Frankreich:Macron will "kollektiv lernen, anders zu regieren"

Frankreich: Präsident Macron begrüßt Marine Le Pen im Élysée-Palast. Le Pens rechtsextreme Partei wird nach jetzigem Stand die größte Oppositionsfraktion stellen.

Präsident Macron begrüßt Marine Le Pen im Élysée-Palast. Le Pens rechtsextreme Partei wird nach jetzigem Stand die größte Oppositionsfraktion stellen.

(Foto: Ludovic Marin/AFP)

Frankreichs Präsident versucht sich irgendwie damit zu arrangieren, dass das Parlament wieder mitentscheiden darf. Wann seine neue Regierung steht, ist völlig unklar.

Von Nadia Pantel, Paris

Nach seinem Verlust der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung versucht Emmanuel Macron, sich auf die neuen politischen Gegebenheiten des Landes einzustellen. Man müsse "kollektiv lernen, anders zu arbeiten und zu regieren", sagte Frankreichs Präsident am Mittwochabend in einer Fernsehansprache. Es war seine erste öffentliche Reaktion auf seine Niederlage bei der Parlamentswahl am Sonntag. Dort hat Macrons Parteienbündnis "Ensemble" zwar die meisten Sitze gewonnen, aber mit 245 Abgeordneten deutlich die Mehrheit von 289 Sitzen verpasst, die nötig gewesen wäre, um Gesetze ohne Abstimmung mit der Opposition durchzubringen.

Die Wähler hätten sich "klar für den Wandel" ausgesprochen, sagte Macron. Allerdings blieb offen, wie er diesen Wandel gestalten will. Anders als in seiner ersten Amtszeit wird Frankreichs Parlament nun eine spürbar zentralere Rolle zukommen. Macrons Partei und ihre Bündnispartner haben zahlreiche Sitze an die linke Nupes-Allianz (131 neu gewählte Abgeordnete) und die extreme Rechte von Marine Le Pen (89 Abgeordnete) verloren. Deshalb wird Macron künftig auf Stimmen der Opposition angewiesen sein, um Gesetze durchzubringen.

Der Präsident sagte in seiner Ansprache, es sei an unterschiedlichen Gruppen in der Nationalversammlung, "in den kommenden Tagen zu sagen, welchen Anteil an Verantwortung sie übernehmen" wollten. Ob sie bereit seien, "in eine Regierungskoalition einzutreten" - oder ob sie von Fall zu Fall, von Gesetzestext zu Gesetzestext abstimmen wollten. Macron machte aber keiner Partei ein konkretes Angebot für Koalitionsgespräche.

Tatsächlich schließen bislang alle Oppositionsparteien einen offiziellen Zusammenschluss mit dem Macron-Bündnis aus. Der Vorsitzende der rechtsbürgerlichen Républicains, Christian Jacob, hatte zu Beginn der Woche gesagt, er sei "nicht zum Deutschen berufen". Was im französischen Kontext so viel heißt wie: Er werde seine Rolle als Oppositionspolitiker nicht aufgeben, um Kompromisse einzugehen. "Eine Regierungsbeteiligung oder was auch immer dieser Art ist ausgeschlossen", betonte Jacob.

Die Situation ist ungewohnt für Macron - und für ganz Frankreich

Die Républicains haben 61 Abgeordnete in der neu gewählten Nationalversammlung, das hätte theoretisch ausgereicht, um Macrons Bündnis doch noch zur absoluten Mehrheit zu verhelfen. Auch wenn Jacob diese Möglichkeit ausschloss, kündigte er doch an, eine "verantwortungsbewusste Opposition" bilden zu wollen. Das deutet auf eine Bereitschaft der Républicains hin, einzelne Reformvorhaben der Regierung zu unterstützen.

Die aktuelle Lage ist ungewohnt für Macron - und für ganz Frankreich. Das lässt sich daran ablesen, dass völlig unklar ist, wann eine neue Regierung berufen wird. Bei der Parlamentswahl am Sonntag sind drei Ministerinnen daran gescheitert, ein Mandat zu gewinnen. Sie werden zurücktreten müssen, die Ministerien für Umwelt, Gesundheit und Meeresangelegenheiten brauchen dann neue Spitzen.

Auch die Premierministerin Élisabeth Borne hat ein Rücktrittsgesuch eingereicht, das Macron jedoch am Dienstag mit der Begründung ablehnte, die Regierung müsse handlungsfähig bleiben. Am Mittwoch erschütterte ein weiterer Skandal die Regierung. Gegen die Staatssekretärin Chrysoula Zacharopoulou gingen zwei Anzeigen wegen Vergewaltigung ein. Die Vorwürfe betreffen ihre Arbeit als Gynäkologin.

Aber auch die Opposition hatte einen holprigen Start in die erste Nachwahlwoche. Am Montag schlug der linke Ex-Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon vor, die links-grüne Allianz Nupes solle in der Nationalversammlung eine gemeinsame Fraktion bilden. So könne man den rechtsextremen Rassemblement National als größte Oppositionspartei verhindern. Mélenchons Partei La France Insoumise hat zwar 72 Abgeordnetensitze gewonnen, 55 mehr als 2017. Aber eben weniger als der Rassemblement National mit seinen 89 Sitzen. Linke Kräfte könnten nur dann die größte Oppositionsgruppe bilden, wenn sie sich verbindlicher zusammenschließen als in der bisherigen Nupes-Allianz. Diese stellte in erster Linie ein Wahlbündnis dar, um Gegenkandidaturen auszuschließen.

Den Vorschlag einer gemeinsamen Fraktion hatte Mélenchon allerdings in den Medien gemacht, ohne vorher mit seinen drei Nupes-Partnern zu sprechen. Prompt schlossen diese - Frankreichs Grüne EELV, die Kommunistische Partei und die Sozialisten - die Option am Montag aus. Doch die Frage der größten Oppositionsfraktion bleibt wichtig, weil sie traditionell die Besetzung für die Spitze der Finanzkommission stellt. Am kommenden Dienstag hält das neue Parlament seine erste Sitzung ab.

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