Frankreich:"Macron will nicht als Marionette Deutschlands dastehen"

Frankreich: Der Liberale Emmanuel Macron verfolgt einen "Kurs, mit dem man sehr gut leben kann in Deutschland".

Der Liberale Emmanuel Macron verfolgt einen "Kurs, mit dem man sehr gut leben kann in Deutschland".

(Foto: AP)

Die Wahl hat eine massive EU- und Deutschland-Skepsis vieler Franzosen offengelegt. Politologe Hans Stark erklärt, wie es dazu kommen konnte - und warum ein Sieg Macrons den Weg für Le Pen 2022 ebnen könnte.

Interview von Leila Al-Serori, Paris

Der in Paris lebende Politologe Hans Stark ist Experte für deutsch-französische Beziehungen und unterrichtet an der Universität Sorbonne. Er leitet das Generalsekretariat des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) und ist Mitarbeiter am Französischen Institut für Internationale Beziehungen.

SZ: Der Liberale Emmanuel Macron gegen Rechtspopulistin Marine Le Pen - das bedeutet ein Duell der Gegensätze. Was sagt das über Frankreich?

Hans Stark: Es steht für eine Reihe von Umbrüchen. Der erste: Frankreich rückt nach rechts. Der klassische linke Kandidat für die Stichwahl ist heute ein Kandidat der Mitte, der klassische rechte Kandidat hingegen eine Rechtsextreme. Der zweite Umbruch: Das Parteiensystem ist implodiert, was zu einem Duell zweier Außenseiter geführt hat. Macron hat keine Partei hinter sich, sondern nur eine Bewegung, bei der niemand weiß, wie sie im Juni bei den Parlamentswahlen überhaupt eine Mehrheit erreichen kann. Auch der rechtsextremistische Front National kann selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Le Pen Präsidentin wird, keine Mehrheit im Parlament erreichen.

Das Ergebnis im ersten Wahlgang hat auch eine Spaltung der Gesellschaft offengelegt.

Ja, es gibt zwei Frankreichs heute - für das Land eine Katastrophe. Es ist tief gespalten zwischen den Arbeitern, den Globalisierungsverlierern, die Le Pen gewählt haben, und den Globalisierungsgewinnern, die sie nicht wollen. Auch verläuft die Teilung zwischen einem Westen, der eher links wählt, und einem Osten und Süden, die massiv für Le Pen gestimmt haben. Und Frankreich ist gespalten zwischen den Städten und dem ländlichen Raum.

Diese Gegensätze existieren, aber Le Pen treibt die Zersplitterung auf die Spitze. Das führt zu einer Spannung im Land, die abträglich ist für ein Programm der wirtschaftlichen Gesundung, das Frankreich unbedingt braucht. Sie hetzt die Menschen gegeneinander auf. Franzosen gegen Migranten, das sogenannte einfache Volk gegen die wohlsituierten Eliten, die Landbevölkerung gegen die Stadtbevölkerung.

Diese Konflikte in der Gesellschaft existieren nicht nur in Frankreich, sondern auch in anderen europäischen Staaten und vor allem in den USA, wie die Wahl Donald Trumps gezeigt hat.

Le Pen nutzt den Konflikt kleiner Mann gegen Elite aus, so wie das Trump ausgenutzt hat, um an die Macht zu kommen. Genau wie andere populistische Parteien. Und auch die AfD geht langsam in diese Richtung.

Die EU wird von diesen Parteien als Übel stilisiert, eine Meinung, die viele Wähler offenbar teilen. Etwa 40 Prozent der wählenden Franzosen haben sich für EU-Kritiker ausgesprochen, neben Le Pen auch Jean-Luc Mélenchon - was ist da passiert?

Franzosen, die nicht von der Globalisierung profitieren, die abgehängt sind, sehen in Europa heute keinen Nutzen mehr, sondern vielmehr den Grund für den nationalen Niedergang. Wobei auch viele Wähler Le Pens nicht unbedingt für den Austritt sind. Sollte sie an die Macht kommen und ein Referendum zur EU ansetzen, ist nicht gesagt, dass sie eine Mehrheit bekommt.

Das ist vergleichbar mit Griechenland. Es gibt eine massive Kritik an der Art wie EU-Wirtschaftspolitik gestaltet wird, vor allem die Sparpolitik. Frankreich kommt damit nicht zurecht - und das seit über 40 Jahren. Das Land wurde immer wieder durch äußeren Druck, insbesondere von Deutschland, gezwungen, zu sparen. Während Frankreich traditionell dem Staat zuschreibt, Jobs zu schaffen, die Konjunktur anzukurbeln und Geld zu investieren - auch wenn es nicht da ist. Das Land leidet also an dem Kurs, der von der EU und besonders eben Deutschland bestimmt wird.

Aber den Euro wollen die Franzosen trotz EU-Skepsis doch behalten?

Darin liegt der Widerspruch: Eine Mehrheit der Franzosen, inklusive diese, die zu den Verlierern gehören, wissen, dass mit dem Euro eine Stabilität einhergeht. Die Rückkehr zum Franc wäre ein zu riskantes Abenteuer, das sie nicht gewillt sind, einzugehen. Eben wie die Griechen, die für Alexis Tsipras gestimmt haben, aber nicht zur Drachme zurückkehren wollten.

Stichwort Deutschland, das eine Sparpolitik fast schon aufzwingt. Macht sich in Frankreich eine steigende Deutschland-Kritik in der Bevölkerung bemerkbar?

Deutschland-Phobie nein, aber wie Sie richtig sagen, eine Deutschland-Kritik - und diese ist massiv. Sie wird im Wahlkampf von Le Pen ausgedrückt, ganz offen, aber auch von Mélenchon und anderen Politikern. Und ich schätze, dass diese Kritik von mindestens zwei Dritteln der Franzosen, wenn nicht sogar mehr, geteilt wird.

"Er würde gleichzeitig die Türen für den Front National öffnen"

Auch Macron hat sich zuletzt kritisch in Richtung Deutschland geäußert und die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft kritisiert ...

Er versucht in dieser Debatte natürlich auch Punkte zu machen. Macron will nicht als Marionette Deutschlands dastehen. Genau das macht ja Marine Le Pen: Sie stempelt ihn als jemanden ab, der von Deutschland gesteuert wird, als den Kandidaten von Berlin.

Was würde ein Sieg Le Pens für das deutsch-französische Verhältnis bedeuten?

Sollte sie an die Macht kommen und tatsächlich regieren können, gehe ich davon aus, dass das deutsch-französische Verhältnis auf Eis gelegt wird.

Wobei man zuerst schauen muss, wie die Parlamentswahlen im Juni ausgehen. Und man muss festhalten: Le Pens Wahlsieg ist nicht unmöglich, aber er ist auch nicht wahrscheinlich. Und selbst wenn, wird es für sie sehr schwierig, die nötige Unterstützung im Parlament zu bekommen. Zusammengefasst: Sie ist ein erheblicher Störfaktor in der französischen Innenpolitik, aber sie ist bisher nicht mehrheitsfähig.

Sollte nun Macron gewinnen, was ja durchaus wahrscheinlich ist, was würde das bedeuten für Deutschland?

Es wäre das glatte Gegenteil. Deshalb skizziert ihn Le Pen auch als Kandidaten Deutschlands. Sollte ihm eine konstruktive Mehrheit im Parlament gelingen, die proeuropäisch orientiert ist, dann geht seine Regierung in die Richtung einer liberalen Sozialdemokratie. Das wäre ein politischer Kurs, mit dem man sehr gut leben kann in Deutschland.

Was erwarten Sie von einer Präsidentschaft Macrons?

Sollte Macron den zweiten Wahlgang für sich entscheiden, ist er auch ein Hoffnungsträger. Die Franzosen sind der Links-rechts-Lager müde, viele wünschen sich, dass vernunftbegabte Politiker aus allen Lagern sich um Macron gruppieren und endlich etwas bewegen.

Man muss allerdings schauen, wie das funktioniert: Ob Macron es wirklich schafft, Reformen anzugehen, das Land umzustrukturieren und den Menschen wieder Vertrauen zu geben. Davon hängt alles ab, sonst bleibt Marine Le Pen ante portas.

Manche Franzosen fürchten, dass Macron nur Franço​is Hollandes Politik fortsetzt.

Das sehe ich nicht so, denn im Grunde genommen gab es gar keine Politik Hollandes. Er war in den fünf Jahren seiner Amtszeit weitgehend gelähmt durch einen fehlenden Rückhalt im Parlament. Es gibt in Frankreich keine Fraktionsdisziplin. Das heißt, Hollande hat von Anfang an gegen Widersacher kämpfen müssen, die ihm das Regieren unmöglich machten. Deshalb gab es keine kohärente Wirtschaftspolitik. Macron wird sicherlich nicht an diese Art Politik anknüpfen. Dann wäre er von Anfang an gescheitert.

Der Schriftsteller Didier Eribon hat zuletzt bei einer Podiumsdiskussion in München gesagt, dass ein Sieg Macrons bedeuten würde, dass Le Pen beim nächsten Mal Präsidentin wird. Wie sehen Sie das?

Ja, diese Gefahr besteht. Wenn die Wahl Macrons zu einer Lähmung führt in der Innenpolitik, wenn es ihm nicht gelingt, eine agierende Mehrheit hinter sich zu versammeln, die Reformen durchsetzt, wären das weitere fünf verlorene Jahre - und dann muss man davon ausgehen, dass die Populisten als Nächstes die Macht übernehmen.

Es ist auch möglich, dass Macron, um selbst regierungsfähig zu sein, das Mehrheitswahlsystem abschafft zu Gunsten eines Proporzsystems. Das hätte aber auch zur Folge, dass viele Front-National-Politiker Sitze bekommen, sie könnten dann bis zu 30 Prozent der Abgeordneten stellen. Bisher haben sie nur zwei Mandate.

Dass heißt, Macron würde so den Weg für Marine Le Pen ebnen?

Genau. Es wäre ein zweischneidiges Schwert: Ihm würde eine Mehrheit erleichtert, denn um in der Mitte zu regieren, ist das derzeitige Wahlrecht hinderlich, es spaltet zwischen rechts und links. Aber er würde gleichzeitig die Türen für rechtsextreme Abgeordnete öffnen - und damit Le Pen einen Rückhalt im Parlament beschaffen.

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