Süddeutsche Zeitung

Migration:Frankreich verschärft Einwanderungspolitik

  • Frankreich hat Maßnahmen für seine Migrationspolitik vorgestellt. Als größte Neuerung preist die Regierung die Einführung von Quoten für Wirtschaftsmigranten.
  • Außerdem soll der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nach Branchen und Regionen besser erfasst werden.
  • Andere Formen der Einwanderung - besonders der sogenannte Familiennachzug - sollen durch die Quoten nicht eingeschränkt werden, so die Regierung.

Von Nadia Pantel und Leo Klimm, Paris

Seit September stimmt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Land auf eine rigidere Einwanderungspolitik ein. Am Mittwoch hat nun Premierminister Édouard Philippe die ersten greifbaren Maßnahmen vorgestellt. Man habe ein "gutes Gleichgewicht" gefunden, so Philippe, die Regierung bleibe "ihren Werten treu" und "beruhigt gleichzeitig die Bürger", ohne "dem Populismus zu erliegen".

Als größte Neuerung in der Einwanderungspolitik preist die Regierung die Einführung von Quoten für Wirtschaftsmigranten. Eine jährlich festgelegte Zahl an Ausländern, die für einen Job nach Frankreich kommen, soll demnach helfen, die Einwanderung stärker auf die Bedürfnisse des Landes auszurichten. Die Quoten nach kanadischem Vorbild sind ein politisches Zugeständnis Macrons, besonders an die konservative Opposition, die so ein System seit vielen Jahren fordert.

Der französische Arbeitsmarkt ist von einem Paradox gekennzeichnet: Einerseits ist die Erwerbslosenquote mit 8,5 Prozent hoch. Andererseits können Hunderttausende offene Stellen nicht besetzt werden. Dem steht der Zuzug von jährlich zuletzt 33 000 offiziell erfassten Personen gegenüber, die zum Arbeiten nach Frankreich kommen. Diese Form der Wirtschaftsmigration macht damit nur 13 Prozent der regulären Einwanderung insgesamt aus.

Frankreich fehlen zurzeit gering qualifizierte Arbeitskräfte

Konkret besteht die versprochene Neuerung nun vor allem darin, dass in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften nach Branchen und Regionen besser erfasst wird. Außerdem soll der künftige Mangel an Fachkräften besser abgeschätzt werden als bisher. Die französische Nationalversammlung soll dann jährlich beschließen, wie viele ausländische Arbeitnehmer ins Land gelassen werden - erstmals für das Jahr 2021. Die zurzeit noch komplexe Prozedur, mit der Arbeitgeber ihren Bedarf an ausländischen Mitarbeitern rechtfertigen müssen, soll für die Mangelberufe deutlich vereinfacht werden. Frankreich fehlen zurzeit sowohl gering qualifizierte Arbeitskräfte, etwa in der Gastronomie, als auch Facharbeiter am Bau oder Programmierer.

Die erleichterte Zugang von Ausländern zu Jobs in Frankreich ist politisch hoch sensibel. Arbeitsministerin Muriel Pénicaud beeilte sich daher am Mittwoch zu erklären, die Aus- und Fortbildung der vielen Arbeitslosen im Land habe Vorrang bei der Lösung der Sorgen am Arbeitsmarkt. Ihren Angaben zufolge soll die absolute Zahl der erteilten Arbeitsvisa gar nicht steigen. Jenseits des politischen Bekenntnisses zu einem Quotensystem bringt die Reform für Frankreichs Wirtschaft also keine grundlegende Veränderung. Andere Formen der Einwanderung - besonders der sogenannte Familiennachzug - sollen durch die Quoten auch nicht eingeschränkt werden, so die Regierung.

Während die französischen Arbeitgeberverbände das Quotensystem als Vereinfachung lobten, stieß sie bei der Opposition links wie rechts auf Kritik. Die konservativen Republikaner, die eigentlich für Quoten sind, stuften die Reform als Täuschungsmanöver ein, um von einer vemeintlichen Masseneinwanderung in die Sozialsysteme abzulenken. Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Rassemblement National, sprach von einem Plan Macrons, "um noch mehr Einwanderung" zu ermöglichen. Die linke Partei La France insoumise wiederum geißelte die Unterscheidung von guter und schlechter Zuwanderung, die mit den Quoten verbunden sei.

Was er selbst unter schlechter Einwanderung versteht, hatte Macron in einem Interview mit dem rechtsnationalen Blatt Valeurs Actuelles umrissen. Frankreich sei "zu attraktiv" für Einwanderer. Asylbewerber aus Georgien und Albanien kämen zum "Behandlungstourismus" nach Frankreich, so der Präsident. Künftig sollen Asylbewerber erst drei Monate nach ihrem Antrag das Recht haben, sich ärztliche Untersuchungen finanzieren zu lassen. In dem Gespräch mit Valeurs Actuelles bezeichnete Macron Menschen, die Geflüchteten helfen, als "Droit-de-l'hommistes", ein bei Rechten beliebter Neologismus, ähnlich dem deutschen Begriff "Gutmenschen". In den vergangenen zweieinhalb Jahren hat Macron einen klaren Rechtsschwenk in seiner Bewertung von Migration vollzogen. Lobte er als Präsidentschaftskandidat noch die vergleichsweise liberale Asylpolitik der deutschen Kanzlerin Angela Merkel als humanitär und vorbildlich, betont er heute, dass Frankreich sich "gegen Einwanderungswellen wappnen" müsse. Dies sind auch die Worte seiner Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye.

Macrons Asylvorstoß wird von vielen französischen Kommentatoren als frühe Phase des Präsidentschaftswahlkampfs 2022 gesehen. Schon jetzt ist klar, dass sich sowohl Macron als auch seine Herausforderin von 2017, die rechtsradikale Marine Le Pen, auf eine Wiederauflage ihres Duells einstellen. Einwanderungspolemik gehört zu den Spezialgebieten von Le Pen und ihrem Rassemblement National. Macron setzte Migrationspolitik vor einem Monat mit der klaren Ansage auf die Agenda, dass man in dieser Frage den Nationalisten nicht das Feld überlassen dürfe.

Die Zahl der Asylanträge ist in Frankreich kontinuierlich gestiegen

In einer Rede vor den Abgeordneten der von ihm gegründeten, regierenden Partei La République en Marche (LREM) sagte Macron im September: "Wir müssen uns entscheiden, ob wir eine Partei der Bourgeoisie sein wollen oder nicht." Die wohlhabenden Schichten seien mit den Problemen, die Migration mit sich bringen könne, nicht konfrontiert, die breite Bevölkerungsschicht jedoch schon. In dieser Frage gebe es "nur eine Opposition: den Rassemblement National".

Innerhalb von LREM sind die Themen Einwanderung und Integration umstritten. Den ersten ernsthaften und bislang schwersten Konflikt erlebte die Fraktion im September 2018, als sie über ein neues Asyl- und Migrationsgesetz abstimmen sollte. Die linken Abgeordneten in der Macron-Partei wollten eine Verkürzung der Asylverfahren nicht mittragen, angenommen wurde das Gesetz dennoch.

Die Zahl der Asylanträge ist in Frankreich kontinuierlich gestiegen, (120 000 Anträge 2018), obwohl der Trend der Asylzahlen im europäischen Durchschnitt rückläufig ist. Macron sieht darin einen Beleg, dass Frankreich sich stärker abschotten müsse. Gleichzeitig hat Frankreich in den Jahren, in denen zum Beispiel Deutschland große Zahlen von Flüchtlingen aus Syrien aufnahm, eine deutlich restriktivere Aufnahmepolitik verfolgt. 2016 wurden in Frankreich 84 000 Asylanträge gestellt, in Deutschland 745 000.

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