Präsidentenwahl:Europa darf auf Frankreich hoffen

Präsidentenwahl: Optimistische Aufbruchsstimmung herrscht bei den Wahlkampfauftritten Emmanuel Macrons

Optimistische Aufbruchsstimmung herrscht bei den Wahlkampfauftritten Emmanuel Macrons

(Foto: AFP)

Der affärenbelastete Fillon hat keine Chance bei der Präsidentschaftswahl. Die Franzosen möchten zwar einen starken Präsidenten, doch an Regeln sollte er sich schon halten.

Kommentar von Stefan Ulrich

Wäre Recep Tayyip Erdoğan Franzose, bräuchte er keine Verfassungsänderung mehr. Denn in Frankreich geht schon jetzt fast alle Macht vom Präsidenten aus. Der Hausherr im Élysée-Palast ist der Chef des Regierungschefs, weshalb es durchaus der Realität entsprach, als der damalige Präsident Nicolas Sarkozy seinen Premierminister François Fillon als "Mitarbeiter" abtat.

Der Staatschef ernennt den Premier, führt den Vorsitz im Ministerrat, bestimmt die Außenpolitik und kann das Parlament heimschicken. Hinzu kommt eine Aura, die der Geschichte entspringt. Frankreich wurde über Jahrhunderte von den Königen geformt, ja geschaffen. "Der Staat bin ich", sagte Ludwig XIV. Dieser Geist lebt, leicht kaschiert, in den Präsidenten der Republik weiter. Der Präsident müsse die ganze Nation verkörpern, drückte es Charles de Gaulle aus.

Das heißt jedoch nicht, dass der erste Mann sich immer alles herausnehmen darf. Enttäuscht er die Franzosen zu sehr, so stürzen sie ihn. Das musste Ludwig XVI. ebenso erfahren wie Sarkozy, wobei Letzterer seinen Kopf behalten durfte.

Ansonsten sind die Anforderungen der Franzosen in jüngster Zeit jedoch strenger geworden als zu Zeiten der Ludwigs, de Gaulles oder François Mitterrands. Ex-Präsident Jacques Chirac wurde 2011 wegen Korruption verurteilt. Der Sozialist Dominique Strauss-Kahn verspielte im selben Jahr durch seine Affären die sicher geglaubte Präsidentschaft.

Nun scheint das gleiche Schicksal Fillon zu ereilen, den Noch-Kandidaten der Konservativen für die anstehenden Präsidentschaftswahlen. Er wähnte sich schon im Élysée - jetzt blickt er in den Abgrund, auch wenn er sich noch an seinen Kandidatenstatus festkrallt.

Willkürherrscher? Nicht bei den Franzosen

Die Franzosen möchten einen starken Präsidenten, weshalb der schwache Amtsinhaber François Hollande sich nicht mehr anzutreten traut. Doch sie pochen inzwischen darauf, dass sich auch der Mann im Élysée an die Regeln hält, die für Gemeinsterbliche gelten. Das unterscheidet sie von der Mehrheit der Russen, der Türken und der amerikanischen Donald-Trump-Wähler, die Willkürherrschern hinterherlaufen.

Frankreich ist daher - trotz seiner Wirtschaftsprobleme, Politikverdrossenheit und Zukunftsangst - eine reife Republik. Das nährt die Hoffnung, dass die Bürger in den beiden Wahlgängen Ende April und Anfang Mai eine gute Entscheidung treffen werden.

Viele Franzosen sind reformbereit, europafreundlich und weltoffen

Bestätigt sich dies, so wird die bisherige Umfragekönigin Marine Le Pen klar scheitern. Denn die affärenbelastete Chefin des radikalen Front National ist keine gute Wahl. Sie füttert die Ängste der Menschen, spaltet das Land, verzerrt die Europäische Union zum Feindbild und nährt die Mär, einem Frankreich, das sich wirtschaftlich und politisch abkapselt, werde es in Zukunft besser gehen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Franzosen diese durchsichtige Strategie mit der Präsidentschaft belohnen.

Auch Fillon wäre keine gute Wahl. Sein Renommee als seriöser, tugendhafter Mann, das er sich in harten Jahren als Premier unter Präsident Sarkozy erworben hat, ist dahin. Die überaus lukrative, rechtlich zweifelhafte Beschäftigung seiner Frau und seiner Kinder auf Staatskosten kann nur als dummdreist bezeichnet werden.

Fillon hätte wissen müssen, dass dies bekannt wird und dass die Franzosen sich nicht für dumm verkaufen lassen. Wenn er jetzt gegen die Justiz hetzt, die ihre Arbeit tut, so beweist er damit nur, dass ihm das Zeug zum Staatsmann fehlt.

Mit Fillon als Kandidaten werden die Konservativen die Präsidentschaftswahlen wohl verlieren. Gewinnen wird dann wahrscheinlich der moderate, unverbrauchte, europafreundliche Reformer Emmanuel Macron, obwohl oder gerade weil er sich auf keine der traditionellen Parteien stützt.

Europa darf auf gute Neuigkeiten hoffen

Macrons kometenhafter Aufstieg in der Mitte des lange im Links-rechts-Dualismus lebenden Landes zeigt - gegen den angeblichen Zeitgeist - , dass viele Franzosen reformbereit, europafreundlich und weltoffen sind. Auch das spricht für die Reife der Republik.

Und wenn Fillon fällt, was in Paris viele erwarten, trotz der Solidaritätsdemonstration für ihn am Sonntag? Alain Juppé, der einzige Erfolg versprechende Ersatzmann, weigert sich, die Konservativen an seiner Stelle in die Wahl zu führen.

So scheint alles auf Macron hinauszulaufen. Europa darf also darauf setzen, dass es im Westen bald gute Neuigkeiten gibt. Ausgerechnet von Frankreich, dem angeblich so kranken Land, könnte die Genesung der Europäischen Union ausgehen. Unmöglich? Ein Sprichwort der Franzosen lautet: "Unmöglich ist kein französisches Wort."

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