Am Freitag gab es schon wieder eine Enttäuschung. Am Mittag hieß es aus der Entourage von Frankreichs neuem Premierminister Michel Barnier, man könne vor dem Wochenende nicht mehr mit der Bekanntgabe des neuen Kabinetts rechnen, es gebe noch „letzte Anpassungen“. Die französischen Medien spekulierten da schon seit Stunden in Sondersendungen und Liveblogs, wer in der neuen Regierung sitzen könnte. Seit mehr als zwei Wochen ist Michel Barnier im Amt, allerdings ohne Ministerinnen und Minister. Noch „vor Sonntag“ solle das Kabinett stehen, hieß es am Freitag. Ob der Zeitplan dieses Mal eingehalten wird?
Am Donnerstagabend hatte es schon kurz so ausgesehen, als würde sich etwas bewegen. Barnier war auf dem Weg in den Elysée-Palast, um Präsident Emmanuel Macron eine Liste mit Namen zu präsentieren. Der Präsident ernennt in Frankreich die Ministerinnen und Minister auf Vorschlag des Premierministers. Noch während Barnier im Elysée-Palast saß, zitierten die französischen Medien die ersten Namen: Der Hardliner Bruno Retailleau, wie Barnier Mitglied der konservativen Republikaner, als potenzieller Innenminister. Die Interimschefin der Partei, Annie Genevard, als mögliche Landwirtschaftsministerin, die Senatorin Laurcence Garnier als Familienministerin.
Viele Linke wollen gar kein Ministeramt
Vor allem die letzte Personalie kam beim Präsidenten offenbar nicht gut an. Macron sei „alarmiert“, hieß es aus dem Elysée-Palast. Garnier unterstützte in der Vergangenheit Demonstrationen gegen die Ehe für alle und stimmte dagegen, das Recht auf Abtreibung in der Verfassung zu verankern.
Sähe die Regierung tatsächlich so aus, wie es die Namenslisten, die durch die französischen Redaktionen gereicht werden, vermuten lassen, hätte sie eine eindeutig rechte Schlagseite – und das, obwohl das Linksbündnis Nouveau Front Populaire bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juli stärkste Kraft geworden war. Barnier wollte eigentlich, das hatte er von Anfang an klargemacht und auch vom Präsidenten vorgegeben bekommen, eine „möglichst breite“ Regierung bilden. Tagelang sondierte er im Hôtel Matignon, seinem Pariser Amtssitz. Aber zahlreiche linke Politikerinnen und Politiker machten von Anfang an klar, dass ein Ministerium für sie nicht infrage komme.
Das Linksbündnis Nouveau Front Populaire, das bei der Wahl nur eine relative und keine absolute Mehrheit erzielte, hätte lieber selbst eine Minderheitsregierung gestellt. Aber Macron ernannte nun mal Michel Barnier zum Premier – obwohl dessen Republikaner mit nur 47 Abgeordneten eine der schwächsten Fraktionen in der Nationalversammlung sind. In der potenziellen neuen Regierung würden „die Verlierer der Wahl recycelt“, schimpfte Mathilde Panot, die Fraktionsvorsitzende der extrem linken La France Insoumise.
Der Regierung droht immer ein Misstrauensvotum
Die neue Regierung dürfte es schwer haben. Schließlich sind die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung unübersichtlich. Eine absolute Mehrheit, also 289 Sitze oder mehr, hat keine Partei. Macrons Partei und ihre Verbündeten zählen 166 Abgeordnete, Marine Le Pen und ihre Allianz 142. Das Linksbündnis NFP, das als stärkste Kraft aus der Wahl hervorging, hat 193 Sitze.
Für jedes Vorhaben müssen Barnier und seine Minister künftig um Mehrheiten werben. Das dürfte nicht so einfach werden. Selbst Gabriel Attal, Barniers Vorgänger als Premierminister und Vorsitzender der Macronisten-Fraktion, erklärte in dieser Woche, man unterstütze die neue Regierung nicht automatisch. „Wenn wir einen Kompromiss erzielen, wird der sein: Das Parlament entscheidet, und die Regierung setzt um.“ Weil die Regierung keine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung hat, droht ihr immer auch ein Misstrauensvotum. Stimmt eine absolute Mehrheit der Abgeordneten gegen die Regierung, muss sie zurücktreten.
Zwischen dem Präsidenten und seinem neuen Premier krisele es jetzt schon, war in den vergangenen Tagen in Paris zu hören. Eine erste Liste mit vielen konservativen Ministern, die Barnier ihm vorgelegt haben soll, soll Macron zurückgewiesen haben. Der Elysée-Palast sah sich Mitte der Woche gezwungen, das Gerücht zu dementieren, dass Barnier zurücktreten wolle. Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und seinem Premier sei „sehr gut“.
Eine Steuer-Bemerkung löst sofort Unruhe aus
In den vergangenen Tagen hatte Barnier Unruhe ins politische Paris gebracht, weil er laut darüber nachgedacht hatte, Steuern zu erhöhen. Er sei „für mehr Steuergerechtigkeit“, sagte er schon kurz nach seinem Amtsantritt. Das kam bei den Macronisten gar nicht gut an. Gabriel Attal drohte damit, dass niemand aus seinem Lager die neue Regierung unterstütze, wenn Barnier nicht klarmache, welche Steuerpläne er verfolge. Barniers Entourage ruderte zurück, die Gerüchte um Steuererhöhungen seien reine Spekulation, der Premier analysiere die Situation und schließe lediglich keine Möglichkeit aus.
Am 1. Oktober will Barnier seine Regierungserklärung abgeben. Bis zum Ende des Jahres muss der Haushalt für 2025 durch das Parlament. Die Vorstellung seiner Pläne dafür hat Barnier schon jetzt vorsorglich verschoben, vom 1. auf den 9. Oktober.
„Hoffen wir, dass diese Legislatur die kürzest mögliche ist“, sagte Marine Le Pen, die Fraktionsvorsitzende des extrem rechten Rassemblement national, in dieser Woche zu ihren Abgeordneten. Sie sei sich sicher, dass es im kommenden Jahr Neuwahlen gebe. Neue Parlamentswahlen sind in Frankreich erst zwölf Monate nach den vorangegangenen Parlamentswahlen möglich. Fast drei der zwölf Monate sind inzwischen schon vorbei.