Frankreich:Frankreichs neuer Patriotismus

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Präsident Hollande will unter anderem die Befugnisse von Polizisten ausbauen. Er riskiert eine Spaltung der Linken. (Foto: Michel Euler/AP)

Ein Jahr nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" setzt Präsident Hollande auf rechte Konzepte. Seine Partei rebelliert.

Von Christian Wernicke, Paris

Ein Jahr nach dem Mordanschlag islamistischer Attentäter auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo hat Frankreichs Premier Manuel Valls seine Landsleute zu einem "neuen Patriotismus" im Kampf gegen den Terrorismus aufgerufen. "Einheit und Sicherheit sind das Gebot", schrieb Valls in einem Gastbeitrag für das Magazin L'Obs.

Der Sozialdemokrat verwahrte sich gegen die Kritik aus seiner Sozialistischen Partei (PS), die der Regierung und Präsident François Hollande einen Rechtsruck in Fragen der inneren Sicherheit vorwerfen.

Frankreichs Linke empört, dass Hollande eine ursprünglich rechte Idee aufgegriffen hat: Als Terroristen verurteilte Franzosen, die über eine zweite Staatsbürgerschaft verfügen, sollen demonstrativ ausgebürgert werden. Zudem wurde am Mittwoch ein Gesetzentwurf bekannt, der - oft ohne richterliche Überprüfung - Polizei und Staatsanwälten mehr Kontrollen und Festnahmen erlauben würde.

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Der spektakulärste Vorschlag des geplanten Gesetzes würde Polizisten und Gendarmen per "Notstands-Klausel" ermächtigen, schneller zu schießen: Unmittelbar nach Mordtaten sollen die Beamten ihre Waffen nutzen dürfen, um zum Beispiel flüchtende Gewalttäter gezielt außer Gefecht zu setzen. Dazu würde den Ordnungshütern künftig Straffreiheit zugebilligt. Bisher darf die Dienstwaffe nur zur Selbstverteidigung oder zum Schutz unmittelbar bedrohter Bürger abgefeuert werden.

Einfach abhören

Tendenziell würde die Gesetzesreform etliche Regeln festschreiben, die bisher nur im Rahmen des aktuellen Ausnahmezustands gelten. Dieser Notstand läuft jedoch Ende Februar aus. So soll künftig auch ohne Notstand bei mutmaßlicher Terrorgefahr allein die Anordnung des Präfekten - also des obersten Vertreters der Zentralregierung in Departements und Regionen - genügen, um nächtliche Hausdurchsuchungen, die Kontrolle von Autos oder von Reisegepäck an Bahnhöfen zu erlauben. Bisher war dazu wenigstens die Anweisung eines Staatsanwalts nötig.

Erstmals ohne richterliche Billigung dürfte künftig der sogenannte IMSI-Catcher zum Einsatz kommen. Diese hochmoderne Abhörtechnik fängt im Umfeld von Verdächtigen sämtliche Handygespräche, E-Mails und elektronische Kommunikation ab. Bisher war für solche Lauschangriffe die Zustimmung eines Untersuchungsrichters erforderlich.

Das Gesetz würde der Regierung bisher ungeahnte Befugnisse zubilligen: So dürfte der Innenminister terrorverdächtige Rückkehrer aus dem Irak oder aus Syrien, gegen die keine gerichtsfesten Beweise vorliegen, einen Monat lang unter Hausarrest stellen. Experten deuten die Reform, die vorab vom Staatsrat auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft wird, insgesamt als Machtverschiebung zulasten der unabhängigen Justiz.

Der drakonische Gesetzentwurf dürfte in den Reihen der regierenden Sozialisten die Debatte über eine von Präsident Hollande angestrebte Verfassungsänderung verschärfen. Er will den Ausnahmezustand in der Verfassung festschreiben und per Zusatzartikel festschreiben, dass wegen terroristischer Verbrechen rechtskräftig verurteilten Franzosen die Staatsbürgerschaft aberkannt werden kann.

Hollandes Partei rebelliert

Für beide Änderungen benötigt Hollande eine breite Zustimmung von links und rechts: Verfassungsreformen verlangen drei Fünftel der 925 Mitglieder des Kongresses, also sämtlicher Senatoren und Abgeordneten der Nationalversammlung.

Nur, die eigene Partei rebelliert. Prominente Sozialisten deuten die symbolische Strafe als Diskriminierung und Verstoß gegen das republikanische Ideal der "égalité", der Gleichheit. Denn Hollandes Vorschlag würde nur jene Landsleute verstoßen, die noch eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen.

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Die UN-Menschenrechtserklärung sowie eine von Paris unterzeichnete UN-Konvention missbilligen, per Ausbürgerung neue "Staatenlose" zu schaffen. Hollandes Verfassungsvorstoß würde also nur auf drei bis vier Millionen binationale Franzosen zielen - fast allesamt Nachfahren von Einwanderern maghrebinischer Herkunft.

Zahlreiche linke Kongressmitglieder erklärten, sie würden sich der Verfassungsänderung verweigern. Zwar signalisieren die Republikaner sowie die vier Parlamentarier des rechtsextremen Front National, von denen Hollande die Idee entliehen hatte, Zustimmung. Doch ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl kann er sich eine Spaltung der Linken nicht leisten.

Also lancieren seine Getreuen die Idee, künftig allen französischen Terroristen - unabhängig vom Besitz eines zweiten Passes - die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das wäre ein klarer Widerspruch zu den Geboten internationaler Menschenrechte, weshalb Premier Valls diesen Ausweg aus Hollandes politischer Klemme am Mittwochabend im Interview mit dem Nachrichtensender BFM-TV kategorisch ausschloss: "Frankreich darf keine Staatenlosen schaffen." Das Risiko, dass sein "neuer Patriotismus" die eigene Linke zerreißt, nimmt er hingegen billigend in Kauf.

© SZ vom 07.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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