Frankreich:Macrons Experiment

Frankreich: Krawall wird es auch an diesem Samstag geben, da ist sich die Pariser Polizei sicher.

Krawall wird es auch an diesem Samstag geben, da ist sich die Pariser Polizei sicher.

(Foto: Abdul Abeissa/AFP)

Mit mehr Bürgerbeteiligung will der Präsident den Zorn der Gelbwesten besänftigen. Doch die Protestbewegung gleitet zunehmend in Gewalt ab.

Von Leo Klimm, Paris

Der Chef der Pariser Polizei sagt es ganz nüchtern: Es wird Krawall geben. "Von Woche zu Woche driftet das Verhalten mehr in Gewalt ab, es zielt zunehmend auf die Institutionen des Staates", sagt Michel Delpuech. Er stellt seine Beamten zum Auftakt des neunten Protestwochenendes der Gelbwesten-Bewegung darauf ein, dass an den - oft unangemeldeten, spontan organisierten - Kundgebungen in Frankreichs Hauptstadt an diesem Samstag mehr Menschen teilnehmen werden als in der Vorwoche. Und "dass ihre Radikalität noch klarer hervortritt".

Am vergangenen Wochenende war die Zahl der Gelbwesten, die ihre Wut auf Präsident Emmanuel Macron auf die Straße trugen, schon gegenüber den Vergleichswerten von vor Weihnachten gestiegen, auf landesweit mehr als 50 000. Wieder gab es Verletzte und massive Beschädigungen, einigen Aktivisten gelang es sogar, in ein Ministerium einzudringen. An diesem Wochenende nun will die Polizei mit einem Großaufgebot von landesweit 80000 Einsatzkräften reagieren. Die Zeichen stehen auf Konfrontation, nicht auf Dialog.

Dabei ist Verständigung das, was Macron unbedingt wünscht. In den nächsten Tagen wendet sich der Staatschef in einem offenen Brief an seine Landsleute. Sein Schreiben soll den Rahmen für eine "große nationale Debatte" abstecken, an der sich alle Bürger beteiligen können. Macron hatte den grand débat im Dezember angekündigt, in der Hoffnung, sich damit aus der Gelbwesten-Krise zu befreien.

Am nächsten Dienstag wird er die Bürgersprechstunde eröffnen, irgendwo in der Normandie, so viel steht fest. Ansonsten ist wenige Tage vor dem Start noch so vieles unklar, dass die Suche nach einem politischen Ausweg aus der Krise vor allem als riskantes Experiment erscheint. Der Staatschef selbst erklärt den Austausch über Steuer- oder Parlamentsreformen - an dem sich in Rathäusern, Bahnhöfen oder auf Marktplätzen jeder beteiligen kann - zum entscheidenden Moment seiner Präsidentschaft: "Die Debatte muss der Startpunkt des zweiten Akts der Amtszeit sein", sagt Macron. Doch sein innovativer Ansatz könnte genauso gut sein Scheitern besiegeln.

Die Taktik des Präsidenten: Härte gegen die Randalierer, Dialog mit den Friedlichen

Den Randalierern begegnet Macron mit Härte, den Friedlichen erteilt er das Wort. Das ist die Taktik. Um nicht bei Wahlen von Populisten von rechts und links weggefegt zu werden wie die frühere italienische Regierung, will Macron die Unzufriedenheit über die Lebensverhältnisse, die auch in Frankreich viele empfinden, in demokratische Bahnen umlenken und ein Ventil schaffen. Das knüpft an seinen "großen Marsch" im Präsidentschaftswahlkampf 2017 an, als seine Mitstreiter von Tür zu Tür zogen, um die Sorgen und Nöte der Franzosen aufzunehmen. Er hatte Erfolg.

Doch heute ist die Lage anders. Macron ist jetzt tatsächlich verantwortlich für den Zustand des Landes. Das gesellschaftliche Klima hat sich seit 2017 zusätzlich aufgeheizt. Das ist nicht nur an der Gewalt mancher Demonstranten zu erkennen oder an gehäuften Übergriffen auf Abgeordnete der Macron-Partei La République en Marche, sondern auch an den vielen Hasstiraden in den sozialen Netzwerken. Eine knappe Bevölkerungsmehrheit von 52 Prozent unterstützt noch immer die Gelbwesten, ergibt eine Umfrage. 70 Prozent glauben derselben Umfrage zufolge nicht, dass die Bürgerdebatte in "für das Land nützliche Maßnahmen" münden wird.

Schon die Organisation ist komplex. Die Ergebnisse Hunderter oder Tausender Diskussionen auf lokaler Ebene, zu denen teils Minister entsandt werden, müssen von den Bürgermeistern in eine Onlinedatenbank eingegeben werden. Dann sollen sie von einer speziellen Kommission bis Mitte März ausgewertet werden, um politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Vier Themenfelder hat die Regierung eingekreist: Zukunft der Demokratie; Wohnen, Verkehr, Energieverbrauch; Verbesserung des öffentlichen Dienstes; und natürlich die Frage der Steuergerechtigkeit, an der sich die Proteste entzündet haben. Macron hat im Vorfeld erklärt, die von den Gelbwesten verlangten Steuerentlastungen erforderten, "den Aufbau des Staats und die Staatsausgaben zu ändern". Doch die Botschaft des liberalen Präsidenten verhallte im Lärm des Bürgerzorns.

Für Teile der Opposition sind die Bürgerdebatten ein reines Ablenkungsmanöver

Als sei dies nicht alles schon kompliziert genug, schmiss diese Woche auch noch die Frau hin, die der nationalen Debatte vorstehen sollte. Chantal Jouanno, Ministerin unter dem konservativen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, trat zurück, nachdem sie für ihr Gehalt von fast 15 000 Euro monatlich in die Kritik geraten war. Damit fehlt Macron ein Garant dafür, dass die Ergebnisse der Bürgerbefragung unabhängig wiedergegeben werden. Bis Montag will die Regierung Ersatz finden.

Für manche Oppositionsparteien, allen voran den rechtsextremen Rassemblement National (früher Front National) und die Linkspartei France Insoumise, vollführt der Präsident ohnehin bloß ein scheindemokratisches Ablenkungsmanöver: Es gehe nur darum, das Volk zu beruhigen. In Macrons eigener Parlamentsmehrheit wiederum befürchtet man, gut organisierte Lobbygruppen könnten die Diskussionen unterwandern. Bestimmte Themen hat die Regierung daher vorsichtshalber ausgenommen: die Todesstrafe etwa, das Abtreibungsrecht, die Ehe für alle.

Macron schließt auch aus, die Wirtschaftsreformen zurückzunehmen, die er seit 2017 durchgesetzt hat. Die Wiedereinführung der Reichensteuer, die viele wünschen, kommt also nicht infrage. Der Präsident weigert sich außerdem, weitere finanzielle Zugeständnisse an die Gelbwesten zu machen. Im Dezember hatte er für 2019 schon zehn Milliarden an neuen Geldhilfen für einkommensschwache Haushalte lockergemacht. Offen scheint zu sein, ob Macron bereit ist, nach Schweizer Vorbild Referenden auf Volksinitiative in die Verfassung aufzunehmen. Unter den Gelbwesten hat diese Idee viele Anhänger.

Nach neuen Protesten an diesem Wochenende beginnt Macrons großes Experiment, Ausgang offen. Nur eins scheint sicher zu sein: Danach wird der Staatschef unter Druck stehen, zumindest einige Bürgerbeschwerden zu erhören. Sonst wächst der Frust weiter.

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