Frankreich:Le Pen erntet die braunen Früchte des Zorns

France's far right National Front party leader Le Pen leaves for her party's headquarters in Nanterre

Clever, eloquent, gefährlich: Ist Madame Le Pen noch zu stoppen?

(Foto: Reuters)

Chirac war behäbig, Sarkozy wortbrüchig. Und Hollande? Ach, Hollande. Deprimiert von ihren Präsidenten wenden sich viele Franzosen Marine Le Pen zu. Ihr rechtsextremer Front National hat beste Aussichten. Es sei denn, Hollande und die Sozialisten bekennen endlich Farbe.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich

Der Triumph der radikalen Rechten bei den Kommunalwahlen in Frankreich ist erschütternd - überraschend kommt er nicht. Denn die Politik der vergangenen Jahre liest sich wie die Chronik eines angekündigten Desasters. Der Frust über die traditionelle Linke und Rechte, Affären und Skandale in Paris, der Niedergang der Industrie, die seit zwei Jahren steigende Arbeitslosigkeit und ein Gefühl der Verlorenheit in einer Welt des Wettbewerbs trieben die Bürger einerseits in eine Rekord-Wahlenthaltung, andererseits zum Front National. Dessen Erfolge lassen sich nicht mehr nur als Protest abtun. Der Front schafft sich eine stabile Basis, um Frankreich abzuschotten - zum Schaden ganz Europas.

Bereits im April 2002 gab es ein Menetekel. Damals, bei der Präsidentschaftswahl, zog nicht etwa der Kandidat der Sozialisten in die Stichwahl gegen den konservativen Staatschef Jacques Chirac ein, sondern der Front-National-Anführer Jean-Marie Le Pen. Der Aufschrei war groß, doch es änderte sich wenig. Ganz wenig. Behäbig regierte Chirac fünf Jahre weiter und versäumte es, sein Land auf die kommenden Krisen vorzubereiten.

Die Folge: 2007 wählten die Franzosen den Hyper-Dynamiker Nicolas Sarkozy. Sie wurden wieder enttäuscht, weil dieser Liberal-Konservative nur einen Bruchteil der Reformen verwirklichte, die er versprochen hatte. Daher probierten es die Franzosen 2012 mit den Sozialisten und machten François Hollande zum Präsidenten. Inzwischen ist er der unbeliebteste Staatschef der Fünften Republik, und sein Volk das deprimierteste Europas. Mit wem sollen es die Bürger jetzt versuchen?

Viele Menschen finden: mit dem Front National. Dessen Erfolg, der bei den Europawahlen im Mai noch weit übertroffen werden dürfte, hat drei Ursachen: die Schwäche der Sozialisten, die Schwäche der Konservativen und die Stärke der neuen Front-Chefin Marine Le Pen.

Die Sozialisten halten seit 2012 die Schlüsselstellungen im Land. Sie stellen den Präsidenten und die Mehrheit im Parlament, regieren in vielen Regionen, Departements und Städten. Sie hätten das Land gestalten, verändern können. Sie taten es nicht. Eineinhalb Jahre vertändelte Hollande mit dem Versuch, es allen recht zu machen. Er wollte die Traditionslinke und die Ultralinke besänftigen, indem er der überfälligen Modernisierung seines Landes auswich. Und er wollte die Sozialdemokraten und Liberalen zufriedenstellen, indem er auf eine radikale Umverteilung und noch schärfere Steuererhöhungen verzichtete. Das Resultat: Alle sind unzufrieden. Frankreich tritt auf der Stelle.

Gelungene "Entteufelung"

Den Konservativen der UMP-Partei wiederum fällt seit ihren Niederlagen 2012 nicht viel mehr ein als Sarkozy-Nostalgie. Inhaltlich schwanken sie, unter dem Druck des Front, zischen einer nationalkonservativen Rechtswende und der Beibehaltung eines bürgerlich-liberalen Kurses. Personell konnte sich die Partei bislang nicht erneuern. Ihr bester Mann, Alain Juppé, der Bürgermeister von Bordeaux, ist Jahrgang 1945. Zwar hat sich die UMP bei den Kommunalwahlen achtbar geschlagen. Das sollte sie aber nicht beruhigen. Ihre Sehnsucht, 2017 nochmals mit Sarkozy in eine Präsidentschaftswahl zu gehen, ist gefährlich. Der Alt-Präsident ist von zu vielen Affären bedroht. Zudem wird die UMP nun wohl auf lange Zeit im Front National einen harten Konkurrenten im rechten Lager haben.

Als Marine Le Pen vor drei Jahren den Front vom Vater übernahm, erklärte sie, sie wolle die als fremdenfeindlich und antisemitisch diskreditierte Partei "entteufeln". Das ist ihr recht gut gelungen. Der Front National hat braunen Ballast abgeworfen, seine Kader verjüngt und neue Themenfelder erschlossen. Marine Le Pen rückte die soziale Misere ins Zentrum ihrer Politik. Jetzt erntet sie die Früchte des Zorns der Franzosen. Sie greift die Sorgen der Arbeiter und der absteigenden Mittelschicht auf und predigt ihnen Nationalismus sowie eine Abwendung von Euro und EU. Diese Rezepte sind illusorisch. Doch man muss Marine Le Pen zugestehen, dass sie clever agiert. Sie ist schlagfertig, rhetorisch begabt, beherrscht Sarkasmus wie Polemik und inszeniert sich als frische Kraft. So lässt sie Sozialisten und Konservative alt aussehen.

Ist Madame noch zu stoppen? Präsident Hollande scheint einzusehen, dass er Farbe bekennen und Frankreich modernisieren muss, auch wenn sich ein Teil der Linken abwendet und ihm weitere Niederlagen in diesem Jahr drohen. Wenn er jetzt eine kleinere, schlagkräftige Regierung bildet und das Reformtempo steigert, könnte er einen Aufschwung seines Landes bis zur Präsidentschaftswahl 2017 schaffen. Versagt er dagegen, werden noch mehr Franzosen nach einer anderen Lösung suchen. Madame wartet darauf.

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