Süddeutsche Zeitung

Proteste in Frankreich:"Eine klare Warnung an Macron"

Hunderttausende Franzosen gehen auf die Barrikaden. Viele können sich das Leben nicht mehr leisten, sagt die Autorin Cécile Calla. Der Präsident sei nicht nur bei diesem Thema oft zu arrogant.

Interview von Leila Al-Serori

Hunderttausende Menschen, viele in gelben Warnwesten, demonstrieren seit fast zwei Wochen in Frankreich. Sie legten ganze Straßen lahm, es kam zu Ausschreitungen und Verletzten. Auslöser war die neue Ökosteuer auf Sprit, mit der Präsident Emmanuel Macron eine neue Klimapolitik einleitet. Doch längst protestieren viele Franzosen auch gegen den Präsidenten selbst. Sie prangern die soziale Ungleichheit im Land an, sie fühlen sich abgehängt und von der Regierung vergessen.

Am Dienstag hat Macron einen Schritt auf die "Gelben Westen" zugemacht und seine Reform etwas abgeschwächt. Doch die Wut, die viele auf die Straße bringt, wird damit nicht verschwinden, sagt die französische Journalistin und Autorin Cécile Calla. Macron müsse seine Politik sozial verträglich machen und sich den Franzosen besser als bisher erklären. Sonst drohe bei der Europawahl ein böses Erwachen.

Calla lebt und arbeitet in Berlin. Von 2006 bis 2010 war sie Korrespondentin der Tageszeitung Le Monde. Für das Buch "Que reste-t-il du couple franco-allemand?" wurde sie mit dem deutsch-französischen Parlamentspreis 2015 ausgezeichnet.

SZ: Frau Calla, viele Franzosen sind so wütend, dass sie seit bald zwei Wochen protestieren. Woher kommt dieser gewaltige Unmut?

Cécile Calla: Der Unmut ist zwar plötzlich sichtbar durch die Proteste und Barrikaden, aber er ist nicht plötzlich entstanden. Die hohe Arbeitslosigkeit oder die prekären Lebensbedingungen sieht man als Deutscher oft nicht. Man verbindet Frankreich mit Paris, mit Reichtum und Eleganz. Die Demonstranten sind aber aus ländlichen Regionen, den kleinen Städten oder aus der Peripherie. Dort, wo zuletzt Zugverbindungen gestrichen, Krankenhäuser geschlossen wurden, wo die Jobs rar sind. Sie fühlen sich von der Regierung vergessen und verachtet. Die neue Ökosteuer auf Sprit hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Macron hat am Dienstag diese Ökosteuer zum Teil einer größeren Klimapolitik Frankreichs erklärt. Kann er die Wut so mildern?

Die Franzosen haben durchaus verstanden, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel wichtig sind. Aber es gibt einfach Menschen, die sich schon jetzt das Tanken nicht mehr leisten können. Auf ihr Auto können sie aber nicht verzichten, wenn es an ihrem Wohnort kaum öffentliche Verkehrsmittel gibt. Macron muss die Umweltpolitk sozial verträglich machen. Die Umweltmaßnahmen sind natürlich wichtig, aber sie dürfen keine Luxusfrage sein.

Schon der Wahlkampf 2017 offenbarte eine Spaltung Frankreichs in Stadt und Land, arm und reich. Hat Macron seit seinem Amtsantritt die soziale Ungleichheit zu wenig ernstgenommen?

Er war nicht komplett untätig, für die Ärmsten der Ärmsten hat er schon einige Maßnahmen verabschiedet. Aber die, die jetzt demonstrieren, sind vor allem aus der Mittelschicht. Es sind Menschen, die arbeiten und deren finanzielle Mittel trotzdem knapp sind. Das hat natürlich nicht Macron alleine zu verantworten, sondern auch die Regierungen vor ihm. Schon 1995 machte Jacques Chirac Wahlkampf mit dem Thema "La fracture sociale", also mit dem "sozialen Bruch". Bereits damals wusste man, dass das Land gespalten ist, dass ein Teil der Bevölkerung sich abgehängt und vernachlässigt fühlt. Aber konkrete Maßnahmen gab es seither kaum. Etliche Korruptionsskandale haben dieses Gefühl der Ungerechtigkeit bei vielen Franzosen verstärkt.

Kritisiert wird an Macron auch, dass er zu abgehoben regiere. Nun hat er diesen Fehler zumindest eingestanden und auch kleine Zugeständnisse an die "Gelben Westen" gemacht.

Das war wichtig, denn diese Proteste sind eine klare Warnung an Macron und seine Art, wie er die Macht ausübt. Bisher hat er sich zu wenig erklärt, sich auch teilweise als Alleinherrscher stilisiert. Er hat einfach durchregiert - am Volk teilweise vorbei. Er hat zu wenig kommuniziert und wenn, kam es oft sehr arrogant rüber. Da hat er sich wohl selbst überschätzt. Die Menschen wollen das Gefühl haben, dass sie mit ihren Sorgen ernstgenommen werden. Und selbst wenn die "Gelben Westen" nicht organisiert auftreten und die Proteste wieder abflauen: Ihre Gründe auf die Straße zu gehen, sind damit nicht weg. Macron muss diese Proteste sehr ernstnehmen - und vor allem das, was sie über die französische Gesellschaft aussagen.

Es ist ja auch das erste Mal in Frankreich, dass eine Protestbewegung ohne Gewerkschaften und ohne Parteien, die dahinterstehen, so groß wird.

Ja, die Art und Weise, wie sie entstanden ist, ist neu. Also die Organisation über Social Media, die Heterogenität der Demonstranten und auch die Tatsache, dass sie sich über das ganze Land verteilen und nicht an ein Territorium gebunden sind.

Hier in Deutschland wird Macron immer noch als Macher und Hoffnungsträger gefeiert, in Frankreich selbst fordern die Demonstranten seinen Rücktritt. Wie passt das zusammen?

In Deutschland war und ist man beeindruckt von Macrons Reformeifer. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass er von Anfang an keine breite Mehrheit der Franzosen hinter sich hatte. Zur Wahl 2017 ist jeder vierte Franzose nicht gegangen, ein Teil der Stimmen war zudem ungültig. Man hat trotzdem auch in Frankreich gehofft, dass er etwas verändern kann. Aber die Menschen merken zu wenig Positives von den Reformen in ihrem Alltag. Ihre Geduld ist am Ende. Das zeigen nicht nur die Proteste, sondern auch Macrons Zustimmungswerte, die sehr niedrig sind.

Mit dem Unmut vieler Franzosen macht ja auch eine Politikerin sehr gut Stimmung seit Jahren: Marine Le Pen, Chefin von Rassemblement National. Inwiefern profitieren die Rechten von den Protesten?

Sie haben sich von Anfang an hinter die Bewegung gestellt und diese öffentlich unterstützt. Le Pen kann von der Wut gegen Macron natürlich profitieren. In den Umfragen zur Europawahl steht sie jetzt schon ganz vorne. Für Macron drängt daher auch die Zeit, die Stimmung im Land zu drehen. Wenn seine Regierung es nicht schafft, eine Politik zu machen, die auch bei den Menschen ankommt, dann wird sich das spätestens bei der Wahl im Mai in den Ergebnissen zeigen. Das würde ihn in seinem Amt schwächen.

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