen Präsidenten Jacques Chirac zu beerben - Nicolas Sarkozy. Als die Presse von Juli 2004 an von der Affäre berichtete, frohlockte Villepin, der sich ebenfalls zum Präsidenten berufen fühlte: "Das war's! Nun haben wir ihn!" Doch die Listen erwiesen sich als Fälschung. Sarkozy drehte den Spieß um. Er beschuldigte Villepin, Urheber oder zumindest Profiteur dieser Verleumdung zu sein. "Irgendwann erwische ich den Dreckskerl, der die Affäre angezettelt hat", tobte Sarkozy: "Der endet am Fleischerhaken." Er ließ nicht locker, bis sein Parteifeind vor Gericht stand.

Villepin sprach zu Prozessauftakt vor zwei Wochen düster: "Ich stehe hier wegen der Verbissenheit eines Mannes, Nicolas Sarkozy." Der Präsident wolle ihn vernichten. "Mein Kampf ist der Kampf aller, die Opfer von Machtmissbrauch wurden." Tatsächlich machte der Präsident den Fehler, Villepin im Fernsehen als "Schuldigen" vorzuverurteilen.

Man ahnt es: Der Clearstream-Fall, dieser "Prozess des Jahrzehnts", ist für sich genommen gar nicht so wichtig. Doch er eröffnet die Bühne für den Endkampf zweier hochbegabter, intelligenter, machtbewusster und selbstvernarrter Politiker, wegen derer man Frankreich beneiden könnte, würden sie an einem Strang ziehen. Seit 15 Jahren aber belauern, umschleichen und beharken sich Villepin und Sarkozy. Ihnen wurde früh klar, dass für beide nicht Platz ist an der Sonne der französischen Politik. "Sie werden mich immer auf Ihrem Weg finden", drohte Sarkozy. Villepin revanchierte sich, indem er Sarkozy als "Kläffer" und "Gartenzwerg" abtat.

Aufbruch gegen Tradition

Dabei wuchsen die fast gleichaltrigen Matadore als Polit-Söhne des Gaullisten Chirac heran. 1994 kamen sie sich erstmals in die Quere. Villepin, seinerzeit Stabschef im Außenministerium, verdächtigte Sarkozy, damals Budgetminister, dieser hetze die Steuerfahndung gegen seinen Vater Xavier de Villepin auf. Bald darauf wechselte der 1953 geborene Villepin ins Team des Pariser Bürgermeisters Chirac. Er wurde zum Strippenzieher im Präsidentschaftswahlkampf 1995, als Chirac gegen den gaullistischen Kollegen Édouard Balladur antrat. Auch auf der anderen Seite wirkte ein umtriebiger Mann: Sarkozy. Er hatte das Pech, auf den Verlierer Balladur zu setzen, was ihm ewiges Misstrauen Chiracs eintrug.

Villepin und Sarkozy lernten sich in diesem Wahlkampf kennen und fürchten. Villepin bewunderte den Mut, die Offenheit und Angriffslust des Kontrahenten. "Er bringt es fertig, lustig, ergreifend, verschmitzt und äußerst direkt zugleich zu sein", urteilte er. Sarkozy lobte den Widersacher: "Ihn nervt das Alltägliche, ihn deprimiert das Mittelmäßige. Es gibt nichts Kleinliches an diesem Krieger." Beide ahnten, dass ihnen ihr medienwirksamer Zweikampf nützt.

Weil sie so unterschiedlich emporgekommen waren, sollten sie sich lange unterschätzen. Sarkozy sah in Villepin ein verwöhntes Söhnchen aus altem Großbürgertum. Im damaligen Protektorat Marokko geboren und in Amerika aufgewachsen, lernte Villepin sein Heimatland zunächst über die Literatur lieben. Später studierte er an Eliteschulen wie der Kaderschmiede Ena. Er bewährte sich als Diplomat, ehe er von Chirac zum Außen-, Innen- und Premierminister befördert wurde. Bis heute musste sich Villepin keiner Wahl durch die Bürger stellen, was etwas aussagt über die französische Demokratie. Natürlich stochert Sarkozy gern in dieser Schwachstelle: Villepin sei eher Günstling als Politiker und daher nicht satisfaktionsfähig.

Der smarte Villepin verhehlte nie, dass er Sarkozy für einen Emporkömmling hält, der weder Bildung noch Reife besitzt, Frankreich zu führen. Als Immigrantensohn - sein Vater stammte aus Ungarn - steht Sarkozy für ein neues, pragmatisches Frankreich, das kaum von seiner Geschichte getragen und gedrückt wird. Obwohl er es nicht an eine Eliteschule schaffte und nur an der Universität Nanterre Jura studierte, setzte sich Sarkozy durch. Mit 28 Jahren wurde er zum Bürgermeister des mondänen Pariser Vorortes Neuilly-sur-Seine gewählt. Dort traf er auf Großbürger und "Enarchen", wie die Zöglinge der Eliteschule genannt werden, auf Leute wie Villepin. Er behauptete sich gegen alle.

Ausdrücklich fordert Sarkozy den "Bruch" mit der Vergangenheit, mehr Marktwirtschaft und Konkurrenz, mehr Freiheit statt Gleichheit. Villepin steht dagegen für das traditionelle Frankreich, mit seiner eigentümlichen Mischung aus Elitärem und Egalitärem: Darin bestimmt eine kleine Elite vom Schlage Villepins, wie - unter ihnen - alle gleich zu sein haben. Über Sarkozy lästerte er: "Nicolas hat nicht das Zeug zum Staatsmann. Es mangelt ihm an Tiefe. Bei Sarkozy liegt alles offen. Manche werten das als Arroganz und Aggressivität. In Wirklichkeit ist es eine Schwäche."

Gewählter gegen Erwählter, Revolutionär gegen Reformer, Energie gegen Eleganz - Sarkozy und Villepin stehen für zwei Arten, Frankreich zu dienen. Während Villepin von einer Renaissance alter Größe träumt, versucht sich Sarkozy an der Neuerschaffung. Dennoch haben diese beiden viel gemeinsam: Wurzeln im Gaullismus, die Überzeugung französischer Einzigartigkeit, gepaart mit unerschütterlichem Glauben an sich selbst. Beide finden, dass Frankreich so großartig ist, dass es nur sie als Präsidenten verdiene. Das konnte nicht gutgehen. Das ging nicht gut.

Die unklare Rolle Chiracs

Am Neujahrsmorgen 2004 - Villepin saß natürlich bei der Arbeit - schneite ein Bekannter herein und berichtete ihm von dem Clearstream-Fall, in den prominente Franzosen verwickelt seien. Umstritten ist, ob der Name des damaligen Haushaltsministers Sarkozy fiel. Zeugen behaupten dies, Villepin bestreitet. Doch der Geheimdienst-General, den er mit Ermittlungen beauftragte, widerspricht ihm jetzt. Später wurden die Kontenlisten der Justiz zugesteckt. Villepin sagt, er habe nur eine Randrolle gespielt und nichts von den Fälschungen geahnt. Die Staatsanwaltschaft glaubt, er habe die Chance ergriffen, Sarkozy zu vernichten.

Die Rolle des damaligen Präsidenten Chirac ist unklar. Er wünschte sich Villepin als Nachfolger und mühte sich, Sarkozy abzuschütteln. Also machte er Villepin zum Premier. Doch Villepin rieb sich in Bürgerprotesten gegen eine Reform des Arbeitsrechts auf. Sarkozy dagegen schaffte es, in der Clearstream-Affäre vom Verdächtigen zum Ankläger gegen Villepin zu werden. Im Jahr 2007 wurde er zum Präsidentschaftskandidaten der Regierungspartei UMP und danach vom Volk zum Präsidenten gewählt. Villepin musste zuschauen - und auf seinen Prozess warten. Er schien den Kampf der beiden Sonnenkönige verloren zu haben.

Es spricht für den Kampfgeist des Mannes mit den Silberlocken, dass er auch jetzt nicht aufgab. Er spürte, dass der Clearstream-Prozess eine Chance für ihn bot. Wenn Sarkozy vom Verdächtigen zum Ankläger werden konnte, warum dann nicht auch Villepin? So behauptet er unermüdlich, Sarkozy benutze seinen Einfluss auf die Justiz, um ihn, Villepin zu erledigen. Das Opfer sei er selbst.

"Zwischen ihm und mir wird der Kampf bis zum Tod weitergehen"

Tatsächlich dürfte es dem Gericht schwerfallen, Villepin des Rufmordes zu überführen. Sei es, weil Villepin unschuldig ist, sei es, weil er alle Spuren beseitigt hat. Dann müsste Villepin freigesprochen werden. Das Schicksal würde die Rollen vertauschen, Sarkozy in trübes Licht getaucht. Schon macht er Fehler.

Warum, fragen sich viele Franzosen, kann der Präsident den Clearstream-Prozess nicht der Justiz überlassen? Warum muss er als Nebenkläger auftauchen? Sarkozy muss aufpassen. Seine politischen Gegner braucht er nicht zu fürchten. Parteifreund Villepin aber schon. Noch ist die Wirtschaftskrise nicht überwunden, noch könnte den Präsidenten hohe Arbeitslosigkeit in Bedrängnis bringen. Die Staatsverschuldung wächst atemberaubend. Und immer mehr Franzosen finden ihren hyperaktiven Präsidenten nervig.

Sarkozy mag recht haben mit seiner Rede, dass Frankreich einen Bruch mit der Vergangenheit braucht. Radikale Reformen also. Doch das heißt noch lange nicht, dass die Bürger ihm folgen werden. Bei einem Freispruch könnten sich viele Villepin zuwenden, diesem Bannerträger französischer Größe ohne allzu schmerzhafte Reformen. Sarkozy weiß: "Zwischen ihm und mir wird der Kampf bis zum Tod weitergehen."

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