Ein sonntäglicher Überraschungscoup wühlt die französische Politik auf. Wären die Zeitungen nicht voll mit Hommagen an den Schauspieler Alain Delon, der am Wochenende im Alter von 88 Jahren gestorben ist, dann hätte dieser Coup der radikal linken Partei La France insoumise wohl fast alles Licht abbekommen. Und so war das auch gedacht: als große Blendaktion.
In einem Gastbeitrag in der Sonntagszeitung La Tribune Dimanche haben die „Unbeugsamen“ Emmanuel Macron mit einem Absetzungsprozedere gedroht für den Fall, dass er nicht bald die Kandidatin der vereinigten Linken, Lucie Castets, mit der Bildung einer neuen Regierung beauftrage. Der Präsident, schreiben sie, weigere sich nämlich bisher, der „demokratischen Grundregel“ zu folgen und den Willen des Volkes zu erfüllen. Es sei dies eine „Warnung in aller Form“. Gezeichnet ist der offene Brief von Parteichef Jean-Luc Mélenchon, Fraktionschefin Mathilde Panot und Koordinator Manuel Bompard, dem Spitzentrio also.
Das linke Wahlbündnis hat nur ganz knapp gewonnen
Tatsächlich hat das linke Wahlbündnis Nouveau Front populaire die Parlamentswahlen vom 7. Juli gewonnen, jedoch nur sehr knapp. Mit 193 Sitzen, wenn man auch die übrigen Linken dazuzählt, ist die Allianz fast hundert Stimmen entfernt von einer absoluten Mehrheit in der Assemblée nationale: Die liegt bei 289. Dennoch findet die Linke, sie habe es verdient, als Erste die Gelegenheit zu erhalten, eine Regierung zu formen – auch auf die Gefahr hin, dass sie dann nicht genügend Stimmen mobilisieren kann. Macron dagegen will das nicht. Er findet, wer regieren wolle, müsse schon eine Koalition präsentieren können, die einen Misstrauensantrag überstehe. Für kommenden Freitag, fast zwei Monate nach den Wahlen, wird er nun alle Fraktions- und Parteichefs im Élysée empfangen.
Mit ihrer „Warnung“ setzen die Mélenchonisten Macron unter Druck – allerdings nur ein bisschen. Viel zu befürchten hat der Präsident nicht.
Die Verfassung sieht zwar seit 2008 vor, dass der Staatschef in Fällen gravierenden Machtmissbrauchs mit einem Prozedere zur Amtsenthebung konfrontiert werden kann: Artikel 68. Doch die Gesetzgeber haben hohe, beinahe unüberwindbare Hürden angesetzt, damit es nicht leichtfertig angestrengt wird. Für gewisse Phasen des Verfahrens braucht es den Zuspruch von zwei Dritteln beider Kammern des französischen Parlaments. Einleiten lässt es sich aber relativ einfach: Es reicht dafür aus, dass zehn Prozent der Parlamentarier von einer der beiden Kammern den Antrag stellen, in der Assemblée nationale wären das 58 Abgeordnete; La France insoumise zählt deren 72. Und dann?
Sprengstoff für die mühsam geformte Einigkeit auf der Linken
Mélenchon will wohl nur die politische Agenda mitbestimmen mit seinem Manöver. Die politischen Kommentatoren im Land sind sich mehrheitlich einig darin, dass der linke Volkstribun ohnehin bereits auf die nächsten Präsidentschaftswahlen schaut – recht eigensinnig und ohne Skrupel, die mühselig geformte Einigkeit der Linken mit einem Sabotageakt wieder zu sprengen.
Vom offenen Brief erfuhren die drei Partner im Nouveau Front populaire erst am Vorabend vor dessen Publikation, und zwar per SMS. Sozialisten, Grüne und Kommunisten distanzierten sich von Mélenchons aggressiver Taktik. Olivier Faure, Chef des Parti socialiste, weist darauf hin, dass das Parlament die Möglichkeit habe, einen allenfalls unliebsamen Premierminister mit einem Misstrauensantrag zu verhindern. Die Sozialisten überlegen sich nun, ob sie am Freitag nicht besser ohne die France insoumise ins Élysée gehen wollen.
Und Macron? Der greife gerade zum Popcorn, schreibt die Zeitung Le Parisien. Nichts hilft ihm mehr, als wenn sich die Linke spaltet. Ziel des Präsidenten ist es ja, dass sich am Ende eine möglichst große Koalition bildet – ohne die radikale Linke und ohne die extreme Rechte -, in deren Zentrum seine Partei Renaissance stünde. Obschon sie die große Verliererin der Wahlen war.