Präsident Emmanuel Macron hat die umstrittene Rentenreform per Verfassungsdekret durchgesetzt. Das heißt, er nutzt einen Sonderartikel in der Verfassung und beschließt die Reform ohne Abstimmung in der Nationalversammlung. Zuvor hat ein einberufener Ministerrat der Anwendung des Verfassungsartikels 49.3 zugestimmt. Offenbar ging die Regierung davon aus, dass sie in der Nationalversammlung nicht die erforderliche Mehrheit bekommt. Das Vorhaben kann theoretisch noch durch ein Misstrauensvotum gekippt werden.
Die Reform besagt, dass die Französinnen und Franzosen künftig länger arbeiten müssen. Das Renteneintrittsalter, das bisher bei 62 Jahren liegt, soll bis 2030 schrittweise auf 64 Jahre erhöht werden. Außerdem soll die Beitragsdauer schneller steigen. Eine frühere Reform sah bereits vor, dass Französinnen und Franzosen von 2035 an nur noch volle Rentenbezüge erhalten, wenn sie mindestens 43 Jahre gearbeitet haben. Das soll jetzt schon von 2027 an gelten. Die monatliche Mindestrente will die Regierung von 980 auf 1200 Euro hochsetzen. Mit der Reform will sie gegen drohende Löcher in der Rentenkasse vorgehen.
Das umstrittene Vorhaben ging in erster Lesung durch beide Kammern des französischen Parlaments. Am Mittwoch erarbeitete eine Kommission aus Abgeordneten und Senatoren dann einen Kompromisstext. Am Morgen stimmte der Senat, das Oberhaus des Parlaments, mit 193 Ja-Stimmen zu 114 Nein-Stimmen zu. Die Zustimmung galt als gewiss. Bereits am Samstagabend wurde der erste Entwurf nach einer hundert Stunden dauernden Debatte gebilligt.
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Bis zum Schluss war die Lage im Unterhaus hingegen unklar. Die Mitte-Regierung hat in der Kammer keine absolute Mehrheit und hätte für die Reform die Stimmen der Républicains gebraucht. Deren Fraktion in der Nationalversammlung ist jedoch gespalten.
Die Reform des Rentensystems gilt als heikelstes Vorhaben in der zweiten Amtszeit von Präsident Emmanuel Macron. Gewerkschaften und Oppositionsparteien machen seit Wochen Stimmung gegen die Pläne. Auch eine Mehrheit der Bevölkerung spricht sich in Umfragen dagegen aus. Hunderttausende protestierten, Streiks sorgten für Chaos im Bahn- und Flugverkehr, Müllberge auf den Straßen und ausfallende Unterrichtsstunden. Laut Innenministerium beteiligten sich an den Protesten zeitweise mehr als eine Million Menschen, die Gewerkschaft CGT sprach von 3,5 Millionen Teilnehmerinnen und Teilnehmern.