Emmanuel Macron hat sich mal wieder ein neues Format für den Dialog und die Lösungsfindung ausgedacht. Wobei, neu ist es nur für die Franzosen, eine kulturpolitische Premiere. Frankreichs Präsident lud am Dienstag alle gemäßigten Parteien aus dem Parlament, die bei der Bildung einer neuen Regierung eine Rolle spielen möchten, zu sich ins Élysée ein. Damit die gemäßigte Linke, die Zentristen und die Bürgerlichen mal zusammensitzen, alle um einen Tisch, und miteinander über eine neue Regierung reden.
Das hört sich nicht revolutionär an, außer eben für die Franzosen. Die Fünfte Republik, im Gang seit 1958, sieht eher den ständigen Clash vor – und den Wechsel. Koalitionen, Kompromisse? Das sind Begriffe, die man bestenfalls aus dem Ausland kennt.
Eine richtige Koalitionsregierung ist nicht zu erwarten
Nun sollen die bisherigen Rivalen gemeinsam einen Weg aus der politischen Blockade finden. Seit dem Sturz von Premier Michel Barnier vor einer Woche hat Frankreich nur eine geschäftsführende Regierung. Eigentlich wollte Macron schnell einen neuen Regierungschef berufen. „In ein paar Tagen“, versprach er. Nun dauert alles etwas länger, und der Ausgang ist völlig offen. Das ärgert vor allem jene Herrschaften, die bereits als Favoriten für das Amt gegolten hatten, allen voran den Zentristen François Bayrou, den Präsidenten der Partei MoDem. Zunächst soll aber mit einem Sondergesetz ein Budget für die kommenden Monate aufgesetzt werden, damit es keinen Shutdown gibt und der Staat auch weiterhin die Löhne der Beamten entrichtet. So gewinnt Macron etwas Zeit. Nun will er den neuen Premier binnen 48 Stunden bekanntgeben.
Eine richtige, breit abgestützte Koalitionsregierung ist dennoch nicht zu erwarten: Dafür sind sich die Parteien rund um den Tisch bei aller Mäßigung ideologisch zu fremd. Vielmehr strebt man eine Art Nichtangriffspakt an, in dem sich alle Unterzeichnenden einigermaßen fest darauf verständigen, die neue Regierung nicht gleich wieder mit einer censure – einem Misstrauensvotum – zu Fall zu bringen.
Sozialdemokraten, Grüne und Kommunisten zeigten sich bereit, da mitzumachen – das gesamte linke Lager also abzüglich der radikal linken La France insoumise, der Partei von Jean-Luc Mélenchon. Aber natürlich stellten sie Bedingungen. Sie forderten, dass Macron eine Persönlichkeit aus der Linken zum Premierminister macht: zum Beispiel Lucie Castets, Finanzdirektorin der Pariser Stadtverwaltung, die von dem Wahlbündnis Nouveau Front populaire schon im Sommer nach den knapp gewonnenen Parlamentswahlen vorgeschlagen worden war. Sollte Macron aber entscheiden, einen Zentristen oder gar einen Republikaner mit der Regierungsbildung zu beauftragen, dann müsste der sich wenigstens auf einen neuen politischen Kurs verpflichten, der in ein gemeinsames Minimalprogramm gegossen würde.
Das Lamento von Le Pen ist etwas fadenscheinig
Nur, wie sähe dieser Kurs aus? Die Linke drängt zum Beispiel darauf, dass die erst kürzlich verabschiedete Rentenreform, das Paradegeschäft Macrons, revidiert wird. Doch die Macronisten und die Rechte sind dagegen. Finden sie einen Kompromiss, mit dem alle leben könnten? Oder die Migrationspolitik: Die Republikaner und ihr Innenminister Bruno Retailleau wollen unbedingt ein neues, schärferes Immigrationsgesetz aufsetzen, um das ideologische Terrain der extremen Rechten von Marine Le Pen zu besetzen. Die Linke will das verhindern, sie hält schon das bestehende Gesetz für zu scharf. Wenn die Linke wiederum nach „Steuergerechtigkeit“ ruft und höhere Steuern für die Unternehmen anmahnt, wehrt sich das Lager des Präsidenten: Macron ist besorgt, dass sein politisches Erbe abgewickelt wird.
Wie nur soll das alles zusammenpassen? Ein neues Format ist nun mal keine Garantie für eine Lösung. Es gibt auch Experten des französischen Politbetriebs, die meinen, Macron führe die Linke nur vor: In Wahrheit habe der Präsident keine Lust, politische Konzessionen einzugehen. Es soll nur so aussehen.
Kritisiert wird das Format auch von den Parteien, die bei den Gesprächen fehlen, den Lepenisten und den Mélenchonisten. Mélenchon sagte, er hoffe ja sehr, dass mindestens eine der linken Parteien „die Türe zuschlägt“. Und Le Pen klagt, Macron schließe mit seiner selektiven Einladung „Millionen Bürger“ aus, die im Sommer ihren Rassemblement National gewählt hätten. Das sei eine Respektlosigkeit. Das Lamento ist etwas fadenscheinig: Le Pen war es, die Barnier stürzte, obschon ihr der viel Mitsprache eingeräumt hatte. Längst nicht alle ihre Wähler haben diese Attacke verstanden. Nun fürchtet sich Le Pen vor einem Absturz in die Belanglosigkeit.