Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Jetzt ringt Frankreich um die Rente

Emmanuel Macron hat eine Reform des Rentensystems vorgelegt, die viel Zündstoff birgt. Vier politische Köpfe werden mitentscheiden, was aus den Plänen des Präsidenten wird.

Von Kathrin Müller-Lancé, Paris

Es gilt als das wichtigste und umstrittenste Vorhaben in der zweiten Amtszeit von Emmanuel Macron: die Reform des französischen Rentensystems. Wie die Regierung diese Woche mitgeteilt hat, will sie unter anderem das Renteneintrittsalter anheben, schrittweise von bisher 62 auf schließlich 64 Jahre im Jahr 2030. Die Beitragsdauer soll bis 2027 auf 43 Jahre steigen, außerdem sollen langfristig die Privilegien einzelner Berufsgruppen abgeschafft und die Mindestrente auf 1200 Euro erhöht werden.

Der Protest ist programmiert, Gewerkschaften und große Teile der Opposition haben bereits ihren Widerstand angekündigt. Die kommenden Wochen werden für das ganze Land entscheidend: Bekommt Macron in der Nationalversammlung eine Mehrheit für die Reform zusammen - oder muss er sie per Notdekret durchsetzen? Und kommen jetzt etwa die Gelbwesten zurück? Auf vier Personen kommt es nun besonders an:

Macrons Schutzschild: Élisabeth Borne

Ausgerechnet Élisabeth Borne, die vor ihrem Eintritt in Macrons Partei den linken Sozialisten nahestand, muss nun als Premierministerin die liberale Reform durchsetzen. In den vergangenen Monaten war Borne für die Gespräche mit den Oppositionsparteien und den Gewerkschaften zuständig. Dass die Regierung sich auf die Opposition zubewegt hat und den Renteneintritt mit 64 statt mit 65 Jahren plant, führen viele Beobachter auf den Einfluss der Premierministerin zurück. "Borne ist der Schutzschild des Präsidenten", hieß es kürzlich in der Zeitung Le Monde, "wobei ihr zugute kommt, dass sie eine ausgeprägtere Vorliebe für Verhandlungen hat."

Scheitert die Regierung daran, eine Mehrheit im Parlament für die Reform zu versammeln, kann Borne als Premierministerin den umstrittenen Artikel 49-3 der französischen Verfassung ziehen. Damit kann die Regierung die Rentenreform auch ohne Abstimmung in der Nationalversammlung verabschieden. Der Ärger in der Opposition und auf der Straße wäre aber unausweichlich.

Schlüsselfigur im Parlament: Éric Ciotti

Erst seit einem Monat ist Éric Ciotti der neue Vorsitzende der französischen Republikaner - und schon eine zentrale politische Figur. Von seiner Partei hängt es maßgeblich ab, ob Macrons Reformpläne das Parlament passieren. Die Republikaner hatten die Rente mit 65 einst selbst im Wahlprogramm, weshalb ihre Unterstützung lange als sicher galt. Im Dezember erklärte der frisch gewählte Ciotti jedoch, er sei gegen eine Reform "um jeden Preis". Einen Renteneintritt erst mit 65 Jahren halte er für "brutal".

In der vergangenen Woche lenkte er ein. Ciotti erklärte sich bereit, für eine "gerechte Reform" zu stimmen. Die Entscheidung der Regierung für ein Renteneintrittsalter von nur 64 Jahren und für die Erhöhung der Mindestrente nicht nur künftiger, sondern auch jetziger Rentnerinnen und Rentnern kann mithin als Zugeständnis gegenüber den Republikanern gewertet werden. Ciotti hat versprochen, für eine "eindeutige und verantwortungsvolle" Position seiner politischen Familie einzustehen. Ob die konservativen Abgeordneten die Reform mehrheitlich unterstützen, wird der Februar zeigen. Dann wird das Gesetzesvorhaben im Parlament diskutiert.

Linker Meinungsmacher: Jean-Luc Mélenchon

Der extrem linken Partei La France Insoumise sitzt er schon lange nicht mehr vor, den Ton gibt Jean-Luc Mélenchon aber trotzdem noch an. Wenn der Altlinke etwas verlautbart, kann er sicher sein, zur besten Sendezeit in den Nachrichtensendungen und Talkshows zitiert zu werden. Als Mélenchon im Herbst zum "Marsch gegen das teure Leben" in Paris aufrief, folgte zwar nicht die versprochene Revolution, aber doch eine amtliche Demo mit Tausenden Teilnehmern.

Mélenchons Oppositionspartei zählt zu den schärfsten Kritikern der Rentenreform. Ihre Fraktion in der Nationalversammlung will sie blockieren. Noch während die Regierung ihre Pläne am Dienstag vorstellte, twitterte Mélenchon schon, das Vorhaben sei ein "schwerer sozialer Rückschritt". Für den 21. Januar hat La France Insoumise in Paris einen "Marsch für unsere Renten" angesetzt. Gelingt der Partei der Schulterschluss mit Gewerkschaften und anderen Gruppierungen, könnten die Proteste heftig werden.

Streikführer: Laurent Berger

Frankreichs Gewerkschaftssystem ist zersplittert, aber bei der Rentenreform sind sich alle einig: keine gute Idee. Der Chef der größten und gemäßigten Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger, kommentierte Macrons Reformpläne so: "Ich bleibe beim Nein, die CFDT bleibt beim Nein und alle französischen Gewerkschaften bleiben beim Nein." Die Anhebung des Rentenalters hält Berger für die "ungerechteste aller Maßnahmen". 2017 hatte Berger Macron noch unterstützt. Damals wollte Macron aber auch nicht den Rentenbeginn verschieben, sondern das ganze System umkrempeln. Inzwischen ist die Beziehung zwischen Gewerkschaftschef und Präsident abgekühlt.

Auch Frankreich war ein "heißer Herbst" vorhergesagt worden, auch dort blieb er lauwarm. Kurz blockierten Raffinerie-Mitarbeiter die Tankstellen im Land, vor Weihnachten streikten ein paar Tage Angestellte der Staatsbahn SNCF. Jetzt aber könnte sich die Stimmung tatsächlich aufheizen. Kaum hatte die Regierung ihre Pläne verkündet, riefen die acht wichtigsten französischen Gewerkschaften zum ersten Streik am 19. Januar auf.

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