Süddeutsche Zeitung

Frankreich:"Macron ist der Präsident der Reichen"

Vor einem Jahr hat Frankreich einen neuen Staatschef gewählt. Was hat sich mit Emmanuel Macron verändert? Sieben Franzosen und Französinnen ziehen eine persönliche Bilanz.

Protokolle von Vera Deleja-Hotko

Seit seiner Wahl vor einem Jahr hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bereits einiges verändert: Er hat die Vermögensteuer abgeschafft, eine umfangreiche Arbeitsmarktreform durchgesetzt und die Auswahlverfahren an den Hochschulen verschärft. Auf Kritik an seinen Reformen ging Macron kaum ein. Hier ziehen sieben Französinnen und Franzosen ihre persönliche Bilanz des ersten Präsidentschaftsjahres.

Patrice Douillar, 47, lebt in Nantes

"Außerhalb Frankreich denken einige, dass es bei uns chaotisch zugehe. Aber Demonstrationen und Streiks sind hierzulande normal. Ein junger Politiker wie Macron bringt frischen Wind. Vor allem schätze ich an ihm, dass er sich weder links noch rechts positioniert und hält, was er verspricht. Letzteres überrascht viele im Land. Es ist schon zu lange her, dass ein französischer Präsident auch das tat, was er vor der Wahl versprochen hatte.

Ich habe im ersten und im zweiten Wahldurchgang für ihn gestimmt. Ich glaube, wenn wir weiterkommen wollen, dann muss sich etwas gravierend verändern. Mit Macron als Präsident ist das möglich - vor allem wirtschaftlich gesehen. Er setzt sich ein für bestehende Unternehmen und möchte jene unterstützen, die neue gründen wollen."

Marc C., 59, lebt in Marseille

"Beim zweiten Wahldurchgang bin ich nicht wählen gegangen. Ich weiß, dass das nicht gut ist, aber ich wollte weder Macron noch die Front-National-Chefin Marine Le Pen wählen. Am Wahltag habe ich die ersten inoffiziellen Hochrechnungen abgewartet. Zu diesem Zeitpunkt waren die Wahllokale noch geöffnet. Als klar war, dass Le Pen nicht gewinnen kann, bin ich zu Hause geblieben. Nicht aus Faulheit, sondern aus Protest.

Macron ist der Präsident der Reichen, ein Ultra-Liberaler. Durch ihn wird alles privatisiert. Ich habe das Gefühl, dass für uns, die Durchschnittsbürger, nichts getan wird. Das desillusioniert mich. Ich finde es sehr gut, dass viele gegen Macron demonstrieren. Auch ich mache das. Aber ich habe das Gefühl, dass wir nicht viele sind. Es scheint mir, als würden viele Franzosen noch schlafen. Generell glaube ich nicht, dass die Demonstrationen etwas verändern werden. Ich bin da pessimistisch."

Amandine Chiron, 26, lebt in Paris

"Im zweiten Wahldurchgang habe ich Macron gewählt. Aber nicht nur, um gegen Le Pen zu stimmen. Grundsätzlich bin ich nicht wirklich für, aber auch nicht wirklich gegen ihn. Womit ich aber nicht einverstanden bin, ist die weitgehende Abschaffung der Einkommensteuer und die vermeintliche Hochschulreform, die mittels einer Selektion den Zugang beschränkt. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass Macron sich für den Erhalt gesellschaftlicher Grundsätze, wie beispielsweise die Ehe für alle, einsetzt und das ist mir sehr wichtig.

Generell habe ich das Gefühl, dass die politische Teilhabe nach Frankreich zurückgekehrt ist. Unter seinem Vorgänge François Hollande war alles eintöniger. Es fehlten der Dialog und die Initiativen."

Alexis Demoment, 21, lebt in Lyon

"Ich habe nicht für Macron gestimmt, da ich gegen eine neoliberale Wirtschaftspolitik bin. Generell positioniert sich Macron in meinen Augen Mitte-rechts. Vom Beginn seiner Kandidatur an habe ich vermutet, dass er wenig auf sozialpolitische Aspekte achten wird. In seinem ersten Jahr als Präsident hat sich meine Vermutung bestätigt, beispielsweise durch die Hochschulreform.

Macron hört nicht auf die, die seine Reformen kritisieren. Vor allem nicht auf die Demonstrierenden und Streikenden. Er wird noch weitere vier Jahre französischer Präsident sein. Ich finde es erschreckend, dass es in dieser Zeit keine Möglichkeit geben wird, unseren Stimmen Gehör zu verschaffen. Der Präsident macht, was er will - ohne sich davon abbringen zu lassen. Andererseits wurde er genau dafür auch gewählt."

Pierre Moretti, 37, lebt in Lausanne in der Schweiz

"Während des Wahlkampfes hatte ich Angst, dass die Extremparteien - rechts oder links - gewinnen könnten. Macron hingegen mochte ich, denn er signalisierte Bewegung und positionierte sich in der Mitte. Ich war erleichtert, als er vor einem Jahr gewählt wurde. Mit ihm kam ein Gefühl, dass sich das System ändern könnte.

Ich lebe seit 2001 nicht mehr in Frankreich und beobachte mein Heimatland von außen. Mit Macron hat sich Frankreichs Image im Ausland zum Positiven gewandelt. Vorher galt Frankreich als unflexibel - sowohl am Arbeitsmarkt als auch in der Denkweise. Jetzt wirkt es dynamischer, denn seit er im Amt ist, tut sich wieder etwas. Vor allem in der Wirtschaft. Ich finde, Frankreich benötigt Reformen und der neue Präsident hat gute Ideen. Zwar stößt er mit seinen Methoden auch auf Widerstand, aber ich finde, seine Politik geht in die richtige Richtung."

Lucas Le Bigot Maercker, 21, lebt in Nantes

"Macron behauptet von sich, Sozialist zu sein. In meinen Augen kann aber jemand, der die Jugend dazu anregt, von einem Leben als Milliardär zu träumen, kein Sozialist sein. Eine solche Anhäufung an Reichtum finde ich unverschämt, wenn man weiß, dass die Ressourcen auf der Welt begrenzt sind.

Macron glaubt wohl, dass er die Reichen braucht, um die Wirtschaft anzukurbeln. Deswegen schafft er die Vermögensteuer ab. Dies erscheint mir jedoch nicht erforderlich. Selbst in einer kapitalistischen Welt könnte man doch vermehrt kleine und mittlere Unternehmen fördern.

Letztendlich hat Macron nicht wegen seines Programms gewonnen, sondern weil seine Kandidatur verhindert hat, dass die Rechtsextreme Le Pen Präsidentin wird. Doch das interessiert ihn nicht und das finde ich skandalös. Im ersten Wahlgang habe ich für ihn gestimmt, um eine Stichwahl zwischen Le Pen und François Fillon, dem konservativen Präsidentschaftskandidaten, zu verhindern. Im zweiten, um gegen Le Pen zu stimmen."

Isabell Lamann, 54, lebt in der Bretagne

"Im ersten Wahldurchgang habe ich nicht für Macron gestimmt. Im zweiten schon, aber nur, um gegen Le Pen zu stimmen. Seit der Wahl habe ich zunehmend das Gefühl, dass meine persönliche Freiheit eingeschränkt wird. Die Personenkontrollen haben stark zugenommen. Ohne Personalausweis kann ich nicht mehr durch das Land fahren.

Dennoch glaube ich, dass Macron besser ist als sein Vorgänger Hollande. Reformen gab es damals keine. Jetzt habe ich zumindest das Gefühl, dass sich etwas verändert. Wir werden sehen, inwieweit sich die Reformen langfristig bewähren."

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