Frankreich:Es wird knapp

Frankreich: Emmanuel Macron spricht am Tag nach seinem Sieg in der ersten Wahlrunde mit Bauarbeitern im nordfranzösischen Denain.

Emmanuel Macron spricht am Tag nach seinem Sieg in der ersten Wahlrunde mit Bauarbeitern im nordfranzösischen Denain.

(Foto: Lewis Joly/AFP)

Emmanuel Macron hat gute Aussichten, auch die zweite Runde der Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Aber dafür muss er jetzt die Ärmel hochkrempeln.

Von Thomas Kirchner, Paris

Emmanuel Macron gegen Marine Le Pen: Eine Wiederholung von 2017 wird es also geben in Frankreich, das ist das Ergebnis des ersten Wahlgangs. Mit dem großen Unterschied, dass es diesmal sehr viel knapper werden wird als vor fünf Jahren. 51 bis 54 Prozent der Wähler würden sich laut Umfragen am 24. April für den Amtsinhaber entscheiden. Das ist kein Vorsprung, der ihn beruhigen könnte.

Was Macron nun machen muss, ist ihm offensichtlich klar: Ärmel hochkrempeln und sich in den Wahlkampf stürzen. Mangels Präsenz vor der ersten Runde hat er viel nachzuholen. Und eigentlich beherrscht er das direkte Gespräch mit Menschen, das hat er bei den Bürgerdialogen gezeigt, mit denen er den Protest der Gelbwesten eindämmen konnte.

Seine Problemzonen zeigt der Blick auf die regionale Verteilung des Ergebnisses. Wie 2017 dominierte Le Pen am nördlichen, östlichen und südlichen Rand des Landes sowie im Südwesten an der spanischen Grenze. Die Alters- und die soziale Verteilung deuten an, dass Macron sich besonders den jungen Wählern sowie den Arbeitern und Angestellten widmen sollte. Bei den Führungskräften hat er schon gewonnen. Le Pen wiederum punktete bis auf die Rentner quer durch alle Altersklassen.

Am Montag fing der Präsident im Norden an, mit einem Besuch in der Region Hauts-de-France bei Lille, einer Gegend, in der Le Pen extrem stark ist. In der Stadt Denain, wo er auftrat, einem früheren Kohlerevier an der belgischen Grenze, kam Le Pen auf fast 42 Prozent, Macron auf 15. Gleichzeitig blieben hier mehr als 37 Prozent der Wahl fern, es gibt also noch Potenzial für die zweite Runde. In einem Gespräch mit zwei erbitterten Bürgerinnen versuchte der Präsident seine umstrittene Äußerung von Anfang Januar, er werde die Nicht-Geimpften "hart angehen" (emmerder), geradezurücken. Er habe das "liebevoll" gemeint, sagte er.

Am Dienstag folgt Straßburg, wo wiederum der Linksaußen-Politiker Jean-Luc Mélenchon fast sensationell gut abschnitt und teilweise mehr als 36 Prozent der Stimmen holte. Am Wochenende Marseille, wo Mélenchon mit mehr als 31 Prozent gewann und wo die Wahlabstinenz mit 32 Prozent ebenfalls hoch ist.

Was macht das Lager Mélonchons?

Andererseits muss Macron versuchen, die "republikanische Front" gegen Le Pen wiederaufleben zu lassen, die 2017 so stark war, dass am Ende zwei Drittel der Wähler für ihn stimmten. Er muss klarmachen, was eine Präsidentschaft der Rechtsextremistin bedeutete, die sich vom Nachbarn Deutschland entfernen und EU-kritischen Ländern wie Polen oder Ungarn annähern würde. Und die vermutlich den europäischen Zusammenhalt im Konflikt mit Russland schwächen würde. Die Franzosen, sagte Finanzminister Bruno Le Maire am Montag, hätten nun die Wahl zwischen einer "Alliierten von Putin" und einem Präsidenten, der Frankreich an die Spitze Europas geführt habe. Würde sie gewählt, übernähme Le Pen als EU-Ratspräsidentin unmittelbar das Ruder in Europa - eine Aussicht, die die Nervosität in Brüssel und Berlin erklärt.

"Ich möchte allen die Hand ausstrecken, die für Frankreich arbeiten wollen", sagte Macron in der Wahlnacht, eine "große politische Bewegung der Einheit und des Handelns" müsse gegründet werden. Er sei bereit, etwas "Neues" zu erfinden. Auffällig war, dass er alle ausgeschiedenen Kandidaten einzeln beim Namen nannte und sich bedankte.

Entscheidend wird es auf das Lager Mélenchons ankommen, der sich dank eines fulminanten Wahlkampf-Endspurts auf knapp 22 Prozent steigern konnte. Viele seiner Anhänger halten Macron für einen geradezu teuflischen Menschen, sie werfen ihm vor, Steuern für die Reichen gesenkt und Sozialleistungen wie das Wohngeld gekürzt zu haben. Auch die robusten Polizeieinsätze gegen die Gelbwesten stehen ihnen noch vor Augen. In Städten wie Lyon brachten Linke ihren Protest in der Wahlnacht mit Angriffen auf Polizisten und dem Zünden von Raketen zum Ausdruck. "Es macht mich so wütend, dass ein Mann, der fünf Jahre alles zerstört hat, weitermachen kann", sagte ein vermummter Jugendlicher im Fernsehen. "Darauf kann ich nur mit Feuer und Gewalt antworten."

Dieses linke, aber auch das konservative Lager wird Le Pen nun ansprechen. Sie wird die Stichwahl zu einem "Referendum gegen Macron" erklären und eine Art "Koalition der Wut" erschaffen wollen. Alle, die nicht für den Präsidenten gestimmt hätten, sollten sich ihr anschließen, sagte sie am Sonntagabend. Und möglichst auch viele bisherige Nichtwähler. Das Lager des noch weiter rechts stehenden Éric Zemmour (7,1 Prozent) hat sie ohnehin auf ihrer Seite; der Ex-Publizist sprach eine klare Wahlempfehlung für sie aus.

Le Pen wirkt selbstsicherer und weniger rau

Le Pen wird sich wohl - auch wenn ihr Programm ganz anderes verspricht - noch stärker als gemäßigte, "normale" und vor allem volksnahe Politikerin präsentieren. Für den Austritt Frankreichs aus dem Euro wirbt sie schon lange nicht mehr und hetzt auch kaum noch gegen Migranten, zumindest nicht im Wahlkampf. Stattdessen stellt sie die Sozialpolitik in den Vordergrund und macht Vorschläge, die durch die Inflation bedrohte Kaufkraft der Franzosen zu stärken. Dass sie damit schon im Herbst begonnen hatte, verleiht ihr Glaubwürdigkeit. Für sie spricht, dass sie zuletzt eine erhebliche Dynamik entfachen konnte, gegenüber 2017 gewann sie in der ersten Runde mehr als zwei Prozentpunkte hinzu. Laut einer Umfrage erwägen 30 Prozent der Mélenchon-Wähler, in der Stichwahl zu ihr zu wechseln, obwohl der linke Kandidat explizit forderte, Le Pen solle "nicht eine Stimme" bekommen.

In Le Pens Team heißt es auch, sie habe aus der Niederlage 2017 gelernt, als sie im TV-Duell mit Macron übermäßig aggressiv wirkte, was sie viele Stimmen kostete. Wenn sie dem Liberalen am Mittwoch in einer Woche gegenübersteht, werde sie besser vorbereitet sein, heißt es, zumal sie im Auftritt inzwischen selbstsicherer und gleichzeitig weniger rau wirkt.

Den traditionellen Parteien blieb am Montag nur, den abermaligen Schock dieser Wahl zu verdauen, die das Ende des gewohnten politischen Systems unterstrich. 4,9 Prozent für Valérie Pécresse sind ein Debakel für die konservativen Républicains, die die Hälfte aller Präsidenten der Fünften Republik gestellt haben. Auch die Sozialisten werden sich nach den 1,7 Prozent für Anne Hidalgo neu erfinden müssen. Und die Grünen, die mit Yannick Jadot nur 4,6 Prozent holten, geraten nun sogar in existenzielle Not. Erst ab fünf Prozent hätten sie einen großen Teil der Wahlkampfkosten vom Staat erstattet bekommen. Die grüne Parteiführung rief zu Spenden auf.

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