Frankreichs neuer Premierminister:François Bayrou, der Tänzer auf der Mittellinie

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Der neue Premier: Emmanuel Macron hat sich für François Bayrou als Chef der neuen Regierung entschieden. (Foto: Thomas Samson/AFP)

Emmanuel Macron erteilt seinem treuen Weggefährten François Bayrou den Regierungsauftrag. An Ambitionen hat es dem Politiker vom Land nie gefehlt. Nun schafft er mit 73 Jahren den großen Sprung.

Von Oliver Meiler, Paris

François Bayrou ist bereit, und das schon seit Jahrzehnten. Seine Ambition auf hohe republikanische Weihen ist so sprichwörtlich, dass sie schon lang ein Running Gag der französischen Politik ist. Eine realsatirische Nummer fast. Immer wurde er übergangen. Und mit jedem Jahr wurde seine Ungeduld etwas größer, kein Wunder: Der Christdemokrat aus den Pyrenäen, Präsident der kleinen Zentrumspartei MoDem, ist ja auch schon 73 Jahre alt.

Nun, in einem der heikelsten Momente der Fünften Republik, hat ihn Präsident Emmanuel Macron zum Premierminister gemacht, weil er vielleicht genau das passende Profil dafür hat.

François Bayrou ist das personifizierte Zentrum der französischen Politik. „L’éternel centriste“, so wird er auch genannt, der ewige Zentrist. Mal steht er knapp rechts von der Mitte, mal knapp links. Er tanzt auf der Mittellinie, man könnte auch sagen: Er schwankt. Da nun Parteien miteinander auskommen müssen, die sonst gar nicht miteinander können, ist ein Vermittler zwischen der Rechten und der Linken fast unabdingbar, ein Brückenbauer. Einer mit langjähriger Erfahrung im Parlament auch, jetzt, da die innenpolitische Musik nicht mehr im Palais de l’Élysée spielt, dem Palast des Präsidenten, sondern im Palais Bourbon, dem Sitz der Nationalversammlung. Diese war noch nie so chaotisch seit 1958 wie gerade jetzt.

Sein größter Trumpf ist die ländliche Herkunft

Das alles ist Bayrou. Aber ob das ausreicht, um die Blockade im Parlament aufzulösen und sich länger im Amt zu halten als sein Vorgänger Michel Barnier? Der brachte es auf nur drei Monate. In den vergangenen Tagen, als er mal wieder als Favorit gehandelt wurde und sich alle fragten, ob es wohl wieder nichts werde mit dem immer bereiten Bayrou, sagte er zu seiner Entourage, die Planeten stünden auf einer Linie, die Ausgangslage sei also ideal. Er schaute auch mehrmals im Élysée vorbei, nie unbeachtet.

Bayrou ist schon der vierte Regierungschef in diesem Jahr. In Frankreich reden sie deshalb von „italienischen Verhältnissen“. Fairerweise muss man sagen, dass es in Italien selten mal mehr als zwei pro Jahr waren. Bayrou hofft, dass ihn die Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten nicht stürzen, weil er eben kein Rechter ist. Er ist auch kein purer Macronist, obschon er an der Seite Macrons steht, seit der 2017 zum Sprung an die Staatsspitze ansetzte. Bayrou ist dem Präsidenten immer treu geblieben. Aber er hat eben auch seinen eigenen Kopf, einen ziemlich sturen.

Der größte Trumpf Bayrous ist seine ländliche Herkunft, er weiß das, er kokettiert damit. Die Franzosen lieben die „France rurale“ und die Mythen, die diese umschwirren. Bayrou kommt aus Bordères, einer kleinen Gemeinde im Département Pyrénées-Atlantiques mit weniger als tausend Einwohnern, nicht weit von der spanischen Grenze. Sieht man von den Überseegebieten ab, gibt es kaum eine Gegend Frankreichs, die weiter entfernt ist von Paris und seiner elitären Welt als diese Ecke im Südwesten des Landes – auch sinngemäß. Darum war dieses Bündnis für Macron von zentraler Bedeutung: Bayrou rundete sein Image, er erdete ihn ein bisschen.

Er war schon Minister unter Präsident Mitterrand

Bayrou wuchs auf dem Bauernhof auf, und auch daran erinnert er immer gern, jetzt wieder, da die Bauern in Aufruhr sind. Seine Liebe zur Literatur brachte ihn an die Universität von Bordeaux, wo er klassische Philologie studierte, später wurde er Lehrer. Die Politik entdeckte er daheim, sein Vater war Bürgermeister von Bordères. Der Sohn brachte es 2014 nach mehreren Anläufen zum Bürgermeister von Pau, der nächsten größeren Stadt, 80 000 Einwohner, da war er aber längst eine nationale Figur. In den Neunzigern, als der sozialistische Präsident François Mitterrand mit den Bürgerlichen regieren musste, wurde Bayrou Erziehungsminister, für mehr als vier Jahre. Und er war beliebt im Volk.

Dreimal bewarb er sich für das Präsidentenamt. 2002 wurde er Vierter, 2007 mit fast sieben Millionen Stimmen sogar Dritter, vor Jean-Marie Le Pen vom extrem rechten Front National. 2012 wurde Bayrou in der ersten Wahlrunde nur Fünfter und rief dann zur Wahl des sozialistischen Kandidaten François Hollande auf. Und das hat ihm dessen Kontrahent Nicolas Sarkozy nie verziehen, bis heute nicht. In den vergangenen Tagen, so hört man aus gut informierten Kreisen, soll Sarkozy mehrmals auf Macron eingeredet haben, um Bayrou zu verhindern – ohne Erfolg. Es ist daher gut möglich, dass die Sarkozyisten in den Reihen der Républicains die Berufung von Bayrou mit viel Skepsis entgegennehmen. Und das ist ein Problem: Die Partei braucht der neue Premier zum Regieren.

Bayrou braucht aber auch die Sozialisten, die Grünen und die Kommunisten – zumindest muss er darauf zählen können, dass die in den kommenden Monaten keinen Misstrauensantrag gegen ihn unterstützen und ihn stürzen. Das ist das gesetzte Ziel: ein Nichtangriffspakt. Zu mehr wird es wahrscheinlich nicht reichen, wenn Bayrou nun die Gespräche für die Bildung einer neuen Regierung aufnimmt. Die Hilfe eines Teils der Linken käme von außen: Für Ministerposten stehen sie nicht zur Verfügung.  Schließlich hätten sie selbst den Premier stellen wollen. Für viele Linke ist Bayrou eben doch auch ein Ausdruck des Macronismus, dessen Miterfinder gewissermaßen.

Seine recht breite Verträglichkeit wäre Bayrou beinahe zum Verhängnis geworden. Auch die Lepenisten können ganz gut mit ihm, wenigstens hat er sich immer um einen umgänglichen Ton mit der extremen Rechten bemüht. Neulich zeigte er sich solidarisch mit Marine Le Pen, nachdem die Pariser Staatsanwaltschaft in einem Prozess wegen veruntreuter Gelder eine Haftstrafe und den Entzug des passiven Wahlrechts für fünf Jahre gefordert hatte. Würde sie nach diesem Strafmaß verurteilt, wäre sie ausgeschlossen von der nächsten Präsidentschaftswahl.

Die Solidarität kommt allerdings nicht von ungefähr. Auch Leute aus Bayrous MoDem wurden in einem fast identischen, aber viel kleineren Fall verurteilt. Parteipräsident Bayrou selbst kam ungeschoren davon, der Schrecken sitzt aber noch immer tief. Wäre er verurteilt worden, wäre es wieder nichts geworden mit der Beförderung in die hohen Sphären der Republik.

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