Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Macron muss den Chefkult überwinden

Der junge Präsident will Frankreichs Modernisierer sein, doch sein Amtsverständnis ist veraltet. Wenn er sich weiter so spätmonarchisch geriert wie bisher, wird er unter seinen Möglichkeiten bleiben.

Kommentar von Leo Klimm

Emmanuel Macron - ein Präsident im Start-up-Modus: Frankreichs neuer Staatschef und seine Mitstreiter mochten diesen Vergleich. Wie dieser Senkrechtstarter den Élysée-Palast eroberte - das wirkte wie ein politisches Unternehmen, das sich aus der Kraft des Neuen speiste. Jetzt, da Macron hundert Tage im Amt ist, wird klar: Als Präsident ist er eher der strenge Chef eines Elitekommandos als ein lässiger Jungpolitiker.

Macron mag jung wirken im Auftreten, aber sein Amtsverständnis ist alt, veraltet. Er orientiert sich am Mythos von Vorgängern aus einer anderen Zeit - wie Charles de Gaulle. Er reizt die Machtfülle aus, die ihm de Gaulles Verfassung einräumt. Macrons Regierungsteam hat kein eigenes politisches Gewicht, es erlässt auf sein Geheiß per Verordnung Gesetze. Das Parlament pariert. Der Präsident äußert sich selten, dann aber mit einer Autorität, die bald autoritär wirkt. Am liebsten aber lässt er Bilder sprechen, die ihn als souveränen, virilen Chef zeigen.

Der Neue ist besessen von dem verständlichen Wunsch, dem höchsten Staatsamt nach dem glücklosen François Hollande Würde zurückzugeben. Er will schnell Wirtschaftsreformen umzusetzen. Doch indem er den Personenkult nährt, schürt er einen grundsätzlichen Konflikt: Kann Macron Frankreichs Modernisierer sein, wenn er zugleich ein Rollenverständnis pflegt, das spätmonarchisch anmutet?

Macron fragt zu wenig nach den Fehlern im System

Macron trägt den alten Gegensatz von Dirigismus und Liberalismus in sich. Der Inhalt seiner Politik passt nicht zur Form. Dabei geht es um mehr als Stilfragen. Hinter vielen Veränderungen, die Macron anstrebt, steht eine richtige Leitidee. Sie kommt einem Paradigmenwechsel für Frankreich gleich: Die gesellschaftlichen Akteure - Bürger, Unternehmen, Schulen, die Regionen - würden mehr Selbständigkeit vertragen. Nicht immer muss jedes Detail von oben per Gesetz geregelt werden. Es ist auch besser, Eigeninitiative und Unternehmertum zu ermutigen, als die Anspruchshaltung an einen patriarchalischen Staat zu päppeln, der am Ende vor allem von einem verkörpert wird: dem Präsidenten. Macron befördert diese eingeübte Haltung leider durch seine Amtsführung. Erwartungen hat er bereits enttäuscht. In den Umfragen brechen seine Zustimmungswerte ein.

De Gaulles demokratisch fragwürdiges Präsidialsystem aus den späten Fünfzigern, das die Macht beim Staatschef und zwei, drei Schattenfiguren im Élysée konzentriert, ist überholt. In einer pluralen Gesellschaft wie der des heutigen Frankreich kann es gar nicht sein, dass ein Mastermind allein die beste Lösung für alle kennt.

Macrons Maßstab ist: "Effizienz". Doch er fragt zu wenig nach den Fehlern im System, die dazu geführt haben, dass Frankreich schon so lange so schlecht regiert wird. Zwar wagt der Präsident durchaus kleine Verbesserungen am System. Seine breite Mehrheit hat die bisher übliche Vetternwirtschaft im Parlament schon erschwert. Ein neues Wahlrecht soll die Nationalversammlung demokratischer gestalten. Aber Macron geht nicht weit genug. Er stärkt das Parlament nicht. Er tastet das Gefüge der Institutionen nicht an.

Vielleicht ist es zu viel verlangt, die eigene Macht zu beschneiden. Anscheinend glaubt Macron auch, seine Landsleute wollten einen Königsersatz. In der Tat hängen viele Franzosen am starken Staat mit einem starken Chef. Doch stimmt dieses Bild eigentlich nicht mehr mit der gesellschaftlichen Realität im 21. Jahrhundert überein. Zwar hat der Staatschef Chancen, erfolgreicher zu werden als seine Vorgänger. Er hat Mut zu wirtschaftspolitischen Reformen. Ein Konjunkturaufschwung hilft ihm. Und doch wird er unter seinen Möglichkeiten bleiben, wenn er dem Chefkult frönt. Er sollte ihn überwinden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3635246
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.08.2017/ewid
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.