Genozid in Ruanda:Macron: Keine Entschuldigung, aber die Wahrheit

Emmanuel Macron in einer Gedenkstätte in Kigali: Elf Jahre lang hatte kein französischer Präsident Ruanda besucht.

Emmanuel Macron in einer Gedenkstätte in Kigali: Elf Jahre lang hatte kein französischer Präsident Ruanda besucht.

(Foto: Ludovic Marin/AFP)

Bei seinem Besuch in Ruanda geht Präsident Emmanuel Macron einen Schritt zur Versöhnung. Frankreich habe Hunderttausende Opfer des Völkermordes an den Tutsi im Stich gelassen.

Von Bernd Dörries, Kapstadt, und Nadia Pantel Paris

Ganz am Ende seiner Rede, die Emmanuel Macron am Donnerstag in Ruandas Hauptstadt Kigali hielt, sprach Frankreichs Präsident vom "Verzeihen". Es war das erste Mal, dass Macron Ruanda besuchte. Vor seiner Rede hatte er an der Gedenkstätte für die Opfer des Genozids an den Tutsi, bei dem 1994 innerhalb von 100 Tagen mindestens 800 000 Menschen getötet wurden, einen Kranz niedergelegt. Für Beobachter in Ruanda und Frankreich stand dieser Besuch unter einer zentralen Frage: Wird Macron sich entschuldigen? Macron antwortete nun mit einem "jein".

Frankreich habe "die Verpflichtung, seinen Anteil an dem Leid anzuerkennen, das es dem ruandischen Volk angetan" habe, sagte Macron. Doch für das Anerkennen dieser Verantwortung könne es "keine Gegenleistung" geben, "nichts könne einen Völkermord entschuldigen". Nur die Opfer selbst könnten entscheiden, ob sie "uns das Geschenk machen wollen, uns zu verzeihen", so Macron.

Macron bleibt mit dieser Rede somit dem Kern seiner Erinnerungspolitik treu. Sich keinem klaren Lager zuordnen, versuchen, einen Weg zu finden, der einem Kompromiss gleicht und darauf bauen, dass dies nicht als Unentschlossenheit gewertet wird, sondern als Angebot zur Versöhnung.

Seit Macrons Amtsantritt haben sich die Beziehungen zwischen Ruanda und Frankreich spürbar entspannt. Dies liegt vor allen Dingen daran, dass Macron die Archive seines Vorgängers François Mitterrand öffnen ließ und eine Historikerkommission mit der Auswertung dieser Archive beauftragte, um Frankreichs Rolle während der Zeit des Genozids klarer zu beleuchten.

Seit 1990 hatte Frankreich Soldaten in Ruanda stationiert

Im März wurde der Abschlussbericht der Kommission veröffentlicht, die zu dem Schluss kommt, Frankreich trage im Kontext des Genozids an den Tutsi "schwere und erdrückende Verantwortung". Insbesondere Mitterrand habe sich zu lange "blind" auf die Seite des ruandischen Regimes gestellt, das zunehmend von radikalen Hutu-Nationalisten dominiert wurde. Frankreichs Staatsspitze habe einen "ethnischen Konflikt" gesehen, obwohl tatsächlich ein Völkermord vorbereitet wurde.

Der Bericht spricht von einem militärischen und politischen "Scheitern" Frankreichs und von einer "Parallelstruktur" innerhalb des Élysée, durch die Befehlsketten abgekürzt und durch die warnende Stimmen zum Schweigen gebracht worden seien. Frankreich hatte von 1990 an Soldaten in Ruanda stationiert und im Juni 1994, drei Monate nach Beginn des Genozids, die "Opération Turquoise" gestartet. Eine militärische Mission, die Zivilisten vor Angriffen schützen sollte, heute jedoch als deutlich verspätet bewertet wird.

Die Formel der "erdrückenden Verantwortung" nahm Macron nun in Kigali wieder auf. "Frankreich hat in Ruanda eine politische Verantwortung" und habe "zu lange geschwiegen, statt die Wahrheit zu untersuchen". Frankreich habe "nicht auf diejenigen gehört, die es gewarnt hatten", sagte Macron mit Blick auf diejenigen, die, auch innerhalb der französischen Armee, schon 1990 berichteten, dass Hutu-Nationalisten die Auslöschung der Tutsi planten. Frankreich habe "nicht verstanden", dass es sich "auf die Seite eines genozidären Regimes stellte", so Macron. Frankreich und die internationale Gemeinschaft hätten im April 1994 "Hunderttausende Opfer in der Hölle im Stich gelassen".

Eine klare Linie zog Macron hingegen bei der Frage der Mittäterschaft Frankreichs. "Die Mörder hatten nicht das Gesicht Frankreichs", sagte Macron. Auch hier folgt Macron der Wertung der historischen Kommission, die feststellte, Frankreich könne keine Komplizenschaft mit den Tätern nachgewiesen werden. Diesen Vorwurf erhebt seit den Neunzigerjahren Ruandas Präsident Paul Kagame. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Macron zeigte sich Kagame deutlich versöhnlicher. "Sie haben eine mutige Rede gehalten. Diese Rede war wichtiger als eine Entschuldigung, denn Sie haben die Wahrheit gesagt", sagte Kagame zu Frankreichs Präsident. Indem "die Fakten dokumentiert" werden, könne man gemeinsam nach vorn schauen, so Kagame.

Mutmaßliche Mittäter des Genozids leben in Frankreich

Auch die Verbände von Hinterbliebenen des Genozids haben am Donnerstag den Besuch Macrons begrüßt. Die Anerkennung der Mitverantwortung Frankreichs durch Macron sei ein erster Schritt zur Normalisierung der Beziehungen. "Wir können die Geschichte nicht ungeschehen machen, wir können aber gemeinsam ein neues Kapitel aufschlagen, das von gegenseitigem Respekt geprägt ist", sagte die Überlebende des Völkermordes Yolande Mukagasana, die eine Stiftung gegen das Vergessen gegründet hat.

Weitere Schritte Frankreichs müssten aber folgen, fordern viele Hinterbliebene. "Wir hoffen, dass der Bericht Frankreich verdeutlicht, dass jene Mitverantwortlichen des Genozids zur Verantwortung gezogen werden müssen, die sich immer noch frei in Frankreich bewegen", sagte Egide Nkuranga, der Vorsitzende von Ibuka, eines Dachverbands der Genozid-Hinterbliebenen. Nach Angaben der ruandischen Tageszeitung The New Times befinden sich mindestens 47 von Ruanda angeklagte mutmaßliche Mittäter des Genozids in Frankreich, dazu Hunderte Exil-Ruander, die den Völkermord leugnen und verharmlosen würden. Ganz oben auf der Liste der von Ruanda Gesuchten steht Agathe Habyarimana, die Witwe des letzten Hutu-Präsidenten, die eine entscheidende Rolle bei der Planung des Genozid gespielt haben soll.

Habyarimana lebt heute im Département Éssonne im Süden von Paris. Frankreich gewährt ihr offiziell kein Asyl, liefert sie jedoch auch nicht an Ruanda aus. Mitterrand persönlich hatte 1994 dafür gesorgt, dass Habyarimana aus Ruanda ausreisen konnte. Gemeinsam mit zwölf ihrer Angehörigen wurde sie in Paris in einem Hotel untergebracht.

Im politischen Kontext der Zeit waren viele in Frankreich nicht bereit, den Genozid an den Tutsi als solchen zu benennen. Mitterrand sprach 1994 von Genoziden, im Plural, und nährte so die Lüge, die Tutsi hätten ihrerseits versucht, die Hutu in Ruanda zu vernichten. Als Macron am Donnerstag sagte, "es gab nur einen Völkermord", wurde ihm in Kigali spontan applaudiert.

Macrons Ruanda-Reise, an die sich ein Südafrika-Besuch anschließt, symbolisiert für Kigali und Paris einen Neustart. Nach langer Pause wird wieder ein französischer Botschafter in Ruanda seine Arbeit aufnehmen. Und ein Institut für französischsprachige Kulturen wird eröffnet. Im Élysée spricht man bewusst nicht von einem französischen Kulturinstitut, man konzentriere sich "weniger auf die Beziehung zwischen Frankreich und Afrika", sondern auf den französischsprachigen Kulturraum und "den Austausch regionaler Künstler".

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