Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Zemmour will Präsident werden

Der rechtsextreme Meinungsjournalist Éric Zemmour hat nun offiziell erklärt, bei der Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich anzutreten. Er greift mit seinem Timing bewusst die Konservativen an.

Von Thomas Kirchner, München, und Nadia Pantel, Paris

Die wochenlangen Spekulationen haben ein Ende: Éric Zemmour kandidiert bei der französischen Präsidentschaftswahl im April 2022. Zemmour verbreitete seine Kandidatur als Videobotschaft über Youtube. Dem Rechtsradikalen ist es gelungen, einen solchen Wirbel um seine Person zu entwickeln, dass die Nachrichtensender sein Video ebenfalls live und ungeschnitten verbreiteten. Inhaltlich deckte sich der Film mit dem Buch, mit dem Zemmour in diesem Herbst auf Lesereise durch Frankreich tourte: Dem Land drohe der Untergang, nur Zemmour könne es noch retten. Der Titel des Buches lautet "Frankreich hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen" und reiht sich ein in das in Frankreich sehr erfolgreiche Genre der Niedergangsliteratur.

Der 63-jährige Zemmour begann seine Karriere als Werbetexter, wurde dann Meinungsjournalist, der durch immer schärfere Polemiken auffiel. Von 2019 an hatte er auf den Infosender CNews eine tägliche Sendung, in der er über Politik sprach und mit der er ein Millionenpublikum erreichte. Seine ungefiltert rassistischen Auftritte bei dem Sender brachten Zemmour mehrfach den Vergleich mit Donald Trump ein, CNews wiederum wurde nach dem Vorbild des US-Senders Fox News entwickelt. Die Wandlung vom Kommentator zum Politiker vollzog Zemmour in diesem Sommer. Seit August kokettiert er mit seiner Präsidentschaftskandidatur, die nun offiziell ist.

In Umfragen erreichte Zemmour zuletzt 13 Prozent. Addiert man seine Zustimmungswerte mit denen Marine Le Pens, kommt man auf rund 30 Prozent. Glaubt man den Umfragen, erwägt also ein Drittel der französischen Wähler, bei der kommenden Wahl für eine oder einen Rechtsextremen zu stimmen. Aktuell treten Zemmour und Le Pen allerdings als Konkurrenten auf.

Zemmour tritt deutlich radikaler auf als Le Pen

In zwei Punkten unterscheiden sich Zemmour und Le Pen. Zemmour tritt erstens deutlich radikaler auf, spricht von einem bevorstehenden Bürgerkrieg und setzt auf ständige Provokation, während Le Pen sich in den vergangenen Jahren bewusst gemäßigt zeigte. Zweitens erreicht Zemmour durch seine ständigen Verweise auf die historische Größe Frankreichs und seinen intellektuellen Habitus eine bürgerliche Wählerschicht, die von Le Pens sozialistisch angehauchter Wirtschaftspolitik abgeschreckt wird.

In seinem Kandidaturvideo versuchte Zemmour sich als Wiedergänger von Charles de Gaulle zu inszenieren. Er sprach in ein altmodisches Mikrofon, das an jenes erinnern sollte, über das de Gaulle am 18. Juni 1940 zum Widerstand gegen die deutschen Nationalsozialisten aufrief. Zemmour las seine zehnminütige Präsidentschaftsbewerbung vom Blatt ab, was - je nach Interpretation - sein Selbstverständnis als Schriftsteller unterstrich, oder dazu führte, dass man ihm kaum in die Augen sehen konnte. Inhaltlich baute das Video auf drei Ebenen auf:

Zunächst ein Zusammenschnitt von Bildern, die Überfälle und Angriffe zeigen und den Niedergang Frankreichs belegen sollen. Dann eine längere, von Geigenmusik unterlegte Partie, in der Archivbilder der 1950er-Jahre gezeigt wurden, als Symbol einer guten, alten Zeit. Schließlich Zemmours zentrale Analyse: Franzosen seien zu "Exilanten in ihrem eigenen Land" geworden. Die Migration sei "nicht der Grund all unserer Probleme, aber sie verschlimmert alle Probleme, die wir haben". Er wolle Präsident werden, damit künftig Kinder "nicht in Barbarei" aufwachsen. Für mehr Furore als das Video selbst sorgte am Nachmittag die Tatsache, dass Zemmours Team sich nicht um die Bildrechte für die verwendeten Filmschnipsel gekümmert hatte und unklar war, ob der Film weiter gezeigt werden könnte.

Das Timing von Zemmours Kandidatur ist mit Bedacht gewählt. Es geht nicht zuletzt darum, der Konkurrenz auf konservativer Seite die Schau zu stehlen. Denn von Mittwoch an bestimmen Les Républicains (LR) ihren Kandidaten, in zwei elektronischen Wahlgängen, deren Ausgang am Samstag verkündet wird. Es ist der Endpunkt eines monatelangen Auswahlprozesses. Die Hoffnung vieler Parteistrategen, dass sich eine Art "natürlicher" Kandidat herausmendeln würde, hat sich nicht erfüllt.

Bis zuletzt ist das Rennen offen geblieben zwischen der Frau und den vier Männern, die sich zur Nachfolge von Präsidenten wie Jacques Chirac oder Nicolas Sarkozy berufen fühlen: Valérie Pécresse, 54, Präsidentin der Hauptstadtregion Île-de-France, Michel Barnier, 70, der ehemalige Brexit-Verhandler der EU, Xavier Bertrand, 56, Mann aus dem Norden und Präsident der Region Hauts-de-France, Éric Ciotti, 56, Abgeordneter aus dem südlichen Nizza, sowie der Arzt und frühere Europaabgeordnete Philippe Juvin, 57.

Zemmour wirkt wie ein imaginärer Stichwortgeber für die Kandidaten der Républicains

Vier Mal traten die fünf im Fernsehen gegeneinander an, zuletzt am Dienstagabend, im Schnitt etwa zweieinhalb Stunden jeweils. Diese gewaltige Menge Sendezeit erinnert eher an die Jahre vor Macron, als die Konservativen noch eine der zwei großen Volksparteien waren. Heute hingegen bangen die Républicains, ob sie es 2022 überhaupt in die Stichwahl schaffen können. Was bleibt von den Debatten? Leichte Vorteile für Barnier, Pécresse und Bertrand, vor allem aber der Eindruck, dass auch Zemmour als imaginärer Stichwortgeber immer anwesend zu sein scheint, seine Themen, seine Ideen, sogar seine Sprache. Keiner wagt es, sich eindeutig abzugrenzen von dem rassistischen, xenophoben Konkurrenten. Ciotti, der am weitesten rechts Stehende der fünf, biedert sich ihm sogar an, übernimmt seine Theorie vom angeblich geplanten "großen Bevölkerungsaustausch" und verspricht, ihn in der Stichwahl unterstützen zu wollen.

Innere Sicherheit, Abwehr von Immigranten, der Wunsch, Frankreich wieder zu alter Größe zu führen, darum kreisen die Debatten. Die Kandidaten sind bemüht, möglichst tough, gerne auch etwas gnadenlos zu erscheinen im Kampf gegen Kriminalität und Gesetzlosigkeit, die, so der vermittelte Eindruck, vor allem von Einwanderern ausgehe. Und selbst Barnier, der außerhalb Frankreichs als großer Europäer gilt, meint, sich hier keine Blöße geben zu dürfen. Seine Aussage, Frankreich müsse die "rechtliche Souveränität" zurückgewinnen und notfalls auch die europäische Rechtsprechung infrage stellen, hat viele ebenso überrascht wie seine Forderung, die Migration nach Europa drei bis fünf Jahre lang komplett zu stoppen, bis auf ein paar "echte Flüchtlinge".

An den Républicains, der bürgerlichen Rechten, ist der Rechtsruck der französischen Politik wohl am deutlichsten abzulesen. Sicher ist: Ein Sieg der Républicains würde das deutsch-französische Verhältnis einem Belastungstest unterziehen. Vor allen Dingen wegen der deutlich zur Schau gestellten EU-Skepsis der Kandidaten. 140 000 zahlende Mitglieder der LR werden nun abstimmen. Die Hälfte von ihnen ist erst in den vergangenen Monaten dazugekommen. Für welchen der Kandidaten sie sich entscheiden werden, ist nicht abzusehen.

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