Bruno Retailleau hat lange auf den großen Moment in seiner politischen Karriere warten müssen – viel zu lange, wenn man ihn fragen würde. Immer kam etwas dazwischen: eine Intrige, ein Verrat, eine verlorene Wahl. Nun ist der 63-jährige ultrakonservative Westfranzose Innenminister, sein Traumjob. „Premier flic de France“, wie die Franzosen sagen, „oberster Bulle Frankreichs“. Protokollarisch gilt er als Nummer drei im neuen Kabinett von Premier Michel Barnier. Und er redet so viel wie kein anderer Minister. Immer auffällig, oft ausfällig, alles sehr gezielt.
Wie getrieben wirkt er. Als fürchtete er, das Glück könnte schon bald wieder enden. Falsch ist dieses Gefühl natürlich nicht: Retailleau sitzt in einer Regierung, die im Parlament keine Mehrheit hat. Da dräut das Ende fast jeden Tag. Wenn es heißt, diese fünfte Regierung in der Amtszeit von Staatspräsident Emmanuel Macron sei mit Abstand die rechteste, dann hat das viel mit dem politischen Profil von Bruno Retailleau zu tun. Es ist gewollt: Die extreme Rechte, ohne deren Duldung die Regierung sofort stürzen würde, soll von Retailleau zufriedengestellt werden. Er gibt den harten Kerl. „Sein Körper ist gespannt wie ein Bogen“, schreibt Le Monde.
Nur mit Präsident Emmanuel Macron konnte er nie
Retailleau kommt aus der Vendée, einem schönen Departement im Pays de la Loire an der Atlantikküste. Schon als Jugendlicher lernte er seinen politischen Mentor kennen, den Adligen Philippe de Villiers, einen Traditionalisten mit reaktionären Neigungen, elf Jahre älter als er. De Villiers zog in der Gegend einen historischen Themenpark auf: Im „Puy du Fou“ lebt das alte, prärevolutionäre Frankreich auf, es ist mit den Jahren zu einem Publikumserfolg geworden. Retailleau, der Politikwissenschaften studierte, wurde Regisseur der Inszenierungen des Parks. 1994 zog er für die Partei seines Ziehvaters, die Mouvement pour la France, erstmals in die Assemblée nationale ein. Eine Dekade später wurde Retailleau Senator.
Dann trennten sich die Wege der vermeintlich Unzertrennlichen, in der Politik wie im Job. Plötzlich soll es da ideologische Differenzen gegeben haben, obschon die schwer auszumachen waren. Beide sind Nationalisten, erzkatholisch, eine Linie. Retailleau kämpfte gegen die Ehe für alle, und er stimmte gegen die Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Verfassung. Aber irgendetwas muss passiert sein. De Villiers behinderte fortan Retailleaus Aufstieg.
Zuletzt war er Fraktionschef der „Républicains“ im Senat, geschätzt rundherum für seine feinen Manieren im Umgang mit den Kollegen. Nur mit Macron konnte er es nie. Noch im vergangenen Juli beschrieb er den Präsidenten in einem Interview als „toxisch“ und „egozentrisch“. Und ließ sich nun doch überzeugen, mit den Macronisten zu koalieren. Für den Traumjob.
„Wie Millionen Franzosen halte ich die Immigration für keine Chance.“
Als Retailleau sein Amt antrat, sagte er in die Kameras: „Ich habe drei Prioritäten, Sie werden sie sich gut merken können: Erstens, die Ordnung wiederherstellen. Zweitens, die Ordnung wiederherstellen. Drittens, die Ordnung wiederherstellen.“ Neben ihm stand sein Vorgänger Gérald Darmanin, auch nicht gerade ein Laxist der Ordnungspolitik, und schaute wie ein gescholtener Schüler zu Boden und lächelte. Retailleau sieht Frankreich im Niedergang, zersetzt von dem, was er „décivilisation“ nennt, Entzivilisierung. Das Übel von allem? Die Einwanderung, jede Art von Einwanderung. Vor ein paar Tagen sagte er: „Wie Millionen Franzosen halte ich die Immigration für keine Chance.“ Sein Vorgänger erinnerte ihn daran, dass es ohne Einwanderung gar nicht ginge. Retailleau sagte auch: „Der Rechtsstaat ist weder unantastbar noch heilig.“
Manchmal glaubt man, Marine Le Pen reden zu hören. Und genau so ist das ja auch gedacht. Retailleau soll mit harter Rhetorik dafür Sorge tragen, dass die extreme Rechte die Regierung mitträgt, möglichst lange.