Proteste und Misstrauensanträge:Frankreich kommt nicht zur Ruhe

Proteste und Misstrauensanträge: Bei Protesten in Paris am Samstag verbrennen Demonstranten den herumliegenden Müll.

Bei Protesten in Paris am Samstag verbrennen Demonstranten den herumliegenden Müll.

(Foto: Julien Mattia/dpa)

Blockierte Gleise, ein zerstörtes Wahlkreisbüro: Seit Präsident Macron entschieden hat, die Rentenreform ohne Votum im Parlament durchzuboxen, heizt sich die Stimmung auf. Muss die Regierung bald zurücktreten?

Von Kathrin Müller-Lancé, Paris

Vier Tage ist es her, dass Frankreichs Regierung den umstrittenen Artikel 49.3 der französischen Verfassung genutzt hat, um die umstrittene Rentenreform ohne Votum in der Nationalversammlung durchzudrücken. Seitdem kommt das Land nicht zur Ruhe. Schon wenige Stunden nach der Ankündigung brannten in Paris die ersten Mülltonnen, auch am Wochenende gab es in mehreren französischen Städten spontane Proteste. In Bordeaux blockierten Reformgegner die Bahnhofsgleise, in Paris drangen Demonstrierende in das Einkaufszentrum Les Halles ein. In Nizza haben Unbekannte im Wahlkreisbüro des Parteichefs der konservativen Republikaner die Scheiben eingeschlagen. Der Innenminister hat die Präfekturen aufgefordert, die Sicherheitsmaßnahmen für die Abgeordneten der Regierungsmehrheit zu erhöhen.

Das Manöver ist für die Regierung nicht ohne Risiko. Der Artikel 49.3 macht es möglich, ein Gesetz mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen. Statt über die Reform abzustimmen, haben die Abgeordneten die Möglichkeit, die Regierung durch ein Misstrauensvotum zu stürzen. Gibt es dafür keine absolute Mehrheit, gilt das Gesetz als angenommen. Immer wieder haben französische Regierungen in der Vergangenheit von der Sonderklausel Gebrauch gemacht. Viele kritisieren sie als undemokratisch, so verhindere die Regierung eine Debatte und erpresse die Opposition.

Das umstrittene Rentengesetz sieht vor, das gesetzliche Rentenalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anzuheben. Außerdem sollen die für eine volle Rente erforderlichen Beitragsjahre schneller als bisher geplant auf 43 Jahre erhöht werden. In den vergangenen Wochen hatte es immer wieder Proteste gegen die Reform gegeben. Weil die Regierung in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit hat, hätten sie bei einer Abstimmung in der Nationalversammlung die Unterstützung der konservativen Republikaner gebraucht. Die galt bis zuletzt als unsicher. Deshalb der Griff zur Verfassungsklausel.

Wie erwartet haben inzwischen der extrem rechte Rassemblement National (RN) und die liberale Fraktion Liot Misstrauensanträge gegen die Regierung eingereicht. Am Montag stimmt die Nationalversammlung über beide Anträge ab.

Dass die Regierung tatsächlich gestürzt wird, gilt als unwahrscheinlich. Schon im Vorfeld haben die linken Oppositionsparteien klargemacht, dass sie nicht für den Antrag von Marine Le Pen und ihren Abgeordneten stimmen wollen. Für den Antrag der Liot-Fraktion werden vermutlich sowohl der RN als auch das linke Nupes-Bündnis stimmen. Für eine absolute Mehrheit bräuchte es zusätzlich die Unterstützung mehrerer konservativer Republikaner. Deren Parteichef hatte im Vorfeld versprochen, dass seine Fraktion nicht für ein Misstrauensvotum stimmen wird. Ob sich alle Abgeordneten daran halten, ist unklar.

Die Opposition hat trotzdem große Erwartungen an die Abstimmung am Montag. "Auf dass sie alle abgesetzt werden", twitterte die Fraktionsvorsitzende der linken La France insoumise, Mathilde Panot. "Man muss diese Regierung bestrafen", sagte Marine Le Pen. Für den Fall, dass die Regierung tatsächlich gestürzt werden sollte, hatte Präsident Emmanuel Macron bereits vor Monaten angekündigt, dass er die Nationalversammlung auflösen und Neuwahlen ausrufen werde.

Die Regierung versucht derweil, so viel Normalität wie möglich zu wahren. Auf die Frage nach ihrem Rücktritt verwies Élisabeth Borne im französischen Fernsehen auf das anstehende Misstrauensvotum: "Es wird in den kommenden Tagen eine Abstimmung geben." Am Samstag empfing sie, wie in ihrem Kalender vorgesehen, Jugendliche zu einem Treffen an ihrem Amtssitz. Auch Emmanuel Macron, der in den vergangenen Wochen innenpolitisch ohnehin wenig präsent war, verfolgte sein übliches Programm weiter. Er hielt eine Rede zum Zustand der französischen Diplomatie und telefonierte mit der Präsidentin der Republik Moldau.

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