An Zufall kann niemand glauben, wie auch? Am Tag der mit viel Spannung und ebenso viel Sorge erwarteten Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele von Paris ist das französische Netz der Hochgeschwindigkeitszüge TGV „massiv attackiert“ worden, wie es die nationale Eisenbahngesellschaft SNCF nannte. Man geht von einer minutiös geplanten, koordinierten Operation aus. An drei neuralgischen Stellen hatte es am frühen Morgen, um etwa vier Uhr, Brandanschläge auf Kabelkästen gegeben, die der Signalgebung und der Weichenstellung dienen. Der Vandalismus war schnell erkannt; Unfälle gab es nicht.
Doch gleich drei große Achsen des Streckennetzes waren dadurch fast ganz lahmgelegt: von Paris in den Westen, in den Norden und den Osten. Eine weitere Aktion auf der Linie in den Südosten, die gerade während der Sommerferien besonders strategisch ist, konnte verhindert werden: Sie war nach demselben Muster geplant gewesen wie die anderen; Bahnbeamte und Gendarmen überraschten die Täter, die allerdings in Lieferwagen fliehen konnten.
800 000 Passagiere waren betroffen. An den drei großen Pariser Bahnhöfen Gare Montparnasse, Gare du Nord und Gare de l’Est war das Chaos groß. Viele Züge fielen aus, andere wurden auf das normale, langsame Netz verlegt.
Die Polizei fand Behälter mit Benzin
Die SNCF ging davon aus, dass sie das ganze Wochenende brauchen würde, um die Schäden zu reparieren. „Das sollte ein Fest werden“, sagte Jean-Pierre Farandou, der Chef der Bahngesellschaft. Jetzt sei nur Tristesse. Wer die SNCF angreife, greife ganz Frankreich an. Das Ausmaß der Sabotage sei „beispiellos“.
Zunächst gab es keine offiziellen Hinweise darauf, wer hinter der Operation stehen könnte, ob es sich um eine französische oder um eine ausländische Täterschaft handelt und was deren Motive gewesen sind. Bemerkenswert ist, dass die Täter offensichtlich genau wussten, welche Einrichtungen potenziell den größten Schaden verursachen würden. An den Tatorten fand die Polizei Behälter mit Benzin. Es laufen Ermittlungen. Am vergangenen 8. Mai, als die olympische Flamme nach Marseille kam, hatte es zwischen der Hafenstadt und dem nahen Aix-en-Provence eine ähnliche Aktion gegeben – ohne Folgen und ohne klare Fährte.
Die Befürchtungen, dass es rund um diese Spiele Sabotageaktionen, russische Cyberattacken und womöglich terroristische Attentate geben könnte, waren so groß gewesen, dass man in Frankreich in den vergangenen Monaten wenig über Sport und stattdessen sehr viel über Sicherheit debattiert hatte. Paris ist noch immer gezeichnet von den dramatischen islamistischen Attentaten von 2015 auf die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo im Januar und auf die Konzerthalle Bataclan, die Caféterrassen im 10. und 11. Arrondissement sowie auf das Stade de France im November. Die geopolitische Weltlage, mit den Kriegen in Nahost und in der Ukraine, verschärfte die Sorge zusätzlich.
Zum Schutz der Eröffnungsfeier wurden 45 000 Sicherheitsleute aufgeboten
Besonders ausgeprägt war sie immer im Zusammenhang mit der Eröffnungsfeier vom Freitagabend. Normalerweise finden diese olympischen Großzeremonien jeweils in Sportstadien statt, einigermaßen leicht abzusichern. Doch die Franzosen wollten eine möglichst spektakuläre Feier veranstalten, etwas, das es noch nie gegeben hat: auf der Seine. Mit Hunderttausenden Zuschauern an den Ufern. Mit Tausenden Athleten, die auf den Booten ihrer Länderdelegation die sechs Kilometer vom Pont d’Austerlitz zum Trocadéro transportiert würden.
45 000 Sicherheitsleute mussten dafür aufgeboten werden, ganze Viertel wurden für eine Woche abgeriegelt, deren Bewohner konnten sich nur noch mit einem Pass mit QR-Code bewegen. Der Flugraum über der Stadt wurde für die gesamte Zeit der Feier gesperrt. Das Innenministerium setzte außerdem für die Zeit der Olympischen Spiele mehr als hundert Personen unter Hausarrest, die schon wegen islamistischer Aktivitäten inhaftiert gewesen waren und von denen die Behörden denken, sie könnten noch immer gefährlich sein.
Der Aufwand zur Sicherung der Eröffnungsfeier war so enorm, dass man sich in Frankreich fragte, ob es nicht viel gescheiter gewesen wäre, einen Plan B oder C zu aktivieren und die Eröffnung vielleicht doch ins Stade de France zu verlegen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte aber unbedingt an der Feier auf der Seine festhalten, daran hatte man seit sieben Jahren gearbeitet. Zunächst sollten zwei Millionen Zuschauer zugelassen werden, dann wurde die Zahl auf eine Million verringert, am Ende auf 300 000.
Die französischen Nachrichtensender hatten ihre Programmierung am „Jour J“, dem Olympia-Eröffnungstag, ganz auf den Abend ausgerichtet – in der Hoffnung, dass die Sorge der Franzosen sich schnell in Euphorie verwandeln würde. Doch als die ersten Eilmeldungen eintrafen über die Brandanschläge auf die TGV-Linien, lag dann schnell wieder alle Aufmerksamkeit auf der Sicherheitslage.