Frankreich:Macht ihr doch mal

Premierminister von Frankreich

Frankreichs Premierminister Édouard Philippe zog den umstrittenen Plan für die Rente mit 64 Jahren zurück - allerdings nur unter einer Bedingung.

(Foto: Francois Mori/dpa)

Im Streit über das Rentenalter gibt sich Frankreichs Regierung kompromissbereit. Sie knüpft ihr Angebot allerdings an eine schwierig zu erfüllende Bedingung.

Von Leo Klimm, Paris

Nach 38 Tagen Dauerstreik bei Frankreichs Bahn und den Pariser Verkehrsbetrieben bewegt sich die Regierung des Landes. Im Streit um ihre Rentenreform zog sie am Wochenende den umstrittenen Plan zurück, dem zufolge Arbeitnehmer von 2027 an erst mit 64 Jahren anstatt mit 62 Jahren volle Altersbezüge erhalten sollten. In einem Schreiben an Gewerkschaften und Arbeitgeber knüpfte Premierminister Édouard Philippe dieses Zugeständnis allerdings an eine schwer zu erfüllende Bedingung: Bis Ende April müssen sich die Sozialpartner auf alternative Vorschläge einigen, um die Finanzierung des Rentensystems dauerhaft zu sichern.

Gemäßigte Arbeitnehmerorganisationen feierten das Angebot als Sieg, darunter Frankreichs größte Gewerkschaft CFDT. "Wir haben die Rücknahme des Abschlagsalters erreicht", sagte CFDT-Chef Laurent Berger. Auch der Arbeitgeberverband Medef äußerte sich zufrieden. Die radikalen Gewerkschaften CGT und FO dagegen zeigten sich "entschlossener als je zuvor", die gesamte Reform zu Fall zu bringen.

Die Rentenreform gilt als das wichtigste sozialpolitische Projekt von Staatspräsident Emmanuel Macron. Sie sieht die Verschmelzung der bisher 42 verschiedenen staatlichen Rentenkassen in einem einheitlichen Punktesystem vor. Das soll, so Macron, mehr Gerechtigkeit unter Frankreichs Erwerbstätigen schaffen - und stellt Vorteile in Frage, die viele Berufsgruppen bisher genießen, vor allem in Staatsbetrieben wie der Bahn. Die Regierung hofft, dass ihr Einlenken vom Wochenende nun die Wende in dem erbittert geführten Streit herbeiführt. Zumindest ist es ihr damit gelungen, das Gewerkschaftslager zu spalten. Vor Weihnachten hatte die CFDT die Ankündigung, das faktische Rentenalter auf 64 Jahre zu erhöhen, als casus belli eingestuft und sich den Protesten der übrigen Gewerkschaften angeschlossen. Nun zeigt sie sich wieder gesprächsbereit.

Am Wochenende gab es in ganz Frankreich erneut Demonstrationen, die teils von Gewalt überschattet wurden. Die seit Wochen andauernden Streiks verursachen besonders im Einzelhandel und in der Tourismusbranche der französischen Hauptstadt massive Umsatzeinbußen. Der Staatsbahn SNCF und der Pariser Verkehrsgesellschaft RATP sind seit Anfang Dezember zusammen bereits etwa eine Milliarde Euro an Einnahmen entgangen. In den nächsten Tagen dürften die Arbeitskämpfe fortdauern, da CGT und FO unverändert dazu aufrufen. Für Donnerstag planen sie neue Kundgebungen. Der Regierung dürften diese Demonstrationen als Gradmesser dienen, ob ihre Reform durch ihren Kompromissvorschlag leichter durchsetzbar geworden ist. Die Teilnehmerzahl bei den Kundgebungen ging zuletzt schon zurück.

Das Zugeständnis der Regierung ist zweischneidig: Ohne die Verhandlungen der Sozialpartner abzuwarten, bringt sie ihr Reformgesetz in Kürze ins Parlament ein; die Frage, wie Frankreichs großzügiges Rentensystem nachhaltig bezahlbar bleibt, klammert sie dabei nur vorübergehend aus. Einigen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber bis Ende April auf eine Alternative zur Rente mit 64, verspricht Premier Philippe, sie noch ins Gesetz zu übernehmen. Doch er engt den Spielraum für andere Lösungen erheblich ein, indem er eine Erhöhung der Beiträge ebenso ausschließt wie die Senkung des Rentenniveaus. Und er droht: Sollten sich die Sozialpartner nicht verständigen, werde er per Verordnung dafür sorgen, dass die Rentenkasse im künftigen Punktesystem ausgeglichen sei. Damit behält er sich vor, die Rente mit 64 doch einzuführen. Angesichts der Zerstrittenheit der Gewerkschaften gilt dieses Szenario in Paris sogar als wahrscheinlich.

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