Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Marine Le Pen, die Unberührbare

  • Am Montag durchsuchten französische Ermittler die Parteizentrale des Front in Nanterre bei Paris.
  • Am Mittwoch wurden dann Marine Le Pens Büroleiterin und ihr Leibwächter in Polizeigewahrsam genommen und in einer Korruptionsaffäre befragt.
  • Trotzdem scheinen ihr diese Skandale im Wahlkampf nicht zu schaden.

Von Stefan Ulrich

Die große politische Erzählung des Front National besteht aus zwei Teilen. Der erste lautet: Die etablierten französischen Parteien wie die Sozialisten und die konservativen Republikaner bilden ein Machtkartell, das sich gegenseitig begünstigt, tief korrupt ist und nicht an das Wohl der Franzosen, sondern an den Erhalt der eigenen Privilegien denkt. In diesem System seien "tous pourris", "alle verkommen", behaupten die Politiker des Front National. Dann kommt der zweite Teil: Zum Glück gebe es eine aufrechte Kraft, die sich an der Seite des hart arbeitenden Volkes gegen die korrupte Elite stelle. Diese Kraft sei der Front National unter Marine Le Pen. Die Franzosen müssten nur sie zur Präsidentin wählen, um eine saubere Republik zu bekommen.

Etliche Politiker der anderen Parteien haben durch eine Unzahl von Affären dazu beigetragen, dass diese Erzählung geglaubt wird und der Verdruss auf die politische Klasse in Frankreich überschäumt. Dies will Marine Le Pen bei der im Frühjahr anstehenden Präsidentschaftswahl nutzen. Da muss es ihr besonders ungelegen kommen, dass die Justiz jetzt ihre Paragrafenschlingen ausgerechnet um den Front National zusammenzieht.

Büroleiterin und Leibwächter wurden in Polizeigewahrsam genommen

Am Montag durchsuchten französische Ermittler die Parteizentrale des radikalen, anti-europäischen Front in Nanterre bei Paris. Am Mittwoch wurden dann Marine Le Pens Büroleiterin und Vertraute Catherine Griset und ihr Leibwächter Thierry Légier in Polizeigewahrsam genommen und in einer Korruptionsaffäre befragt. Anschließend wurde Griset wegen Vertrauensbruchs angeklagt. Marine Le Pen warf der Justiz vor, sich in den Wahlkampf einzumischen. "Die Franzosen können genau zwischen echten Affären und politischen Kabalen unterscheiden."

In dem Fall geht es um den Vorwurf, mehrere Europaabgeordnete des Front National hätten auf Kosten des EU-Parlaments etliche Mitarbeiter zum Schein als parlamentarische Assistenten eingestellt. Tatsächlich hätten diese Mitarbeiter aber reine Parteiarbeit für den Front National gemacht, unter anderem in dessen Zentrale in Nanterre. Daher hätte nicht das EU-Parlament, sondern der Front National die Gehälter zahlen müssen. Sollte sich der Verdacht bestätigen, müssten die Front-National-Politiker hohe Summen zurückzahlen und außerdem mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Zudem wäre dann belegt, dass "tous pourris" auch die Saubermacher vom Front National umfasst.

Die 23 Abgeordneten des Front, die im Europaparlament die Europäische Union bekämpfen, haben zusammen ungefähr 60 parlamentarische Assistenten angemeldet und sich direkt vom Parlament bezahlen lassen. 2015 kam der Parlamentsverwaltung jedoch der Verdacht, 29 dieser Assistenten wirkten gar nicht bei der Arbeit der Abgeordneten mit, sondern dienten in Wirklichkeit der Partei. Das Parlament schaltete daraufhin die EU-Anti-Betrugs-Einheit Olaf ein, die auch im Fall der Abgeordneten Marine Le Pen ermittelte. Olaf kam zu dem Ergebnis, deren parlamentarische Assistentin Griset habe in fünf Jahren nie eine Wohnung in Brüssel angemietet und sei nur äußerst selten im Parlament erschienen. Der Anstellungsvertrag des angeblichen Assistenten Légier sei völlig fiktiv gewesen. In Wahrheit habe er nämlich als Marine Le Pens persönlicher Leibwächter gearbeitet.

Die Parteichefin wurde daraufhin - ebenso wie mehrere andere Front-National-Abgeordnete - aufgefordert, die zu Unrecht kassierten Assistenten-Gehälter an das Parlament zurückzuzahlen. In ihrem Fall sind das insgesamt 340 000 Euro. Da sie sich weigert, soll von nun an ein Teil ihrer Abgeordnetendiäten einbehalten werden. Parallel dazu ermittelt die französische Justiz seit Dezember 2016 gegen die Parteichefin und weitere Front-National-Europaabgeordnete wegen bandenmäßigen Betrugs und illegaler Parteienfinanzierung. Marine Le Pen spricht von einer politischen Verfolgung, die von dem früheren EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) und dem französischen Ex-Premier Manuel Valls eingefädelt worden sei.

Neben dem Assistenten-Fall muss sich die Präsidentschaftskandidatin und Parteichefin noch mit zwei weiteren Korruptions-Affären herumschlagen. Dabei geht es zum einen um den Vorwurf illegaler Wahlkampffinanzierung bei Präsidenten-, Parlaments-, Europa-, Regional- und Kommunalwahlen. Dabei soll der Front National mit befreundeten Firmen abgesprochen haben, dass diese überhöhte Rechnungen für den Druck von Flugblättern oder die Konzeption von Wahlkampf-Internetseiten stellten. Die aufgeblähten Summen seien dann über die staatliche Wahlkampfkostenerstattung wieder hereingeholt worden. In der Affäre müssen sich unter anderem der Front National und dessen Schatzmeister Wallerand de Saint-Just verantworten. Marine Le Pen wurde nur als Zeugin vernommen.

Wer die Rechten wählt, glaubt oft Verschwörungstheorien

Dagegen steht die Parteichefin beim dritten Fall auch selbst unter Verdacht. Marine und ihr Vater Jean-Marie Le Pen sollen bei ihren Vermögenserklärungen als Europaabgeordnete den Wert von Immobilien zu gering angegeben haben. Dabei geht es insbesondere um das schlösschenartige Familienanwesen Montretout in dem Pariser Nobel-Vorort Saint-Cloud. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnte Marine Le Pen für bis zu zehn Jahre das passive Wahlrecht verlieren, also nicht mehr für politische Ämter antreten dürfen.

Die Front-National-Chefin behauptet, die Justiz konzentriere sich gerade jetzt so auf diese Fälle, um ihr im Wahlkampf zu schaden. Die Frage ist allerdings, inwieweit die Korruptionsvorwürfe Marine Le Pen und ihrem Front tatsächlich Stimmen kosten. Die französischen Medien berichten bislang viel ausführlicher über mögliche Verfehlungen des konservativen Präsidentschaftskandidaten François Fillon. Zudem haben Ermittlungen gegen Marine Le Pen dieser bislang kaum geschadet. Laut einer Umfrage des Instituts Harris Interactive vom Donnerstag kann Marine Le Pen im ersten Wahlgang zur Präsidentschaft am 23. April stabil mit 25 Prozent der Stimmen rechnen. Damit würde sie klar vor allen anderen Kandidaten liegen.

Meinungsforscher erklären sich diese "Unberührbarkeit" der Kandidatin zum Teil dadurch, dass deren Anhänger stärker als andere Bürger extrem einseitige Medien nutzen, die auf Verschwörungstheorien setzen. Darin wird Marine Le Pen als die vom System, inklusive der Justiz, verfolgte Unschuld dargestellt. Auch hielten etliche Front-Wähler das Europaparlament ohnehin für eine überflüssige Institution. Es zu betrügen, finden sie eher clever als schlimm.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3393072
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.02.2017/lalse
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.