Süddeutsche Zeitung

Französische Armee:Rechter Brandbrief löst Unruhe in Frankreich aus

20 Generäle im Ruhestand hetzen in einem offenen Brief gegen Migranten und wollen Politiker unterstützen, "die es erwägen, die Nation zu retten". Marine Le Pen zeigt sich begeistert vom Angebot. Die Linke warnt vor einem Putsch.

Von Nadia Pantel, Paris

Sie fabulieren von einem "Bürgerkrieg", der "Tausende Tote" fordern könnte. Sie sprechen davon, dass "Frankreich in Gefahr" ist, ja "im Zerfall" begriffen, bedroht von "Horden aus der Banlieue". Es ist ein Text, durchzogen von rechtem bis rechtsextremen Gedankengut, wie man ihn hundertfach in Blog-Einträgen im Internet finden kann. Nur dass er nicht von anonymen oder unbekannten Autoren veröffentlicht wurde, sondern von zwanzig Generälen im Ruhestand.

Sie seien bereit, so die Generäle, die "abendländische Zivilisation" zu verteidigen und prangern die "Laschheit" der Regierung an. Sie bieten an, "diejenigen Politiker zu unterstützen, die es erwägen, die Nation zu retten". Wer den Inhalt des Textes noch nicht eindeutig genug findet, braucht nur auf das Datum seiner Veröffentlichung schauen: 21. April 2021. Beinahe auf den Tag genau 60 Jahre nach dem Putschversuch von vier Generälen, die gegen den Willen Charles de Gaulles die Unabhängigkeit Algeriens verhindern wollten.

Verfasst ist der Text als offener Brief an Frankreichs Präsidenten, an die Regierung und an das Parlament. Laut Initiatoren des Briefes wurde er von mehr als tausend Angehörigen der Armee unterzeichnet, darunter auch Soldaten, die nicht im Ruhestand sind. Um eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen, gaben die Generäle ihren Text dem rechts-identitären Magazin Valeurs actuelles, das ihn groß herausbrachte.

Unterstützung von rechtsaußen

Ein paar Tage lang versuchte die Regierung das Gerede von einer "militärischen Intervention zum Schutz der Zivilisation" zu ignorieren. Doch inzwischen ist die Unruhe in Frankreich zu groß geworden. Denn mittlerweile haben die Generäle offene Unterstützung von rechtsaußen erhalten. "Ich teile Ihre Analysen", schrieb die Chefin des Rassemblement National, Marine Le Pen, in Antwort auf den offenen Brief, ebenfalls in Valeurs actuelles. "Ich lade Sie dazu ein, sich uns anzuschließen, in unserem Kampf für Frankreich" - Le Pens Worte lasen sich wie ein Aufruf zum gemeinsamen Umsturz. Auch wenn dies umgehend von ihrem Umfeld dementiert wurde: Le Pen habe sich "immer an die demokratischen Regeln gehalten" und rufe "nicht zum Aufstand" auf.

Die linke Opposition reagierte als Erstes. Der ehemalige Macron-Unterstützter Aurélien Taché sprach von einer "Bedrohung der Demokratie". Der Sozialist Benoît Hamon von der "expliziten Drohung eines Putsches". Der Chef der linken France Insoumise sah in dem Brief ein "Attentat auf die Republik". Die Vorwürfe der Linken richteten sich nicht nur gegen die Verfasser des Briefes, sondern auch gegen das Schweigen der Regierung.

Offene Fragen zur Verantwortung von Marine Le Pen

Am Mittwoch versuchten Premierminister Jean Castex und Innenminister Gérald Darmanin, den entstandenen Schaden zu begrenzen. Die pensionierten Generäle "repräsentieren niemanden außer sich selbst", sagte Castex, ihre Initiative stehe "im Widerspruch zu den Pflichten der Armee". Innenminister Darmanin sagte, die "Offiziere in Rente" täten ihm "fast leid" und er wolle ihrem Brief "kein Gewicht geben". Verteidigungsministerin Florence Parly hatte bereits am Montag "Sanktionen" gegen die Verfasser des Briefes angekündigt. Parly betonte, dass die "überwältigende Mehrheit der Armee" für "Prinzipien der Neutralität und der Loyalität" stehe.

Am Donnerstag verurteilte Armeechef François Lecointre den Brief. Er sei davon "angewidert", dass dieser einen Aufruf an die aktiven Soldaten enthalte. Frankreichs Armee sei "ein Abbild der Gesellschaft" und "im Gegensatz zu den Fantastereien Einzelner, sehr divers". Lecointre kündigte Strafen für die Unterzeichner an. 18 Unterzeichner, darunter vier Offiziere, stünden im aktiven Dienst, ihnen drohe der Ausschluss aus der Armee.

Doch die Debatte um den Brief hinterlässt offene Fragen. Zum einen die nach der politischen Gesinnung führender Militärs. Zum anderen die nach dem politischen Verantwortungsbewusstsein Marine Le Pens. In einem Interview mit L'Opinion erinnert Frankreichs führender Meinungsforscher Jérôme Fourquet daran, dass der Zustimmungswert für Marine Le Pen vor der letzten Präsidentschaftswahl 2017 bei Soldaten, Polizisten und in der Gendarmerie bei 40 Prozent lag. Die Le Pen Sympathisanten sind bei den Sicherheitskräften demzufolge doppelt so zahlreich wie beim Rest der Bevölkerung.

Le Pens unverstellte Begeisterung für einen Aufruf, der mit dem Aufkündigen der Gehorsamspflicht gegenüber der Staatsspitze liebäugelt, lässt zudem Zweifel an ihrer "Entdiabolisierungs"-Strategie wachsen. Die faschistoiden Wurzeln ihrer Partei werden in Frankreich zunehmend ausgeblendet - auch weil Le Pen sich öffentlichkeitswirksam von dem unverhohlenen Rassismus und Antisemitismus ihres Vaters Jean-Marie abgrenzt. Diese bürgerliche Fassade hat durch ihre Unterstützung der pensionierten Generäle neue Risse bekommen. Auf Twitter fanden sich am Mittwoch Tausende, die es Le Pen nachtaten. Im Rahmen der Kampagne "soutienauxgeneraux" riefen sie zur Unterstützung der Ex-Generäle auf.

Der offene Brief der Ex-Generäle fand auch deshalb so ein breites Echo, weil er kurz vor dem Mord an einer Polizeibeamtin in Rambouillet veröffentlich wurde. Am Freitag tötete ein mutmaßlicher Islamist die 49-Jährige vor ihrer Wache. Durch die Tat wurden erneut Vorwürfe laut, die Regierung schütze ihre Beamten nicht genug vor der terroristischen Bedrohung. Gleichzeitig kritisieren Linke, Macrons Innenminister befeuere durch seine Anti-Islamismus-Politik den Rassismus gegenüber Frankreichs Muslimen.

In dieser Gemengelage passiert es nicht zum ersten Mal, dass sich eine Stimme aus dem Militär politisch in Stellung bringt. So ist der frühere Armeechef Pierre de Villiers inzwischen für viele konservative Franzosen zu einer Lichtgestalt geworden, von der sie sich ein Regime der Ruhe und Ordnung versprechen. De Villiers verließ 2017 seinen Posten, nachdem er sich mit dem frisch gewählten Macron überworfen hatte. Seitdem ist er Bestseller-Autor und schreibt übers Chef-Sein. Sein jüngstes Buch liest sich wie ein Wahlprogramm, auch wenn de Villiers offiziell ausschließt, in die Politik zu gehen. Würde er sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen, sehen ihn Umfragen bei 20 Prozent der Stimmen. Mit den umstrittenen Verfassern des Briefes steht de Villiers in keinerlei Verbindung. Dennoch steht de Villiers exemplarisch für den Ruf mancher nach einem starken Mann an der Spitze des Staates.

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