Wenn sich Europa jetzt Sorgen macht um Frankreich, dann vor allem wegen der Lepenisten. Die Jahrzehnte vergehen, doch manche Reflexe ändern sich nicht im politischen Familienunternehmen Le Pen, von Vater Jean-Marie und Tochter Marine, mögen das Auftreten und der Tonfall auch anders geworden sein. Das zeigt sich nun im betont nationalistischen und zum Teil offen fremdenfeindlichen Programm, das die Partei von Marine Le Pen, der rechtsextreme Rassemblement National, vor den Parlamentswahlen zusammengestellt hat. In aller Eile, wie das alle Bündnisse tun mussten, sie hatten nur ein paar Wochen Zeit.
Die Lepenisten sind die Favoriten der Wahl, es ist sogar möglich, dass sie in der Nationalversammlung eine absolute Mehrheit erreichen und den Premierminister stellen können. Für diese Rolle wäre Jordan Bardella vorgesehen, der erst 28-jährige Parteivorsitzende. Bardella war es auch, der das Programm in dieser Woche vorstellte. Vor versammelter Presse sagte er, mit ihm als Regierungschef würde wieder „Ordnung“ einkehren in Frankreich. Es gebe Dinge, die er sofort anpacken werde, „notfallmäßig“, und solche, die noch etwas warten könnten.
Für die Lepenisten gibt es Franzosen erster und zweiter Klasse
Als absoluten Notfall für das Land hat die Partei das Geburtsortsprinzip ausgemacht, das Ius soli. Es besagt: Wer in Frankreich auf die Welt kommt, erhält die französische Staatsbürgerschaft. Seit einem halben Jahrhundert träumen die Le Pens davon, dieses Prinzip abzuschaffen, zuerst der Vater mit dem Front National, dann die Tochter. Marine Le Pens politischer Ziehsohn Bardella, selbst ein Kind von italienischen Einwanderern, propagiert den Punkt so vehement wie seine Mentorin. Dennoch: So schnell geht das nicht. Und überhaupt stellt sich die Frage, ob eine solche Reform verfassungskonform wäre.
In Frankreich gilt das Geburtsortsprinzip seit 1515, erinnert der Historiker Patrick Weil in einem Beitrag in der Zeitung Le Monde. „Dieses republikanische Bodenrecht ist so sehr ein Pfeiler unserer nationalen Identität, dass nicht einmal das Regime von Vichy es angefasst hat.“ Doch für die Lepenisten ist dessen Abschaffung eine alte Obsession. Sie teilen die Franzosen in echte und halbechte auf, in Franzosen erster und zweiter Klasse. Zur zweiten Klasse gehören für sie auch die rund dreieinhalb Millionen Doppelbürger im Land. Früher hatten die Le Pens, wieder Vater und Tochter, eine Abschaffung des Doppelstatus verlangt: Die Doppelbürger sollten sich entscheiden, sagten sie immer. Gemeint waren vor allem franko-algerische und franko-marokkanische Bürger.
Im Wahlprogramm des Rassemblement National heißt es jetzt, dass Doppelbürger sich auf staatliche Arbeitsstellen in „strategischen Verwaltungen“ nicht mehr bewerben dürften, wenn die Partei an der Macht wäre. Das Kriterium ist absichtlich vage gehalten, damit es möglichst breit angewandt werden könnte.
Maximal 10 000 Einwanderer pro Jahr sollen ins Land kommen
Kern des Programms bleibt die Migration, das Paradethema des Rassemblement National. Die Partei will einführen, dass der französische Staat Migranten keine ärztliche Versorgung mehr garantiert, sondern ihnen nur noch in lebensbedrohlichen Notfällen hilft und für die Kosten aufkommt. Maximal 10 000 Einwanderer pro Jahr will der Rassemblement National ins Land lassen; Unternehmer warnen, das sei viel zu wenig. Familienzusammenzüge sollen erschwert werden, Rückführungen dafür vereinfacht. Kein illegaler Zuwanderer soll mehr legalisiert werden können. Das hatte die Postfaschistin Giorgia Meloni in Italien auch verheißen, bevor sie an die Macht kam; dann legalisierte sie Hunderttausende.
Zentral war und ist, unter dem Vater wie unter der Tochter, der nationale Vorzug; Marine Le Pen spricht von der „nationalen Priorität“. Dieser Grundsatz bedeutet, dass Franzosen immer bevorzugt werden sollen gegenüber Ausländern im Land, auch gegenüber jenen, die Steuern bezahlen – etwa bei der Vergabe von Sozialzuschüssen. „Frankreich ist kein Sozialhilfeschalter für die Welt“, sagt Bardella. Von 2027 an sollen Sozialwohnungen nur noch den Franzosen vorbehalten sein.
Dem Erziehungswesen verheißt Bardella einen „Big Bang der Autorität“: keine Handys mehr im Klassenzimmer bis hinauf in die Mittelschule, „Sonderzentren“ für Schüler, die „stören“; Uniformen bis ins Collège, die Sekundarschule.
Macrons Rentenreform zurücknehmen? Das dürfte schwierig werden
Ziel der Programmvorstellung war es auch, die Wirtschaft und die Finanzmärkte etwas zu besänftigen – mit möglichst wenigen kostspieligen Maßnahmen. Frankreich ist hoch verschuldet, jedes nicht bezifferte Versprechen wirkt wie eine Extravaganz. Bardella wird auch nicht müde, Präsident Emmanuel Macron für dessen Haushaltsführung anzugreifen: Er lasse sich keine Lektionen in vernünftigem Budgetieren erteilen, sagt er immer wieder, wenn seine Expertise hinterfragt wird.
Doch die Wähler erwarten dann doch ein paar Maßnahmen, die ihre Kaufkraft stärken könnten. Das „pouvoir d’achat“ ist eines der wichtigsten Schlagwörter in dieser kurzen Wahlkampagne. Viele Franzosen klagen darüber, dass ihre Kaufkraft geschwunden ist. Im Programm der Partei heißt es nun, dass sie schon im Sommer die Mehrwertsteuer auf Strom, Gas und Benzin von 20 auf 5,5 Prozent senken will. Kostenpunkt: zwölf Milliarden Euro pro Jahr; es sind aber wohl eher 17 Milliarden. Finanzieren will man das unter anderem, indem man die Beitragszahlung an die EU kürzt.
Bisher hatten die Lepenisten immer behauptet, sie würden Macrons Rentenreform sofort zurücknehmen und das Renteneintrittsalter wieder reduzieren – nicht nur auf 62 Jahre, sondern sogar auf 60 wie die Linke. Nun schieben sie diesen Plan fürs Erste auf, die Staatsfinanzen erlaubten es nicht.
Die habituelle Skepsis der extremen Rechten gegenüber erneuerbaren Energien trifft vorerst nur die Windräder: Bardella verkündete ein Moratorium für den Bau neuer Anlagen. Früher wollte Marine Le Pen auch die Solarenergie stutzen. Nun heißt es, man wolle vielmehr eine nationale Industrie für photovoltaische Panels aufbauen – und die Produkte möglichst mit Einfuhrzöllen vor der Konkurrenz aus dem Ausland schützen. Da hofft Bardella dann auf ein Mittun Europas. Da schon.