Proteste in Frankreich:Die Gelbwesten sind nicht so unschuldig, wie sie behaupten

Proteste in Frankreich: Ein Gelbwesten-Demonstrant in Lyon: Innerhalb der Bewegung herrscht auch eine deutliche Gewaltbereitschaft.

Ein Gelbwesten-Demonstrant in Lyon: Innerhalb der Bewegung herrscht auch eine deutliche Gewaltbereitschaft.

(Foto: AFP)

Sie profitieren davon, dass sich viele Franzosen in ihnen wiedererkennen.Gewalttätige und antidemokratische Radikale nimmt man erstaunlich gelassen hin.

Kommentar von Nadia Pantel

Seit 13 Wochen ziehen jeden Samstag marodierende Horden durch Paris. Die Demonstrationen der Gilets jaunes sind zur Routine geworden, die brennenden Autos auch. Frankreich, könnte man meinen, ist einfach lässiger. Dort wissen die Leute, wie man mit Revolutionen umgeht.

Doch als 2005 die Vorstädte in Flammen aufgingen, war die Toleranz der Franzosen nach ungefähr einer Nacht aufgebraucht. Kaum einer fragte nach den politischen und gesellschaftlichen Gründen der Krawalle. Eine der Lehren aus den Gelbwesten-Wochen lautet: Wenn weiße Franzosen Molotowcocktails werfen, dann stehen die Unterdrückten auf. Wenn Jugendliche mit arabischen Nachnamen Schaufensterscheiben zertrümmern, dann randaliert ein Mob, der kein anderes Ziel kennt als Zerstörung.

Die Gelbwesten profitieren von der Tatsache, dass viele Franzosen sich in ihnen wiedererkennen können. Ihre Wut wirkt nicht fremd, sondern vertraut. Dieser Vertrauensvorschuss sei jedem Einzelnen gegönnt, der aus persönlicher Not heraus oder aus dem Wunsch nach einer gerechteren Welt seine gelbe Weste überzieht. Doch aus diesem Privileg entwickelt sich selten Solidarität. Die Gilets jaunes prangern zu Recht die Brutalität der französischen Polizei an. Nur verlieren sie kein Wort darüber, dass die Methoden und Waffen, die nun in ganz Frankreich für Empörung sorgen, für die Bewohner der Vorstädte Alltag sind.

Die Rechtspopulisten Europas werben um die Gelbwesten

Viele Gilets jaunes pochen auf die absolute Unschuld der Bewegung. Dabei sind die Umtriebe rechtsradikaler Gruppen innerhalb der Gelbwesten klar belegt. Für die Zerstörung des Triumphbogens in Paris Anfang Dezember wurden französische Neonazis verurteilt. Die deutsche AfD und Italiens bekanntester Rechtsaußen, Matteo Salvini, idealisieren die Gelbwesten ebenso wie Frankreichs rechtsradikale Marine Le Pen.

Die Liebkosungen der Fremdenfeinde werden von vielen in der Bewegung mit dem Argument weggewischt, man lasse sich politisch nicht vereinnahmen. Doch nach drei Monaten auf der Straße sollte es möglich sein, eine Position zu mitjubelnden Rechtsradikalen zu finden. Dazu aber raffen sich die Facebook-Stars der Gelbwesten nicht auf.

Die vielen Widersprüche unter den Gelbwesten mindern nicht ihre gesellschaftliche Relevanz. Und kein Bürger, der seinen Zorn auf die Straße trägt, muss umfassende Lösungen für die Missstände liefern, die er anprangert. Politiker tragen jedoch eine andere Verantwortung. Wenn sie sich mit den Gilets jaunes solidarisieren, stützen sie auch die antidemokratischen und gewaltbereiten Strömungen in der Bewegung. Der linke Kapitalismuskritiker Jean-Luc Mélenchon und die islamophobe Marine Le Pen konkurrieren um die Sympathie der Gelbwesten - und verwischen dabei die Unterschiede zwischen linken und rechten Überzeugungen. Die Verlierer dieser Allianz sind all diejenigen, um die es in diesem Kampf "Unten gegen Oben" nicht mehr geht: religiöse Minderheiten, Einwanderer, Flüchtlinge. Alle, die wissen, warum es für sie schwerer ist, im Brustton der Überzeugung auf die Straße zu treten und zu sagen, sie seien das Volk.

Ja, es gibt Bewegungen, denen es gelingt, gleichzeitig für die Emanzipation von Benachteiligten und für ein gerechteres Wirtschaftssystem zu streiten. Die Gilets jaunes gehören nicht dazu.

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