Frankreich:Ein fragiles Konstrukt

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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die vorgezogenen Paralmentswahlen nach der Europawahl Anfang Juni quasi im Alleingang angesetzt. (Foto: Thibault Camus/AP)

Macrons Bündnis schneidet bei der Parlamentswahl nicht so schlecht ab wie befürchtet, trotzdem sind die Linke und die extreme Rechte so stark wie noch nie, die Partei des Präsidenten ist geschwächt. Wie konnte das passieren?

Von Kathrin Müller-Lancé

Was waren das für Bilder 2017. Emmanuel Macron, wie er durch den Hof des Louvre schreitet, Beethovens Neunte im Hintergrund, Jubel, „Macron Président“-Schreie, Applaus, wie er sich ans Rednerpult stellt, sagt, dass er wisse, dass einige ihn nur gewählt hätten, um die Republik zu verteidigen, er aber in den kommenden fünf Jahren alles dafür tun wolle, dass niemand mehr einen Grund habe, die Rechtsextremisten zu wählen. Und dann sagt er noch: „Ein neues Kapitel in unserer langen Geschichte beginnt.“

Heute, sieben Jahre und zwei Monate später, scheint dieses Kapitel zwar noch nicht ganz vorbei zu sein, trotzdem geht Macrons Bündnis Ensemble pour la République geschwächt aus der vorgezogenen Parlamentswahl hervor. Ersten Prognosen zufolge landet das Lager des Präsidenten auf Platz zwei hinter dem Linksbündnis Nouveau Front populaire und könnte zwischen 152 und 158 Sitzen in der Nationalversammlung erhalten. 2017, kurz nach Macrons erster Wahl zum Präsidenten, hatte sein Bündnis mit 306 von 577 Sitzen eine absolute Mehrheit gewonnen. Bei den Parlamentswahlen 2022 reichte es immerhin noch für eine relative Mehrheit mit 244 Sitzen. Schon das erschwerte in der vergangenen Legislatur das Regieren, Macron und seine Minister waren für ihre Vorhaben auf Stimmen aus der Opposition angewiesen.

„Veni, vidi, Vichy“ betitelte in der vergangenen Woche die italienische Zeitung Il Manifesto ein Foto von Macron, in Anlehnung an das französische Vichy-Regime, das während des Zweiten Weltkriegs mit den Nazis kollaborierte. Macron, der seinen Herrschaftsstil gern mit Jupiter, dem Gott der Götter, verglich, wird im politischen Paris inzwischen eher mit dem römischen Kaiser Nero gleichgesetzt, dem nachgesagt wurde, dass er das Feuer, das einst seine Stadt zerstörte, selbst gelegt habe.

Es ist das eingetreten, was Macron verhindern wollte

Anders als die Umfragen vor der Wahl suggerierten, ging nicht die extreme Rechte, sondern die Linke als große Gewinnerin der Neuwahlen hervor. Trotzdem ist auch Marine Le Pens Rassemblement National stärker als je zuvor. Zwischen 138 und 145 Sitzen könnte er Prognosen zufolge in der Nationalversammlung erhalten, so viele wie noch nie bei einer Parlamentswahl. 2022 lagen die extremen Rechten nach dem zweiten Wahlgang nur bei 17,3 Prozent, 2017 gerade mal bei 8,8 Prozent.

Bei der Parlamentswahl 2017 waren es gerade die Jungen, die Macrons Leuten ihre Stimmen gaben. 32 Prozent der 18- bis 24-Jährigen stimmten damals für sein Bündnis. Bei der ersten Runde der diesjährigen Parlamentswahl waren es gerade mal neun Prozent. Nur in einer Altersgruppe waren die Macronisten am stärksten: bei den über 70-Jährigen.

Macron, der immer als Präsident der Elite des Landes galt, ist inzwischen nicht einmal mehr bei den Führungskräften die beliebteste politische Kraft. 2017 hatte sein Bündnis in dieser Berufsgruppe noch 36 Prozent geholt, dieses Jahr waren es in der ersten Runde nur 26 Prozent. Das Linksbündnis Nouveau Front populaire holte acht Prozentpunkte mehr.

Auch wenn Emmanuel Macron im Ausland vielleicht immer etwas beliebter war als zu Hause – ganz am Anfang war da schon eine Euphorie in Frankreich, als seine Leute 2016 von Tür zu Tür zogen, um Impulse für das Wahlprogramm zu sammeln, als er mit seinen Wahlkampfveranstaltungen die Hallen in Paris, Marseille, Lyon füllte, neben der Frankreichfahne immer auch die Europaflagge austeilen ließ. „En Marche!“ hieß seine Bewegung erst, mit Ausrufezeichen und denselben Initialen wie er selbst, 2022 dann benannte er sie um in „Renaissance“, „Wiedergeburt“. Aber da war die Begeisterung schon verflogen.

Macrons Partei war immer schon ein fragiles Konstrukt

Macron hat es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft, Wahlen zu gewinnen. Stets profitierte er dabei von denen, die ihn eher widerwillig wählten, um Marine Le Pen zu verhindern. Eine ernst zu nehmende politische Kraft, die über ihren Gründer hinaus Bestand haben könnte, ist seine Partei nie geworden. Weil sie sich wenig um eine lokale Verankerung bemüht hat. Aber vielleicht auch, weil sie von Anfang an ein fragiles Konstrukt war.

Macron hatte einst Politikerinnen und Politiker von rechts und links eingesammelt, mit dem Versprechen, eine vernünftige Politik für die Mitte zu machen. Das en même temps, das „Sowohl-als-auch“, machte er zu seiner Kernbotschaft. Im traditionell wenig kompromissbereiten Frankreich stieß seine Strategie bald an ihre Grenzen. Nicht mal in seinem eigenen Lager waren sich die Leute immer einig. Die ehemals sozialistische Premierministerin Élisabeth Borne setzte die umstrittene Rentenreform eher pflichtschuldig durch, der strenge Kurs seines ehemals rechten Innenministers Gérald Darmanin galt einigen im eigenen Lager als zu radikal.

Und auch Macron selbst entfernte sich mehr und mehr von der Mitte, von der er so gerne sprach. Sein strenges Einwanderungsgesetz verabschiedete er im vergangenen Herbst in der Nationalversammlung mit Stimmen von Marine Le Pens Rassemblement National. Mehr als 20 Abgeordnete aus seinem eigenen Lager stimmten dagegen. Statt als Reformer und Hoffnungsträger nahmen die Französinnen und Franzosen ihren Präsidenten mehr und mehr als abgehoben, ignorant, autoritär wahr.

Auch jetzt vor der Stichwahl gab es unter den Macronisten keine Einigkeit, welche Parteien die Brandmauer, mit der man die extreme Rechte stoppen wollte, umfassen sollte. Eher linke Stimmen wie der ehemalige Verkehrsminister Clément Beaune sprachen sich dafür aus, auch aussichtsreiche Kandidaten der radikal linken La France insoumise zu unterstützen, eher Konservative wie Finanzminister Bruno Le Maire warnten davor, dass weder eine Stimme an den Rassemblement National noch an La France insoumise gehen dürfe.

„Der Präsident hat seine eigene Mehrheit vernichtet“, warf Macron schon vor ein paar Tagen sein ehemaliger Premierminister Édouard Philippe vor und schob dann bitter hinterher: „Sehr gut, machen wir mit etwas anderem weiter.“

Noch ist unklar, wie die Regierung nach der Wahl aussehen könnte. Aber schon jetzt dürfte fest stehen: Die Macronisten werden in der kommenden Legislatur eine weitaus weniger wichtige Rolle spielen als bisher.

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