Ein guter Name, wie aus dem Hut gezaubert: Laurence Tubiana, 73 Jahre alt, Umweltexpertin. An ihrer Eignung für hohe Ämter in der Republik zweifelt in Frankreich niemand – etwa für jenes der französischen Regierungschefin.
Doch darum geht es nur am Rande, wenn nun die Rede von der Ökonomin ist, die im damals noch französischen Oran in Algerien geboren wurde, mit elf nach Paris kam, später Professorin an der Universität Sciences Po wurde, 2015 für Frankreich die Verhandlungen an der Klimakonferenz der Vereinten Nationen leitete und dabei zur „Architektin des Pariser Abkommens“ wurde, wie man sie in Frankreich nennt.
Drei von vier Parteien des linken Bündnisses „Nouveau Front populaire“, knapper Sieger der vorgezogenen Parlamentswahlen, schlagen Tubiana vor als mögliche Regierungschefin. Nur die radikal linke Partei La France insoumise schert aus. Denn Tubiana hat einen Makel: Auch Emmanuel Macron mag sie. Seit er Präsident ist, seit 2017 also, hat er sie schon oft angefragt, ob sie Ministerin werden wolle, einmal dachte er sogar an sie, als er einen neuen Premier brauchte. Und weil sie Macron gefällt, missfällt sie der France insoumise. Reflexhaft.
Sowohl Mélenchons Insoumis als auch die Parti socialiste wollen über das linke Lager herrschen
Die Debatte um die Personalie hat nun das Zeug, die Linke zu sprengen. Seit einer Woche zerreißt sie sich über die Frage, welchen Namen sie dem Präsidenten Präsidenten vorschlagen will für die Nachfolge von Premier Gabriel Attal, der nach seinem Rücktritt die Geschäfte führt. Wie es zu erwarten gewesen war, streiten sich vor allem die Insoumis von Jean-Luc Mélenchon und der sozialdemokratische Parti socialiste. Beide streben die Herrschaft über das ganze Lager an und haben je etwa gleich viele Abgeordnete im neuen Parlament. Die Kommunisten und die Grünen stehen dazwischen, vermitteln – und verzweifeln.
Am vergangenen Wochenende hatten die Mélenchonisten Huguette Bello vorgeschlagen, die Vorsitzende des Regionalrats von La Réunion, einem Überseedepartement im Indischen Ozean. Die Sozialisten aber fanden, Bello stehe Mélenchon viel zu nahe, Macron würde sich deshalb nie auf den Vorschlag einlassen.
Die totale Abneigung von Mélenchon und Macron beruht auf Gegenseitigkeit: Eine Regierung unter dem Diktat des linken Polarisierers würde der Präsident nicht zulassen. Und selbst wenn ein Kabinett mit der France insoumise zustande käme, würde sie wohl nur einige Tage überleben: In der Assemblée nationale gäbe es genügend Kräfte, die sich hinter einem Misstrauensantrag versammeln würden, um eine solche Regierung bei der ersten Abstimmung wieder zu stürzen.
Macrons Lager schwankt zwischen einer Allianz mit der Linken oder den Konservativen
Das wissen alle, auch die Mélenchonisten selbst. Und so stellt sich die Frage, ob sie überhaupt an einer linken Regierung interessiert sind oder lieber in der Opposition bleiben, jetzt, da sich eine größere Koalition abzeichnet. Zumindest in einem Teil der sozialistischen Partei ist mittlerweile die Überzeugung gereift, dass die Linke mit ihren rund 190 bis 200 Sitzen im Parlament ohnehin nicht allein regieren kann – die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung liegt bei 289.
Wichtig ist diesem Lager möglicher Koalitionäre, zu dem auch die meisten Grünen und Kommunisten gehören, dass man möglichst stark auftritt und den Macronisten, die 168 Sitzen haben, nicht die zentrale Rolle bei der Neugestaltung überlässt. Macrons Lager wiederum schwankt zwischen einer Allianz mit der Linken und/oder mit den konservativen Républicains – so die denn wollen.
Jede Streitepisode schwächt die Linke, die Parteien hatten ja auch erst vor fünf Wochen zusammengefunden, aus der Not heraus. Am Abend des 9. Juni, als Macron das Parlament aufgelöst hatte, gab es die ersten Appelle zur Konstituierung einer „Volksfront“, um die extreme Rechte zu stoppen. Ein Tag später stand ein grundsätzliches Abkommen, vier Tage danach ein Wahlprogramm, obschon man sich nur Tage davor gegenseitig beschimpft und bekämpft hatte. Einmal mehr funktionierte der alte Reflex, die Le Pens aufzuhalten. Ohne diese Mobilisierung und die Bildung einer „republikanischen Front“ wäre deren Rassemblement National wohl an die Macht durchmarschiert.
Die Erleichterung dauerte aber nur kurz. Die Wahlen hatten das Parlament in drei große Blöcke gesplittet. Und so waren die Zwiste unter den Linken schnell wieder da. Mélenchon unternimmt auch alles, damit sie weiter lodern. Laurence Tubiana? Die Insoumis halten den Vorschlag für „unseriös“ – politisch natürlich.
Sie wollen sich nun mit den Partnerparteien wenigstens auf einen gemeinsamen Kandidaten für den Vorsitz der Assemblée nationale einigen. Die Wahl findet am Donnerstag statt, dem ersten Tag der neuen Legislaturperiode. Da sieht man dann, wer wie stark ist im neuen, gespaltenen, fast unregierbaren Parlament. Und zunächst deutete nichts darauf hin, dass die Linke sich für diesen Posten auf einen Namen einigen könnte.