Frankreich:Macrons Frau fürs Unangenehme

Frankreichs Premierministerin  Élisabeth Borne sagt zur Rentenreform des Präsidenten: "Es ist nicht einfach, aber notwendig".

Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne sagt zur Rentenreform des Präsidenten: "Es ist nicht einfach, aber notwendig."

(Foto: Geoffroy Van der Hasselt/AFP)

Die Rentenreform gilt als heikles Projekt von Präsident Macron, umsetzen muss sie aber jemand anderes: Élisabeth Borne. Über die französische Premierministerin und ihre undankbare Rolle.

Von Kathrin Müller-Lancé, Paris

Vor Kurzem gab Élisabeth Borne dem Sender France 2 ein großes Interview. Im Vorspann schimpften Französinnen und Franzosen auf der Straße über die Rentenreform, von einer "Rente für die Toten" und einer "kompletten Blockade des Landes" war da die Rede. Darunter dramatische Musik. Das Ganze wirkte wie der Trailer zu einer Netflix-Serie mit endlos vielen Staffeln. In einer der Hauptrollen: die französische Premierministerin.

Natürlich ist die Rentenreform das große und heikle Projekt von Präsident Emmanuel Macron. Doch umsetzen muss sie die Chefin der Regierung, Élisabeth Borne. Macron versprach im Wahlkampf, das französische Rentensystem zu reformieren und das gesetzliche Eintrittsalter anzuheben. Die konkreten Pläne, die schrittweise Anhebung von 62 auf 64 Jahre und die schnellere Erhöhung der Beitragsdauer auf 43 Jahre, stellte Anfang Januar seine Premierministerin vor.

Als in Frankreich in den vergangenen Wochen die größten Protestzüge seit Langem durch die Straßen zogen, unterschrieb Macron in Spanien ein Freundschaftsabkommen und empfing den ukrainischen Parlamentspräsidenten. Diejenige, die die Reform im Parlament und auf den Fernsehplateaus verteidigt, ist Élisabeth Borne.

Borne gilt als "Schutzschild des Präsidenten"

Diese Aufteilung hat in Frankreich Tradition. Der Präsident ist als mächtigste Person im politischen System für die großen Linien und Ansagen zuständig, die Ausführung ist Aufgabe von Premierministerin und Kabinett. 1995 scheiterte Premierminister Alain Juppé beim Versuch, die Spezialregelungen des französischen Rentensystems abzuschaffen. 2010 waren Arbeitsminister Éric Woerth und Premierminister François Fillon dafür zuständig, die Anhebung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre unter massivem Widerstand der Bevölkerung durchzusetzen.

So nüchtern, wie Élisabeth Borne in ihrem babyblauen Blazer auf dem Hocker bei France 2 sitzt, versucht sie bisher auch die Reform zu moderieren. Die Sätze, die sie in der Sendung sagt, kamen immer wieder von ihr in den vergangenen Wochen: "Ich höre die Sorgen und Ängste", "Das ist eine kollektive Anstrengung", "Es ist nicht einfach, aber notwendig".

Élisabeth Borne gilt als treue Technokratin. Bevor sie im vergangenen Jahr Premierministerin wurde, war sie fünf Jahre Ministerin unter Macron, erst für Verkehr, dann für Umwelt, dann für Arbeit. Borne ist studierte Ingenieurin und leitete mehrere Jahre lang die Pariser Verkehrsbetriebe. In den Neunzigerjahren beriet sie den sozialistischen Premierminister Lionel Jospin.

Nun muss ausgerechnet sie, eine Politikerin, die eigentlich der Linken nahesteht, Macrons liberale Rentenreform durchsetzen. In den vergangenen Monaten war Borne für die Gespräche mit den Oppositionsparteien und den Gewerkschaften zuständig. Immer wieder betonte sie die Bedeutung der "concertation", also der Abstimmung.

Dass die Regierung sich auf die Opposition zubewegt hat und den Renteneintritt mit 64 statt mit 65 Jahren plant, führen viele auf den Einfluss der Premierministerin zurück. Macron hatte in der Vergangenheit immer wieder auf 65 Jahren bestanden. "Borne ist der Schutzschild des Präsidenten", schrieb vor einigen Wochen die Zeitung Le Monde, "wobei ihr zugutekommt, dass sie eine ausgeprägtere Vorliebe für Verhandlungen hat."

Im schlimmsten Fall könnte es sogar zu einem Misstrauensvotum kommen

Zuletzt schien sich die Premierministerin nicht mehr ganz so sicher zu sein, ob sie eine harte Linie fahren oder Zugeständnisse machen will. Ende Januar sagte sie im französischen Radio, das Renteneintrittsalter von 64 Jahren sei "nicht mehr verhandelbar". In der vergangenen Woche sagte sie in einem Interview mit der Zeitung Journal de Dimanche, "wir werden uns bewegen", und versprach, dass, anders als bisher vorgesehen, künftig auch diejenigen schon mit 63 Jahren in Rente sollen gehen dürfen, die im Alter zwischen 20 und 21 Jahren zu arbeiten begonnen haben.

Während einer Demonstration in Paris gegen die Rentenreform.

Während einer Demonstration in Paris gegen die Rentenreform.

(Foto: Samuel Boivin/Imago)

Bei den Protesten auf der Straße ist neben Präsident Macron auch die Premierministerin zur Zielscheibe geworden. "Borne to die", "Borne to be a lie", "Borne out" steht auf den Plakaten der Demonstrierenden. Am vergangenen Wochenende sorgte in Marseille ein Protestwagen für Aufregung, auf dem eine Gummipuppen-Version der Premierministerin über einem Sarg hing. "Wenn man seinen Kopf nicht auf so einer Puppe haben möchte, macht man nicht so eine Politik", verteidigte ein Gewerkschafter der radikalen CGT die Aktion.

Die Beliebtheitswerte der Premierministerin sind in den vergangenen Wochen immer weiter gesunken, Anfang Februar gaben in einer Umfrage des Instituts Elabe gerade einmal 23 Prozent der Befragten an, Élisabeth Borne zu vertrauen. Bei Präsident Macron waren es 30 Prozent.

Bornes Job ist aber nicht nur deshalb so undankbar, weil die Rentenreform in der Bevölkerung unbeliebt ist. Sondern auch wegen der ungünstigen politischen Konstellation. Seit den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr hat ihre Regierung keine absolute Mehrheit mehr in der Nationalversammlung. Um die Reform durchzusetzen, ist sie deshalb auf die Stimmen der konservativen Republikaner angewiesen. Und die gelten - trotz mehrerer Zugeständnisse - noch immer nicht als sicher. Bekommt die Regierung am Ende tatsächlich keine Mehrheit, wird sich Élisabeth Borne noch unbeliebter machen müssen und den umstrittenen Verfassungsartikel 49.3 ziehen. Der ermöglicht es, ein Gesetzesvorhaben ohne Abstimmung im Parlament direkt an den Senat weiterzuleiten.

Im schlimmsten Fall könnte die Opposition daraufhin die Premierministerin und deren Regierung mit einem Misstrauensvotum stürzen. Das gilt als unwahrscheinlich. Macron drohte in der Vergangenheit trotzdem bereits damit, dass er in diesem Fall die Nationalversammlung auflösen und neue Parlamentswahlen ausrufen werde.

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