Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Abschieben, ausbürgern, strafen

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Nach dem Streit über die Behandlung der Roma ist der nächste Konflikt zwischen Frankreich und der EU schon programmiert: Die Regierung will mit einem neuen Einwanderungsgesetz härter gegen kriminelle Migranten vorgehen.

Stefan Ulrich, Paris

Mit einem Bündel strenger Vorschriften setzt die französische Regierung ihre Offensive in der Ausländerpolitik fort. Einwanderungsminister Éric Besson präsentierte der Nationalversammlung am Dienstag ein Immigrationsgesetz mit hundert zum Teil sehr umstrittenen Artikeln. Manche Vorschriften könnten zu Verwerfungen mit der EU-Kommission führen, die mit Frankreich bereits wegen der Behandlung der Roma im Streit liegt. Die Opposition möchte wegen einiger der neuen Bestimmungen das französische Verfassungsgericht anrufen. Besson versichert dagegen, die Regierung wolle die Autorität des Staates wiederherstellen. Er wünsche sich sein Einwanderungs- und Integrationsministerium als eine "Maschine, die gute Franzosen fabriziert".

Das Immigrationsgesetz sollte ursprünglich lediglich einige europäische Vorschriften ins französische Recht umsetzen. Doch dann forderte Nicolas Sarkozy in einer Rede Ende Juli seine Regierung auf, schärfer gegen Kriminelle und illegal im Land lebende Ausländer vorzugehen. Aus diesem Wunsch des Präsidenten soll nun Gesetz werden.

Am meisten Aufsehen erregt das Vorhaben, eingebürgerten Franzosen die Staatsangehörigkeit wieder zu entziehen, wenn sie Polizisten nach dem Leben trachten. Derartige Fälle kommen zwar selten vor, wie Besson einräumt. Die Aberkennung der Staatsbürgerschaft habe aber eine "große symbolische und republikanische Tragweite". Die Opposition findet, die Maßnahme sei typisch für die Sicherheitspolitik der Regierung. Sie suggeriere Stärke und sei in der Praxis wirkungslos.

Juristen zweifeln außerdem, ob die Aberkennung der Staatsbürgerschaft verfassungsgemäß ist. Sie soll nur solche Franzosen treffen, die noch keine zehn Jahre eingebürgert sind. Damit würden Franzosen erster und zweiter Klasse geschaffen, obwohl die Verfassung eine unterschiedliche Behandlung der Bürger wegen deren Herkunft verbietet.

Mehrere von Bessons Vorschriften zielen darauf ab, Abschiebungen von illegal im Land lebenden Ausländern zu erleichtern. So soll die zulässige Dauer der Abschiebehaft von 32 auf 45 Tage erhöht werden. Einwanderergruppen, die nicht an den üblichen Grenzstationen eintreffen, wie etwa Bootsflüchtlinge, sollen künftig in speziellen "Wartezonen" festgehalten werden, bis über ihre Anträge entschieden ist. Zudem möchte Besson den Rechtsschutz gegen Abschiebungen "vereinfachen" - beziehungsweise verschlechtern, wie die Kritiker finden.

Auch EU-Bürger sind von dem Gesetz betroffen. Demnach können sie aus Frankreich gewiesen werden, falls sie das dreimonatige Bleiberecht durch mehrmaliges Ein- und Ausreisen missbrauchen. Unionsbürger sollen auch dann ausgewiesen werden, wenn sie eine "unvernünftige Belastung" für den Sozialstaat darstellen oder - etwa durch penetrantes Betteln - die öffentliche Ordnung stören. Wer vermutet, solche Regeln zielten vor allem auf die Roma, der steht nicht allein. Die EU-Kommission dürfte sich das neue Gesetz genau ansehen.

Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International bezeichnen die "Loi Besson", wie das Gesetz genannt wird, als "unwürdig für einen Rechtsstaat". Sie wollten am Abend vor der Nationalversammlung demonstrieren. Auch die Sozialisten kündigten eine "harte Schlacht" an. Diese dürften sie in der Nationalversammlung, in der die Regierung klar die Mehrheit hat, verlieren. Im Senat könnten sie einige Korrekturen erreichen. Das letzte Wort werden wohl ohnehin die Verfassungsrichter sprechen.

Die scharf und polemisch geführte Ausländerdebatte dieser Wochen bedeutet jedoch nicht, dass Frankreich ein verschlossenes Land geworden ist. Die Republik baut nach wie vor auf einer großen Einwanderungstradition auf. Bereits im 19.Jahrhundert, als aus anderen europäischen Staaten Millionen Menschen emigrierten, zogen Arbeiter aus ganz Europa nach Frankreich. Diese Entwicklung setzte sich im 20.Jahrhundert fort und machte Frankreich zu einem besonders vielfältigen Land. Der Historiker Gérard Noiriel spricht vom "Amerika Europas". Bezogen auf die Bevölkerungsgröße ist Frankreich noch immer der europäische Staat, der am meisten Asylbewerber anzieht und die meisten Menschen einbürgert. Im vergangenen Jahr wurde 108.000 Ausländern die Staatsangehörigkeit verliehen. 48.000 Menschen beantragten Asyl. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 32.000 Menschen.

Viele Franzosen beklagen jedoch, die Integration der Zugezogenen misslinge zu häufig. Sie fürchten, dass Parallelgesellschaften von Einwanderern entstehen und den Zusammenhalt der Republik gefährden. Vor allem konservative Politiker und Kommentatoren gehen davon aus, dass Einwanderung und Integration zu den wichtigsten politischen Themen der kommenden Jahre werden. Deshalb wollen sie dieses Feld nun besetzen - auch mit populistischen Maßnahmen. Die Sozialisten reagieren mit oft treffender Kritik. Doch ihnen ist es noch nicht gelungen, den Franzosen ein schlüssiges Gegenkonzept zu präsentieren.

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SZ vom 29.09.2010
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