Frankreich:Macrons Agenda 2022

Der Präsident schwenkt in der Migrationspolitik nach rechts, Beobachter sehen darin eine Strategie für die Wahl in drei Jahren. Das Land führt Quoten für Einwanderer ein und erschwert Asylbewerbern den Gang zum Arzt.

Von Nadia Pantel, Paris

Frankreich: Ein Abschiebehaft-Zentrum in Vincennes. Frankreich sei „zu attraktiv“, sagt Macron.

Ein Abschiebehaft-Zentrum in Vincennes. Frankreich sei „zu attraktiv“, sagt Macron.

(Foto: Stephane de Sakutin/AFP)

Seit September stimmt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Land auf eine rigidere Einwanderungspolitik ein. Am Mittwoch hat nun Premierminister Édouard Philippe die ersten greifbaren Maßnahmen vorgestellt. Man habe ein "gutes Gleichgewicht" gefunden, so Philippe, die Regierung bleibe "ihren Werten treu" und "beruhigt gleichzeitig die Bürger", ohne "dem Populismus zu erliegen".

Als größte Neuerung in der Einwanderungspolitik preist die Regierung die Einführung von Quoten für Wirtschaftsmigranten. Eine jährlich festgelegte Zahl an Ausländern, die für einen Job nach Frankreich kommen, soll helfen, die Einwanderung stärker auf die Bedürfnisse des Landes auszurichten. Die Quoten nach kanadischem Vorbild sind ein politisches Zugeständnis Macrons, besonders an die konservative Opposition, die so ein System seit vielen Jahren fordert.

Der Arbeitsmarkt ist von einem Paradox gekennzeichnet: Einerseits ist die Erwerbslosenquote mit 8,5 Prozent hoch. Andererseits können Hunderttausende Stellen nicht besetzt werden. Dem steht der Zuzug von jährlich 33 000 offiziell erfassten Personen gegenüber, die zum Arbeiten nach Frankreich kommen. Diese Form der Wirtschaftsmigration macht damit nur 13 Prozent der regulären Einwanderung aus.

Konkret besteht die versprochene Neuerung nun vor allem darin, dass in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nach Branchen und Regionen besser erfasst wird. Die Nationalversammlung soll dann jährlich beschließen, wie viele ausländische Arbeitnehmer ins Land dürfen - erstmals für das Jahr 2021. Frankreich fehlen sowohl gering qualifizierte Arbeitskräfte, etwa in der Gastronomie, als auch Facharbeiter am Bau oder Programmierer.

Der erleichterte Zugang zu Jobs in Frankreich ist politisch hochsensibel. Arbeitsministerin Muriel Pénicaud beeilte sich am Mittwoch zu erklären, die Aus- und Fortbildung der vielen Arbeitslosen im Land habe Vorrang bei der Lösung der Sorgen am Arbeitsmarkt. Ihr zufolge soll die absolute Zahl erteilter Arbeitsvisa gar nicht steigen. Jenseits des politischen Bekenntnisses zu einem Quotensystem bringt die Reform für Frankreichs Wirtschaft also keine grundlegende Veränderung. Andere Formen der Einwanderung - besonders der Familiennachzug - sollen durch die Quoten auch nicht eingeschränkt werden, so die Regierung.

Während die Arbeitgeberverbände das Quotensystem als Vereinfachung lobten, stieß es bei der Opposition auf Kritik. Die konservativen Republikaner, die eigentlich für Quoten sind, stuften die Reform als Täuschungsmanöver ein, um von vermeintlicher Masseneinwanderung in die Sozialsysteme abzulenken. Die linke Partei France Insoumise geißelte die Unterscheidung guter und schlechter Zuwanderung, die mit den Quoten verbunden sei.

Was er unter schlechter Einwanderung versteht, umriss Macron im Interview mit dem rechtsnationalen Blatt Valeurs Actuelles. Frankreich sei "zu attraktiv" für Einwanderer. Asylbewerber aus Georgien und Albanien kämen zum "Behandlungstourismus", so der Präsident. Künftig sollen Asylbewerber erst drei Monate nach ihrem Antrag das Recht haben, sich ärztliche Untersuchungen finanzieren zu lassen. Im Gespräch mit Valeurs Actuelles nannte Macron Menschen, die Geflüchteten helfen "Droit-de-l'hommistes", ein bei Rechten beliebter Neologismus, ähnlich dem Begriff "Gutmenschen". In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Macron einen klaren Rechtsschwenk bei der Bewertung von Migration vollzogen. Lobte er als Präsidentschaftskandidat die vergleichsweise liberale Asylpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel als humanitär und vorbildlich, betont er heute, Frankreich müsse sich "gegen Einwanderungswellen wappnen".

Macrons Asylvorstoß werten viele französische Kommentatoren als frühe Phase des Präsidentschaftswahlkampfs 2022. Schon jetzt ist klar, dass sich Macron wie seine Herausforderin von 2017, die rechtsradikale Marine Le Pen, auf eine Neuauflage ihres Duells einstellen. Einwanderungspolemik gehört zu den Spezialgebieten Le Pens und ihres Rassemblement National. Macron setzte Migrationspolitik vor einem Monat mit der Ansage auf die Agenda, dass man den Nationalisten dieses Feld nicht überlassen dürfe. Vor den Abgeordneten der von ihm gegründeten, regierenden Partei La République en Marche (LREM) sagte Macron im September: "Wir müssen uns entscheiden, ob wir eine Partei der Bourgeoisie sein wollen oder nicht." Wohlhabende Schichten seien mit den Problemen, die Migration mit sich bringen könne, nicht konfrontiert, die breite Bevölkerungsschicht schon. In dieser Frage gebe es "nur eine Opposition: den Rassemblement National".

Die Zahl der Asylanträge ist in Frankreich gestiegen, (120 000 Anträge 2018), obwohl der Trend im EU-Durchschnitt rückläufig ist. Für Macron Beleg, dass Frankreich sich stärker abschotten müsse. Zugleich verfolgte Frankreich in Jahren, als etwa Deutschland viele Syrer aufnahm, eine viel restriktivere Aufnahmepolitik. 2016 wurden in Frankreich 84 000 Asylanträge gestellt, in Deutschland 745 000.

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