Islamfeindlichkeit in Frankreich:Aufruhr nach dem Mord in der Moschee

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Demonstration in Paris nach dem Mord an einem Einwanderer in einer Moschee in La Grand-Combe, Südfrankreich.
Demonstration in Paris nach dem Mord an einem Einwanderer in einer Moschee in La Grand-Combe, Südfrankreich. (Foto: Alain Jocard/AFP)

Ein junger Franzose sticht auf einen betenden jungen Malier ein und filmt sein sterbendes Opfer. Nun diskutieren die Franzosen darüber, ob ihr Land islamophob ist.

Von Oliver Meiler, Paris

Eine fürchterliche Tat erschüttert Frankreich und seine Politik. In La Grand-Combe, einem ruhigen Ort im südfranzösischen Département Gard mit etwa 5000 Einwohnern, hat ein junger Mann einen anderen jungen Mann ermordet, und viel weist darauf hin, dass er aus rassistischen und islamfeindlichen Motiven gehandelt hat.

Olivier H., so heißt der mutmaßliche Täter, Franzose mit bosnischen Wurzeln, geboren in Lyon, hatte am vergangenen Freitag die Moschee von La Grand-Combe aufgesucht, wo der erwerbslose 21-Jährige offenbar niemanden kannte. Es war früh am Morgen. Außer einem Gläubigen, dem 23-jährigen Einwanderer Aboubakar Cissé aus Mali, der die Räumlichkeit für das Freitagsgebet putzte und herrichtete, war niemand da. Olivier H. bat den Mann, ihm zu zeigen, wie man im Islam betet. Als sich Cissé hinkniete, zog H. ein langes Messer aus der Tasche und stach Dutzende Male auf ihn ein. Das zeigen die Aufnahmen der Überwachungskameras.

Zuvor war der Täter nicht aufgefallen

Während Cissé sterbend am Boden lag, filmte ihn der Täter mit seinem Handy „mehrere Dutzend Sekunden lang“, wie die Ermittler später berichteten. Man hört auf dem Video, wie Olivier H. über Allah schimpft und sein Opfer verhöhnt. Und dass er noch weitere Menschen töten wolle, damit er als Serienmörder gelte. Er werde jetzt verhaftet, da sei er sich ganz sicher.

Sein Video postete er auf Discord, einer Chatplattform, die es nach kurzer Zeit löschte. Olivier H. floh nach seiner Tat mit dem Auto, drei Tage war er unterwegs. Am späten Sonntagabend stellte er sich auf einer Polizeiwache in Pistoia bei Florenz. Offenbar hatten seine Familie und Bekannte ihn dazu bewegt.

Nach einer ersten Prüfung des Falls sagte der zuständige Staatsanwalt, die Ermittler gingen davon aus, dass es sich um eine Tat „mit einem rassistischen und islamfeindlichen Hintergrund“ handeln könnte. Andere mögliche Erklärungen, die mit der Psyche des Täters zu tun hätten, seien aber nicht ausgeschlossen. Olivier H. war bis dahin nicht aufgefallen. Überhaupt ist bisher relativ wenig über ihn bekannt, außer dass er Arbeitslosengeld bezieht, seine Zeit vor allem mit Videospielen verbrachte und sein Opfer nicht kannte.

Auch in der Regierung wehren sich manche gegen den Begriff der „Islamophobie“

Doch bei allen offenen Fragen: Der Fall löste eine Kontroverse aus in der französischen Politik, die symptomatisch ist für das Klima und die Polarisierung im Land – nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 und den Folgen des Terrorüberfalls der Hamas auf Israel, seitdem aber noch viel mehr als zuvor. Staatspräsident Emmanuel Macron und Premierminister François Bayrou beeilten sich, mit deutlichen Stellungnahmen in den sozialen Medien ihre Abscheu über die Tat kundzutun und die Gemüter zu beruhigen. Bayrou sprach von einer „islamophoben Schande“, die sich zugetragen habe.

Doch in seiner Regierung sehen das manche Minister nuancierter: Sie wehren sich gegen den Begriff der „Islamophobie“, die für eine tiefe Angst, Ablehnung und Feindseligkeit gegen den Islam und gegen Muslime steht. Manuel Valls etwa, früher Premier und heute Minister für Übersee, sagte, die „schreckliche Tat“ von La Grand-Combe sei womöglich „antimuslimisch konnotiert“. Doch Islamophobie sei ein ideologischer Kampfbegriff, den die iranischen Mullahs oft benutzt hätten im Kampf gegen ihre Gegner, man dürfe ihn deshalb nicht übernehmen. Valls nannte Frankreich bei der Gelegenheit „ein altes Land des Christentums“.

Ist die Begriffsdiskussion eine Wortklauberei? Eine gezielte Verniedlichung der Islamfeindlichkeit? Auch Innenminister Bruno Retailleau, ein Republikaner am rechten Rand seiner Partei, mochte nicht von Islamophobie sprechen. Retailleau, der sonst immer sofort an jeden Tatort reist, um sich an der Seite von Opfern zu zeigen, brauchte diesmal zwei Tage, bis er sich in die Gegend aufmachte.

Die Zahl antisemitischer als auch antimuslimischer Vorfälle ist in den vergangenen Jahren gestiegen

Die radikal linke Partei La France insoumise wirft dem Innenminister und dem rechten Lager insgesamt vor, sie mäßen mit unterschiedlichem Maß, je nach Religion der Opfer. „Islamophobie tötet. Und alle, die dazu beitragen, sind mitschuldig“, sagte Jean-Luc Mélenchon, Kopf der Partei, auf einer Kundgebung auf dem Pariser Place de la République. Mélenchon wiederum muss sich vorwerfen lassen, dass er mit seiner ambivalenten Haltung zur Hamas und seiner vehementen Kritik an Israel im Nachgang zum 7. Oktober antisemitische Reflexe genährt habe.

Die Polarisierung hat also mehrere Urheber. Neben den Fällen von Antisemitismus, die auch in Frankreich stark zugenommen haben, ist auch die Zahl von antimuslimischen Vorfällen in den vergangenen Jahren gestiegen. Und die extreme und identitäre Rechte kann bei ihrer Kampagne gegen den Islam auf die Medien aus dem Imperium des reaktionären Unternehmers Vincent Bolloré zählen.

Ob sich Olivier H. von diesem gehässigen Klima inspirieren ließ, ist allerdings nicht klar. In La Grand-Combe läuft nun eine Kollekte: Es soll genug Geld zusammenkommen, dass der Leichnam von Aboubakar Cissé, einem beliebten Mitglied der muslimischen Gemeinde im Ort, für die Bestattung nach Mali gebracht werden kann, in seine Heimat.

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