Frankreich:Nach der Krise ist vor der Krise

Coronavirus - Frankreich

Präsident Macron versteht sich angeblich nicht mehr mit seinem Premier.

(Foto: Ludovic Marin/dpa)

Die Regierung lockert weitere Corona-Auflagen. Für Macron wird die Lage angespannter.

Von Nadia Pantel, Paris

Am Donnerstag wurde in Frankreich die zweite Etappe der Entspannung eingeleitet. Gut zwei Wochen nach Ende der achtwöchigen Ausgangssperre sagte Premier Édouard Philippe "die Freiheit wird nun wieder die Regel, Verbote die Ausnahme". Vom 2. Juni an können Restaurants, Bars und Hotels im Großteil des Landes wieder öffnen, in Paris dürfen die Gastronomen den Außenbetrieb aufnehmen. Die bislang geltenden Reisebeschränkungen werden aufgehoben. Vom 22. Juni an werden die Franzosen auch wieder ins Kino gehen können. Doch was aussieht wie das Ende einer Krise, ist zugleich der Beginn einer anderen. Zwar ist die Zahl der an Covid-19 Erkrankten, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen, von 7000 im April auf heute unter 2000 gesunken. Nur folgt auf die medizinische Katastrophe nicht nur die ökonomisch-soziale, sondern auch das politische Nachbeben.

60 Prozent sind unzufrieden mit Macron. Und von seiner Partei bilden sich Abspaltungen

Präsident Emmanuel Macron war von der Zwangspause des Landes stets ausgenommen. Er reiste von Krankenhaus zu Altenheim zu Tomatenplantagen und versuchte der um sich greifenden Angst Symbole eines kommenden Aufbruchs entgegenzusetzen. "Wir sollten uns hinterfragen, angefangen bei mir selbst", sagte Macron den Franzosen auf dem Höhepunkt der Krise - ungewohnt demütige Töne. Inwieweit Macron sich nun selbst hinterfragt ist unklar, sicher ist nur, dass er stark in Frage gestellt wird. In Umfragen vom Wochenende sind, je nach Meinungsforschungsinstitut, zwischen 35 und 39 Prozent der Franzosen mit ihrem Präsidenten zufrieden, 60 Prozent sind unzufrieden, ein gutes Drittel gar "sehr unzufrieden". Während in anderen europäischen Ländern, so zum Beispiel in Großbritannien und Deutschland, die Regierungen durch die Krise an Vertrauen gewannen, trat für Macron der gegenteilige Effekt ein. Die Corona-Bedrohung hat ihn geschwächt.

Der Missmut der Franzosen zeigt sich auch in einer Welle an Klagen, die gegen den Premier und weitere Regierungsmitglieder erhoben wurden. Mehr als 70 Anklageschriften sind bisher beim Gerichtshof der Republik eingegangen. Mediziner, Lokalpolitiker, Gefängnisinsassen - die Liste der Beschwerdeträger ist lang und vielfältig. Sie alle eint eine Überzeugung: Die Regierung hat zu spät und zu schlampig auf die Pandemie reagiert. Tatsächlich scheiterte Frankreich lange daran, genug Tests, Masken und Schutzkleidung zur Verfügung zu stellen. Doch gleichzeitig kam es, anders als in Italien, nicht zu Zusammenbrüchen in der Gesundheitsversorgung.

Nicht nur die Bevölkerung blickt skeptisch auf die Staatsführung - auch innerhalb der Regierungspartei macht sich Unmut breit. Innerhalb von einer Woche bildeten sich in der Nationalversammlung gleich zwei neue Fraktionen. Beide setzen sich auch aus ehemaligen Mitgliedern der Macron-Partei La République en Marche (LREM) zusammen. Da war zunächst die Gruppierung "Ecologie, démocratie, solidarité", Ökologie, Demokratie, Solidarität, rund um Unterstützer des früheren Umweltministers und Fernsehstars Nicolas Hulot, die sich abspaltete, um sich, nach eigener Aussage, stärker für einen ökologischen Wandel einzusetzen. Am Dienstag verließen dann Mitglieder des konservativen Flügels die Regierungsfraktion und gründeten "Agir ensemble" - zusammen handeln. Die Zahl der LREM-Abgeordneten in der Nationalversammlung schrumpfte so von 294 auf 281, LREM verlor die absolute Mehrheit, die bei 289 Abgeordneten liegt. Zwar betonen die neuen Fraktionen, sie wollten "konstruktiv" mit der Regierung zusammenarbeiten, "Agir ensemble" definiert sich sogar weiter als "ein Pfeiler der Mehrheit". Dennoch gehen sie auf Distanz zu Parteigründer Macron.

Gerade die Gründung von "Agir ensemble" wird nun als Symptom eines weiteren Konflikts gedeutet. Innerhalb der acht Wochen, in denen Frankreichs öffentliches Leben brach lag, wirkte Frankreichs Führungsduo wiederholt uneins. Premierminister Édouard Philippe gab den strengen Hüter der Ordnung, der auf Vorsicht, klare Regeln und einen strafenden Staat setzte. Präsident Macron hingegen nahm sich mehr Freiheiten heraus. Er beschwor am Anfang der Ausgangssperre nun vor allen Dingen dem Rat von Medizinern und Wissenschaftler folgen zu wollen. Nur um dann die Franzosen mit einer frühen (teilweisen) Wiedereröffnung der Schulen und Kindergärten am 11. Mai zu überraschen - gegen den Rat der Virologen. Die konservative Opposition sieht in der neugegründeten Fraktion "Agir ensemble", der auch Weggefährten von Premier Philippe angehören, ein "Zeichen für die Anspannung zwischen Premier und Präsident". So formuliert es jedenfalls der Republikaner Damien Abad in Le Monde. Philippe hingegen betont, er habe mit all dem nichts zu tun.

Philippes politische Zukunft gehört dennoch zu den aktuellen Lieblingsgerüchten in Paris. Die zweite Runde der Kommunalwahlen, die wegen des Corona-Ausbruchs verschoben werden musste, soll nun am 28. Juni nachgeholt werden. Philippe kandidiert als Bürgermeister für Le Havre. Ein Amt, dass er erst antreten würde, wenn er nicht mehr Premier ist. Immer öfter hört man nun, dies könnte schon Anfang Juli der Fall sein. Das Austauschen des Premiers ist bei Frankreichs Präsidenten der Fünften Republik eine beliebte Strategie der Krisenbewältigung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: