Frankreich zurück im "Confinement":Ein Passierschein, der alle herausfordert

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Masken, aber keine zum Virenschutz: Rund 6500 Menschen haben in der südfranzösischen Hafenstadt Marseille an einem ungenehmigten Karnevalsumzug teilgenommen. (Foto: Christophe Simon/dpa)

Der dritte Lockdown des Landes beginnt mit bürokratischem Stress. Und einem illegalen Straßenkarneval.

Von Nadia Pantel, Paris

Mit dem Begriff des "Confinement", des Lockdowns, sind die Franzosen gut vertraut. Doch Premierminister Jean Castex hat die Ausgangsbeschränkungen nun um ein Adjektiv erweitert: Bei Frankreichs drittem Lockdown, der seit Freitagnacht gilt, handelt es sich offiziell um ein "Confinement aéré", also um einen "belüfteten Lockdown". Mit dieser Formel will die Regierung vermeiden, dass bei der Bevölkerung das Gefühl entsteht, erneut in die Wohnungen gesperrt zu werden. Man fordere die Menschen nicht mehr auf, zu Hause zu bleiben, man ermutige sie, nach draußen zu gehen, warb Gesundheitsminister Olivier Véran für die neuen Maßnahmen - die er, anders als der Premier, "nicht Lockdown nennen" wolle.

Der chaotische Eindruck, den die politische Kommunikation der Staatsspitze an diesem Wochenende hinterließ, spiegelt sich auch auf den Straßen des Landes an diesen ersten Tagen des dritten Lockdowns, beziehungsweise Nicht-Lockdowns. So gingen am Sonntagnachmittag in Marseille Tausende Menschen auf die Straße. Nicht, um gegen die neuen Maßnahmen zu protestieren, sondern, um als Vogel, Blume oder Krokodil verkleidet Karneval zu feiern. Die Polizei zählte 6500 hauptsächlich junge Menschen, die ohne Mund-Nasen-Bedeckung dicht gedrängt durch die Stadt zogen.

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Der Karneval, der von Bewohnern des Quartiers La Plaine organisiert wird, ist seit Jahren ein Anlass, um für alternative Kultur und gegen die Gentrifizierung der Marseiller Innenstadt zu demonstrieren. Dieses Mal brachte er jedoch das seit vergangenem Jahr links-grün regierte Rathaus gegen sich auf, das sich ebenfalls dem Kampf für bezahlbaren Wohnraum verschrieben hat. Bürgermeister Benoît Payan schrieb auf Twitter: "Die egoistische Einstellung einiger Verantwortungsloser ist inakzeptabel." Der Karneval endete damit, dass die Feiernden Bilder des Innenministers verbrannten. Und mit neun Festnahmen.

Um 19 Uhr müssen die Franzosen zu Hause sein

Für Menschen, die Interesse daran haben, die Anweisungen des Staates ernst zu nehmen und nicht einfach an ihnen vorbei zu feiern, gestaltete sich das Wochenende schwierig. Frankreich setzt seit Beginn der Pandemie auf Passierscheine, die von der Bevölkerung für jeden Gang vor die Tür ausgefüllt werden müssen. Im ersten Lockdown waren die Regeln hart und unkompliziert: einmal pro Tag raus, nur für eine Stunde und nicht weiter als einen Kilometer von der Wohnung entfernen.

Beim zweiten Lockdown galt theoretisch dasselbe, doch da Schulen und Kindergärten offen blieben, wurde auf strenge Kontrollen verzichtet. Nun, bei der dritten Lockdown-Variante, sollte alles unkomplizierter werden: Dem Einzelnen wird ein Bewegungsradius von zehn Kilometern zugeteilt, zeitlich wird der Aufenthalt an der frischen Luft nur durch die nächtliche Ausgangssperre begrenzt. Um 19 Uhr müssen alle Franzosen zu Hause sein.

Doch wie die Zehn-Kilometer-Regel kontrollieren? Die Regierung entwarf einen neuen Passierschein. Ein zweiseitiges Dokument mit so vielen Unterpunkten, dass selbst Bürokratie-Versierte Schwierigkeiten hatten zu verstehen, wie man es richtig ausfüllt. Spott und Empörung waren so groß, dass nun auch ein Wohnortnachweis ausreicht, um vor die Tür zu gehen. Zum ersten Mal gilt der Lockdown nicht landesweit, sondern nur in den 16 Départements, in denen die Zahl der Covid-Erkrankten am schnellsten steigt. Der neue Lockdown betrifft ein Drittel der Franzosen, unter ihnen die Bewohner des Großraums Paris. Marseille steht nicht unter Lockdown, allerdings gelten auch dort Ausgangssperre und Abstandsregeln.

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