Proteste gegen die Rentenreform:Stürzt der Widerstand gegen die späte Rente Frankreich ins Chaos?

Im Oktober 2022 hatten Gewerkschaften zu einem Streik für höhere Löhne aufgerufen. Nun wollen sie gegen Macrons Rentenreform streiken.

Im Oktober 2022 hatten Gewerkschaften zu einem Streik für höhere Löhne aufgerufen. Nun wollen sie gegen Macrons Rentenreform streiken.

(Foto: Bertrand Guay/AFP)

Macrons geplante Rentenreform machen viele Franzosen wütend, Gewerkschaften haben für Donnerstag massive Streiks und Protestmärsche angekündigt. Ob wirklich Millionen auf die Straße gehen, ist aber ungewiss.

Von Kathrin Müller-Lancé, Paris

Schon seit Tagen beschäftigt dieses Datum Frankreich. Keine Stunde, nachdem die Regierung in der vergangenen Woche die Pläne für die umstrittene Rentenreform vorgestellt hatte, kündigten die Gewerkschaften für den 19. Januar den ersten Streik an.

Für Macron gehe es um die "Mutter aller Reformen", und "für uns wird es die Mutter aller Kämpfe", hatte der Chef der französischen Gewerkschaft Force Ouvrière, Frédéric Souillot, schon im Vorfeld gedroht. Der Chef der radikalen Gewerkschaft CGT, Philippe Martinez, erwartet "Millionen" von Teilnehmenden bei den Protestmärschen in ganz Frankreich.

An diesem Donnerstag soll durchschnittlich nur jeder dritte bis fünfte TGV fahren und jeder zehnte Regionalzug. In Paris sollen drei Metrolinien ganz ausfallen und viele andere nur zum Teil fahren. Auch in den Schulen, in Raffinerien und im Energiesektor sind Streiks angekündigt.

Viele Abgeordnete von extrem links bis extrem rechts lehnen die Reform ab

Die Rentenreform ist das wohl heikelste Vorhaben in der zweiten Amtszeit von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Seine Pläne, das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen und die Beitragsdauer auf 43 Jahre zu verlängern, kommen bei vielen nicht gut an. Der Großteil der Opposition in der Nationalversammlung, von extrem links bis extrem rechts, hat bereits angekündigt, gegen das Gesetzesvorhaben zu stimmen. Die sonst so zersplitterten französischen Gewerkschaften haben sich zusammengeschlossen und in einer gemeinsamen Mitteilung zu Protesten aufgerufen.

Auch in der Bevölkerung ist der Unmut groß. Einer Studie des Ifop-Instituts zufolge sind mehr als zwei Drittel der Französinnen und Franzosen gegen die Reformpläne der Regierung. Etwa die Hälfte begrüßt der Befragung zufolge den Streik an diesem Donnerstag. "Aber nur, weil viele die Demonstrationen unterstützen, heißt das nicht, dass der soziale Sprengstoff auch explodieren muss", sagt Hugo Lasserre vom Ifop-Institut, das die Studie durchgeführt hat.

Ob die Streiks und Proteste das Land tatsächlich wochenlang lahmlegen werden, ob möglicherweise sogar die Gelbwesten zurückkommen - da möchte sich der Meinungsforscher noch nicht festlegen. Die Energiekrise und die Inflation könnten auch dazu führen, dass weniger Leute auf die Straße gehen. "Bei vielen Menschen führt die aktuelle Krise zu einer Art Resignation", sagt Lasserre.

"Wenn man Angst hat, am Ende des Monats nicht über die Runden zu kommen, kann man sich einen unbezahlten Streiktag nicht unbedingt leisten", sagt auch der Soziologe Guy Groux von der Hochschule Sciences Po Paris. Dazu kommt: Die Streikkultur in Frankreich wandelt sich. Schon seit Jahren nimmt die Bedeutung der Gewerkschaften ab.

Die Proteste der Gelbwesten, die das Land vom Herbst 2018 an monatelang durcheinanderbrachten, organisierten sich unabhängig von den traditionellen Strukturen, von Parteien und Gewerkschaften. Auch der Streik der Kontrolleure der Staatsbahn SNCF, der den Zugverkehr kurz vor Weihnachten blockierte, ging nicht von den Gewerkschaften aus. Vorauszusagen, wie sich Proteste entwickeln, wird deshalb immer schwieriger.

"Wenn die Bevölkerung zu sehr unter Streiks leidet, wird sie sich weniger mit den Streikenden solidarisieren."

Ob die Streiks und Demonstrationen in den kommenden Wochen Frankreich tatsächlich in eine Krise stürzen, hängt für Guy Groux vor allem davon ab, wer daran teilnimmt. "Wenn die Angestellten im Energiesektor ihre Arbeit niederlegen, kann das schon zu einer ernsthaften Blockade führen." Dann könnte sich laut Groux allerdings auch die öffentliche Meinung drehen: "Wenn die Bevölkerung zu sehr unter den Streiks leidet, wird sie sich weniger mit den Streikenden solidarisieren."

Dass die Proteste tatsächlich dazu führen, dass die Regierung ihre Pläne aufgeben muss, halten sowohl der Meinungsforscher Hugo Lasserre als auch der Soziologe Guy Groux für unwahrscheinlich. Selbst die französische Bevölkerung geht davon offenbar nicht aus. In der Studie des Ifop-Instituts gaben zwei Drittel der Befragten an, dass sie damit rechnen, dass die Reform trotz der Proteste durchgesetzt wird.

Bei den Streiks werde es in den kommenden Wochen vor allem darum gehen, dass sich die Gewerkschaften ihrer selbst vergewissern, sagt Guy Groux. "Sie schaffen es noch, punktuell und konjunkturell Menschen zu versammeln. Mehr nicht."

Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass die französische Regierung ihre Pläne trotz des Widerstands durchsetzen kann. Die konservativen Republikaner haben bereits signalisiert, dass sie im Parlament für das Reformvorhaben stimmen könnten.

Ob Macrons Regierung tatsächlich eine Mehrheit zusammenbekommt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Ansonsten könnte sie die Reform mithilfe des umstrittenen Artikels 49 Absatz 3 der französischen Verfassung durchsetzen. Der macht es möglich, Gesetze am Parlament vorbei zu verabschieden. Diese Option dürfte wiederum die ablehnende Stimmung auf der Straße befeuern.

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