Frankreich:Emmanuel Macron hat den Blues

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Emmanuel Macron trifft Soldaten aus der Ukraine, die in einem französischen Militärstützpunkt ausgebildet werden. (Foto: Thibault Camus/AFP)

Der französische Präsident ist innenpolitisch nur noch Statist. Wie kann der selbstgewisse Vielredner seiner letzten Amtszeit noch Bedeutung geben? Die Welt und Europa werden ihn wohl noch öfter als Außen- und Verteidigungspolitiker erleben.

Von Oliver Meiler, Paris

Schwermut habe sich auf seine Präsidentschaft gelegt, heißt es von Emmanuel Macron. Zumindest erzählen das Leute, die ihn im Palais de l’Élysée besucht haben und dann gleich alles den Reportern rapportierten. „Les visiteurs du soir“, die Besucher des Abends, sind ein eigenes Genre im politischen Betrieb Frankreichs und in aller Regel redselig. Anonym, natürlich. Man hört den Präsidenten seit einigen Wochen auch viel seltener öffentlich reden. Das Wenige ist natürlich immer noch recht viel, aber eben kein Vergleich mit dem Verlautbarungsschwall, den er in den sieben Jahren vor den verhängnisvoll vorgezogenen Parlamentswahlen in diesem Sommer zu entfesseln pflegte. Für seine Verhältnisse ist Macron geradezu still geworden.

Der Präsident hat den Blues. Er findet sich nur leidlich ab mit seiner neuen, gestutzten Rolle. Seit er mit Michel Barnier einen Premier aus einer anderen Partei als der seinen berufen musste, weil sein Lager bei den Wahlen dramatisch eingebrochen war, ist ihm nämlich die gesamte Innenpolitik entglitten, auch die Finanzpolitik. Die verantwortet nun Barnier. Das ist Praxis in Frankreich, wenn der Premier nicht einfach der verlängerte Arm des schier allmächtigen Präsidenten ist.

Premier Barnier weist Macron in seine Schranken

Zwar ist der konservative Barnier nicht gerade ein Gegner von Macron, dafür sehen sie viele Dinge zu ähnlich. Sie bilden also keine klassische cohabitation an der Spitze der Exekutiven, wie man in Frankreich sagt, wenn Präsident und Premier aus grundsätzlich unterschiedlichen Lagern kommen und auch mal gegeneinander regieren. Doch ein harmonisches Duo sind sie auch nicht, wie jetzt die Diskussionen über das Sparbudget für 2025 zeigen. Barnier stellte einen Etat zusammen, samt höheren Steuern, der mit den zentralen Prinzipien des Macronismus bricht – so sehr, dass der Präsident fürchtet, der Premier könne sein Vermächtnis gefährden, zweieinhalb Jahre vor dem Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit.

Wenn es weder eine cohabitation noch eine harmonische Teamarbeit ist, was ist es dann? Macron nennt es ein „anspruchsvolles Nebeneinander“. Das ändert aber wenig an der neuen Ausgangslage, dass dem Präsidenten und Oberbefehlshaber der Armee ab sofort nur das Internationale bleibt: die Außen- und die Verteidigungspolitik Frankreichs. Und nicht einmal die exklusiv, wie ihm Barnier schon kurz nach seiner Berufung bedeutete. Man teile sich die Kompetenzen, sagte der Premier, die Verfassung sehe nämlich überhaupt keine domaine réservé des Präsidenten vor, keine Exklusivbefugnisse. Die viel debattierte Regel ist nur eine Tradition und deshalb interpretierbar.

Sogar die Bühne in Brüssel muss Macron nun teilen, ein wenig wenigstens, und das kann ihm nicht gefallen. Er ist es gewohnt, allein im Lichtkegel der Scheinwerfer zu stehen. Wenn Macron an diesem Donnerstag am Gipfel der Europäischen Union teilnimmt, ist auch sein Premier in Brüssel. Barnier trifft sich mit der Prominenz seiner politischen Familie, der Europäischen Volkspartei, auch mit Ursula von der Leyen, der obersten Europäerin. Das machen alle Parteien so, vor großen Gipfeln stimmt man sich ab. Macron gehört dem kleiner gewordenen zentristischen Lager von Renew Europe an. Für Barnier, früher EU-Kommissar und entsprechend gut vernetzt in Brüssel, ist die Reise auch ein stolzes Comeback, in neuer Weste.

Die Erinnerung an den feixenden Chirac und Mitterrand kommt auf

Er wolle Macron keinen Schatten machen, ließ Barnier zwar ausrichten. Doch im Élysée sieht man das anders. Die Präsenz des Premiers in Brüssel irritiert den Präsidenten. Er wies seine Berater an, die Devise durchzugeben, dass Frankreich einen Platz am Tisch des EU-Gipfels habe – und auf diesem Platz der Präsident sitze.

Man erinnert sich in Frankreich jetzt wieder daran, wie das jeweils war, als das Land in einer wahren cohabitation regiert wurde und sich auch mal zwei Franzosen auf einem Platz drängten. Besonders einprägsam war die Szene auf einem Gipfel in Den Haag 1986, als der damalige Premier Jacques Chirac, ein Gaullist, neben dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand vor die Presse trat – feixend, die Arme vor der Brust verschränkt, nahe an der Majestätsbeleidigung.

Die französischen Medien analysierten jede Geste und jedes Wort, um sich einen Reim auf die neuen Mächteverhältnisse zu machen. Mitterrand machte danach allerdings bald klar, dass er die Außenpolitik des Landes vertritt, er allein. Domaine réservé!

Macron bringt sich mit Macht in die Nahost-Debatte ein

Macron wird wahrscheinlich in Zukunft noch viel öfter die internationale Bühne suchen, um nicht ganz unterzugehen im angelaufenen Fin de règne. Er hat schon damit begonnen, seine Termine sind prioritär nach seinen Zuständigkeitsbereichen ausgewählt. Vor ein paar Tagen etwa reiste er in den Osten Frankreichs, wo die Franzosen an einem einigermaßen geheim gehaltenen Ort eine Brigade ukrainischer Soldaten ausbilden. Eine Zeitung schrieb danach: „Der Besuch zeigt, dass sich der Präsident in seine neue Rolle fügt.“

Auffällig ist auch, wie Macron sich zuletzt mit Macht in die Debatten zu Gaza und Libanon einbrachte und sich dabei mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu anlegte. Macron mahnte einen Lieferstopp für Waffen an, die Israel in Gaza einsetzt, nur so könne man glaubwürdig einen Waffenstillstand fordern. Die Kritik galt in erster Linie den USA, doch Netanjahu reagierte dermaßen vehement, dass sich das Élysée um Schadenbegrenzung bemühen musste und Israel die „unerschütterliche Freundschaft“ Frankreichs versicherte. An der französischen Staatsspitze, schreibt die Zeitung Le Figaro in einer langen Analyse, driften die Meinungen zu den kriegerischen Wirren im Nahen Osten weit auseinander – ähnlich wie in der Gesellschaft. Und Macrons Linie ist noch immer nicht klar, auch ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023 nicht.

Die Welt kann sich also schon mal darauf einstellen: Aus Paris werden wohl noch viele außenpolitische Voten und Volten kommen.

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