Frankreich:Madame im schiefen Licht

Eine umstrittene Entscheidung aus ihrer Zeit als Ministerin holt IWF-Chefin Lagarde ein. Nun muss sie sich vor Gericht verantworten.

Von Leo Klimm, Paris

Christine Lagarde spulte am Freitag ihr Programm ab, als sei es ein Tag wie jeder andere. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) traf in Peking den chinesischen Premierminister zur Vorbereitung des G-20-Gipfels an diesem Wochenende. Sie sprach, wie es zu ihrem Job gehört, über die eingetrübten Aussichten für die Weltkonjunktur nach dem Brexit-Votum. Zur gleichen Zeit verschlechterten sich im fernen Paris merklich ihre persönlichen Aussichten: Der Oberste Gerichtshof Frankreichs entschied, dass Lagarde der Prozess gemacht wird - wegen "Fahrlässigkeit im Amt". Lagarde soll ihre Pflichten verletzt haben, als sie 2008 als französische Finanzministerin auf Staatskosten eine Entschädigungszahlung von 404 Millionen Euro an den Geschäftsmann Bernard Tapie billigte.

Die Richter wiesen einen Widerspruch zurück, mit dem Lagarde das Verfahren noch verhindern wollte. Die Vorwürfe seien "völlig unbegründet", hatte die IWF-Direktorin wiederholt erklärt. "Ich habe immer in guter Absicht gehandelt und im Einklang mit dem Gesetz und hatte immer das öffentliche Interesse im Kopf." Ihr Anwalt zeigte sich am Freitag überzeugt, der Gerichtshof der Republik, wo das Verfahren stattfindet, werde Lagarde in der sogenannten Tapie-Affäre "von jeder Verantwortung ausnehmen". Der IWF-Chefin drohen theoretisch bis zu einem Jahr Haft und eine Geldstrafe von 15 000 Euro.

Praktisch könnte schon ein aufwendiger Prozess in Paris für Lagarde zur Belastung in ihrer Amtsführung werden. Rufe nach einem Rücktritt wegen der Anklage werden aus dem Kreis der IWF-Mitglieder bislang aber nicht laut. Im Gegenteil: Der Verwaltungsrat des Weltwährungsfonds, in dem 189 Staaten vertreten sind, habe "weiter Vertrauen in die Fähigkeit der Generaldirektorin, ihre Aufgaben wirksam zu erledigen", so ein Sprecher. Die 60-jährige Lagarde hat erst Anfang Juli ihr zweites Mandat an der Spitze der Organisation mit Sitz in Washington angetreten. Dass ihr ein Prozess drohte, sahen die IWF-Mitglieder bei der Entscheidung über die Verlängerung nicht als Hindernis.

G7 Finance Ministers and Central Bank Governors meeting

Undurchsichtige Affäre: Christine Lagarde entzog den Fall Tapie seinerzeit der ordentlichen Justiz - dafür soll sie sich nun verantworten.

(Foto: Kimimasa Mayama/dpa)

Frankreichs Ex-Finanzministerin wird von den Ermittlern vorgehalten, bei den 404 Millionen Euro für Tapie fahrlässig mit Staatsgeld umgegangen zu sein und so die Unterschlagung öffentlichen Geldes erst ermöglicht zu haben. Lagarde habe sich ausgezeichnet durch "eine Hast und Oberflächlichkeit, die schwere Nachlässigkeiten seitens einer Ministerin darstellen, die mit der Führung der staatlichen Geschäfte betraut ist", so die Anklage.

Seit Jahren wird spekuliert, Lagarde habe die Zahlung auf Druck Sarkozys akzeptiert

Seit Jahren wird in Frankreich spekuliert, die Konservative Lagarde habe tatsächlich auf Druck des damaligen Staatschefs Nicolas Sarkozy die Zahlung an Tapie akzeptiert. Tapie, schillernder früherer Politiker und Ex-Eigentümer des deutschen Sportartikelherstellers Adidas, ging seinerzeit im Pariser Präsidentenpalast ein und aus. Und der Elysée drängte unter Sarkozy darauf, ein privates Schiedsverfahren zuzulassen, um einen alten Streit Tapies mit dem französischen Staat beizulegen. Tapie behauptet, er sei 1993 beim Verkauf von Adidas von der Staatsbank Crédit Lyonnais betrogen worden.

Fünfzehn Jahre später gab Lagarde ihrem Ministerium die Order, den Streit mittels eines außergerichtlichen Schiedsspruchs zu lösen - und ihn damit der ordentlichen Justiz zu entziehen. Dabei hatte ein Gericht schon zuvor geurteilt, Tapie stehe kein Schadenersatz zu. Zudem überging Lagarde die ihr unterstehende Agentur für Staatsbeteiligungen, die das äußerst unübliche Mittel des Schiedsverfahrens ablehnte. Als dies dann mit der großzügigen Zahlung für den vorbestraften Unternehmer Tapie endete, verzichtete Lagarde auch darauf, die Entscheidung anzufechten.

404 Millionen Euro

aus der Staatskasse wurden dem Geschäftsmann Bernard Tapie 2008 zugesprochen, weil der sich von einer staatlichen Bank betrogen fühlte. Zu Unrecht, wie Frankreichs höchste Richter entschieden haben. Ermittler werfen Lagarde vor, als Finanzministerin durch die Billigung der Zahlung fahrlässig gehandelt zu haben.

Der Gerichtshof der Republik, vor dem sich Lagarde nun verantworten muss, ist - wie einst die Tapie-freundliche Schiedsinstanz - eine Form der Paralleljustiz: Er ist speziell für Verfehlungen von Regierungsmitgliedern im Amt zuständig. Dabei beurteilen Politiker die Vergehen von Politikern, denn das Gericht setzt sich aus je sechs Abgeordneten der Nationalversammlung und des französischen Senats sowie drei berufsmäßigen Richtern zusammen. Wann der Lagarde-Prozess stattfindet, steht noch nicht fest.

Neben der IWF-Chefin drohen weiteren Verantwortlichen Verurteilungen wegen des Schiedsspruchs von 2008. Untersuchungsrichter hegen den Verdacht, das gesamte Verfahren sei damals fingiert gewesen: Sie ermitteln wegen organisierten Bandenbetrugs und Unterschlagung - unter anderem gegen Tapie und einen der Schiedsrichter. Zu ihm, stellte sich heraus, unterhielt der frühere Adidas-Chef finanzielle Kontakte. Auch Lagardes Ex-Büroleiter im Finanzministerium, Stéphane Richard, muss eine Strafe befürchten. Er steht heute an der Spitze des Telekomkonzerns Orange. In höchster Instanz entschieden ist seit letztem Monat schon, dass der Schiedsspruch an sich ungültig war und Tapie die 400 Millionen Euro an Frankreich zurückzahlen muss - plus 300 000 Euro Gerichtskosten. Tapie behauptet, er habe das Geld nicht mehr und stehe vor der Pleite.

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