Frankreich:"Demokratische Ohrfeige für uns alle"

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Präsident Emmanuel Macron vor einem Wahllokal in Le Tourquet. (Foto: CHRISTIAN HARTMANN/AFP)

In der ersten Runde der französischen Regionalwahlen verweigert die Mehrheit der Bevölkerung ihre Stimme. Die vorausgesagten Siege der Rechtsextremen bleiben aus.

Von Nadia Pantel, Paris

Die mit Abstand größte Wählergruppe war in Frankreich am Sonntag nicht auf der Rechten, auf der Linken oder in der Mitte zu finden, sondern schlicht zu Hause. 66,1 Prozent der Wahlberechtigten verzichteten bei den Regionalwahlen darauf, ihre Stimme abzugeben. Damit fiel die Wahlbeteiligung im Vergleich zur vorigen Regionalwahl 2015 um 15 Prozentpunkte und lag bei 33,9 Prozent. Der Innenminister Gérald Darmanin nannte die hohe Zahl der Nichtwähler am Wahlabend "besonders besorgniserregend". Es müsse "eine kollektive Anstrengung" unternommen werden, "um die Franzosen für die zweite Wahlrunde zu mobilisieren". Am kommendem Sonntag, 27. Juni, wird in einer Stichwahl darüber entschieden, welche Listen die Mehrheit in den Regional- und Departementalräten bekommen.

Meinungsforscher hatten schon vor der Wahl mit einer geringen Beteiligung gerechnet, die Vermutungen wurden allerdings von dem tatsächlichen Ausmaß der Stimmverweigerung noch übertroffen. Bereits bei den Kommunalwahlen im Frühjahr 2020 war die Wahlbeteiligung stark abgesunken. 2014 hatten 63,5 Prozent der Franzosen bei den Kommunalwahlen ihre Stimme abgegeben, 2020 waren es 44,6 Prozent, also knapp 19 Prozentpunkte weniger. 2020 wurde die extrem niedrige Wahlbeteiligung mit dem Beginn der Corona-Pandemie erklärt. Der erste Wahlgang erfolgte, als Schulen und Restaurants bereits geschlossen waren, kurz vor dem ersten Lockdown. Auch die Regionalwahl stand im Zeichen der Pandemie, allerdings waren die Inzidenzwerte in Frankreich in den vergangenen Wochen stark zurückgegangen.

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Obwohl bei der Regionalwahl über lokale Fragen abgestimmt wird, dominierten nationale Themen den Wahlkampf. Von den Parteien wurde die Regionalwahl wie ein Testlauf für die Präsidentschaftswahl behandelt. Eine Ausnahme bildete dabei Macrons Regierungspartei La République en Marche (LREM), die der lokalen Abstimmung betont wenig Bedeutung beimessen wollte. Was auch daran liegt, dass LREM außerhalb der Großstädte, ja sogar außerhalb von Paris, kaum verankert ist. In keiner Region war mit einem Sieg eines LREM-Kandidaten gerechnet worden. Nimmt man alle Regionen zusammen, kamen die LREM-Listen auf 10,9 Prozent der Stimmen. Damit landet die Partei des Präsidenten auf Platz fünf der Parteien bei der Regionalwahl. Die LREM-Abgeordnete Aurore Bergé sagte, sie wolle diese Niederlage "nicht minimieren", doch die Wahl sei "eine demokratische Ohrfeige für uns alle".

Nur in einer Region liegt Le Pens Partei vorn - ganz knapp

Anders als von den Umfragen vorhergesagt, ging die Partei der rechtsextremen Marine Le Pen nicht als Siegerin aus der Regionalwahl hervor. Lediglich in einer Region war das Rassemblement National (RN) nach diesem ersten Wahlgang stärkste Kraft: In der Region Provence-Alpes-Côte d'Azur (PACA) kam das RN auf 34,7 Prozent der Stimmen, dicht gefolgt von der Liste des Konservativen Renaud Muselier, die 33,7 Prozent der Stimmen erreichte. Die Prognosen, nach denen die Rechtsextremen in PACA unaufhaltsam vorn lagen, haben sich demnach nicht bewahrheitet.

Auch in der nordfranzösischen Region Hauts-de-France blieb das RN hinter den Prognosen zurück. Dort gewann der Republikaner Xavier Bertrand (43,1 Prozent der Stimmen) mit deutlichem Abstand vor dem Kandidaten der Rechtsextremen, Sébastien Chenu (24,4 Prozent der Stimmen). 2015 hatte Le Pen persönlich bei den Regionalwahlen in Hauts-de-France kandidiert und war im ersten Wahlgang auf 40 Prozent der Stimmen gekommen. Von diesem Vorsprung war nun nichts mehr übrig, im Gegenteil, die Rechtsextremen liegen knapp 20 Prozentpunkte hinter den Republikanern. Der Sieger des ersten Wahlgangs, Bertrand, ist der erste Republikaner, der auf nationaler Ebene bereits seine Kandidatur für die Präsidentschaft verkündet hat.

Für die Konservativen wurden, wenn man die Ergebnisse aller Regionen addiert, insgesamt 29,3 Prozent der Stimmen abgegeben. Das macht die Republikaner zur stärksten Partei der Regionalwahl. An zweiter Stelle folgt das Rassemblement National mit insgesamt 19,1 Prozent der Stimmen. Die Sozialisten kommen auf 16,5 Prozent, die französischen Grünen (EELV) auf 13,2 Prozent, die linke France Insoumise gemeinsam mit den Kommunisten auf 4,6 Prozent. Zusammengenommen kommen die linken Listen auf 34,3 Prozent der Stimmen. Endgültig entschieden wird die Regionalwahl am kommenden Sonntag, 27. Juni, in einem zweiten Wahlgang.

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