Frankreich:Rassistische Obsession

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Der Täter von Bayonne war schon zuvor aufgefallen. Die Tat trifft das Land in einer Zeit, in der Frankreich erbittert über den Platz des Islam streitet.

Von Nadia Pantel, Paris

Vorsichtsmaßnahmen: Ein Polizist bewacht den Eingang einer Moschee im Südwesten Frankreichs. (Foto: dpa)

Ein 84-jähriger Mann, Claude S., hat am Montagnachmittag versucht, die Moschee im südfranzösischen Bayonne in Brand zu stecken. Er wurde an der Eingangstür des Gebäudes von zwei Männern überrascht und begann zu schießen. Die zwei Männer, ein 74-Jähriger und ein 78-Jähriger, wurden schwer verletzt, befinden sich aber außer Lebensgefahr. Der Tatverdächtige wurde noch am Abend in seinem Haus, im 20 Kilometer entfernten Saint-Martin-de-Seignanx verhaftet.

Laut Präfektur leistete S. bei seiner Verhaftung Widerstand und drohte damit, Handgranaten einzusetzen. Bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei Schusswaffen, aber keine Sprengsätze. Der ehemalige Soldat verfügte über Lizenzen, die ihm das Recht gaben, Schusswaffen zu besitzen. Der 84-Jährige gestand noch in der Nacht auf Dienstag.

Er habe mit seiner Tat die Brandkatastrophe von Notre-Dame rächen wollen, sagte der Staatsanwalt von Bayonne, Marc Mariée. Obwohl die Ermittler Brandstiftung im Falle der im April von einem Feuer stark beschädigten Kathedrale ausschließen, hält sich in rechten Kreisen die Verschwörungstheorie, radikale Muslime hätten das Bauwerk angezündet. S. scheint zu diesen Kreisen zu gehören. Sein Umfeld zeichnet von ihm das Bild eines Mannes, der von politischen Fragen besessen war, ein rassistisches Weltbild hatte. Der Fernsehsender BFM hat Nachbarn und Bekannte von S. befragt und zitiert diese so: "Er hatte rassistische Ansichten und verbarg sie nicht." Mitarbeiter des Rathauses von Bayonne sagten, dass S. seit Längerem das Rathaus nicht mehr betreten durfte, da er den Bürgermeister und dessen Mitarbeiter verbal angegriffen hatte.

S. hatte in der Rente begonnen, als Hobby-Bildhauer zu arbeiten, und wollte die Verwaltung überreden, seine Werke auszustellen. "Das war jemand, der Obsessionen hatte", sagte Francis Giraudie, Mitarbeiter des Bürgermeisters, der Agentur AFP. Der Regionalzeitung Sud-Ouest liegt ein Leserbrief von S. vor, in dem er ankündigt, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verklagen zu wollen. Sud-Ouest hatte entschieden, den Brief nicht zu veröffentlichen, "wegen seines xenophoben, diskriminierenden und diffamierenden Inhalts".

Dürfen Frauen, die ein Kopftuch tragen, ihre eigenen Kinder auf Schulausflügen begleiten?

2015 hatte S. für den rechtsradikalen Front National bei den Regionalwahlen kandidiert. Die Partei wurde in den Siebzigerjahren vom offen rassistischen und antisemitischen Jean-Marie Le Pen gegründet, heute leitet Le Pens Tochter Marine die Partei und hat sie in Rassemblement National (RN) umbenannt. Doch die Kernidentität des RN beruht nach wie vor auf der Ablehnung all dessen, was als "fremd" deklariert wird. Über S. heißt es in einer Stellungnahme, er sei 2015 aus der Partei ausgeschlossen worden, da er "Äußerungen" gemacht habe, die "dem Geist und der politischen Linie des Rassemblement National widersprechen". Welche Äußerungen das waren, gibt der RN nicht bekannt. Auf Twitter reagiert Le Pen auf den Angriff und sprach von einer "unglaublichen Tat", die "im Widerspruch zu allen Werten unserer Bewegung" stehe. Auch Emmanuel Macron äußerte sich: "Die Republik darf niemals den Hass tolerieren. Alles wird in die Wege geleitet, um die Täter zu bestrafen, und um unsere muslimischen Mitbürger zu beschützen. Dafür engagiere ich mich."

Der versuchte Anschlag trifft Frankreich in einer Zeit, in der das Land wieder einmal über den Platz des Islam in der Gesellschaft streitet. Aktuell entzünden sich die Debatten an der Frage, ob muslimische Frauen mit Kopftüchern ihre eigenen Kinder auf Schulausflügen begleiten dürfen. Das Gesetz hat diese Fälle klar geregelt: Sie dürfen, da nicht zum pädagogischen Personal zählen. Macron und sein Premierminister Édouard Philippe haben mehrfach versucht, die Debatte um das Kopftuch zu entdramatisieren, indem sie auf die Gesetze verwiesen. Gleichzeitig steht die öffentliche Debatte jedoch noch unter dem Eindruck des Attentats eines mutmaßlichen Islamisten in der Pariser Polizeipräfektur. Am 3. Oktober hatte ein Mitarbeiter der Behörde vier seiner Kollegen getötet.

Seit dem Attentat sprechen Macron und Innenminister Christophe Castaner verstärkt davon, dass der "Kommunitarismus", also das Entstehen islamisch geprägter Parallelgesellschaften, und der Islamismus entschieden bekämpft werden müssten. Allerdings gelingt es Castaner dabei nicht, eine klare Linie zu ziehen zwischen berechtigter Wachsamkeit und der Gefahr, Muslime unter Generalverdacht zu stellen. Der Präsident der Nationalen Beobachtungsstelle gegen Islamophobie, Abdallah Zekri, sagte der AFP über das Attentat von Bayonne: "In diesem aktuellen Klima der Stigmatisierung des Islams und der Muslime muss man sich nicht wundern, dass solche Taten verübt werden."

© SZ vom 30.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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