Frankreich: Jaques Chirac:Gleicher als ein gewöhnlicher Bürger

Die Stadt Paris will eine Betrugsklage gegen den ehemaligen Präsidenten Jacques Chirac fallenlassen - Teile der Opposition sehen darin einen Justizskandal. Auch Nicolas Sarkozy würde von dem Deal profitieren.

Stefan Ulrich

Das gab es noch nie im modernen Frankreich: Ein Präsident der Republik, das Symbol der Einheit und Größe des Landes, soll nach Ende seiner Amtszeit wie ein gewöhnlicher Citoyen vor Gericht gestellt werden.

Jacques Chirac droht diese triste Premiere. Ende 2010 oder Anfang 2011 beginnt sein Strafprozess in Paris. Chirac wird der Unterschlagung öffentlicher Gelder und der Veruntreuung verdächtigt. Er soll in seiner Zeit als Pariser Bürgermeister bis Mitte der neunziger Jahre zahlreiche Menschen zum Schein auf Kosten der Stadt eingestellt haben, um so illegal seine Partei zu finanzieren und seinen Anhängern Gefälligkeiten zu erweisen. Im Falle einer Verurteilung könnte der konservative Ex-Präsident sogar mit Gefängnis bestraft werden.

Doch nun scheint es dem 77 Jahre alten Polit-Pensionär zu gelingen, den Korruptionsfall weitgehend zu entschärfen. Seine Anwälte und die Stadt Paris unter dem sozialistischen Bürgermeister Bertrand Delanoë haben sich auf eine gütliche Lösung verständigt.

Die Absprache sieht vor, dass Chirac der Stadt einen Teil des Schadens ersetzt, der ihr durch die Bezahlung mutmaßlicher Phantom-Mitarbeiter entstanden sein soll. Die Rede ist von 550.000 Euro. Den Rest, 1.650.000 Euro, soll die konservative Regierungspartei UMP begleichen. Sie steht in der Nachfolge von Chiracs einstiger RPR-Partei. Diese soll von den mutmaßlichen Scheinverträgen profitiert haben, weil sie so Mitarbeiter auf Kosten der Hauptstadt finanzieren konnte.

Der Deal würde vielen nutzen: der Stadt Paris, weil sie so die nutzlosen Aufwendungen für 21 fiktive Angestellte ersetzt bekäme. Chirac, weil die Stadt im Gegenzug darauf verzichten würde, in dem Prozess als Nebenklägerin aufzutreten. Da die Staatsanwaltschaft schon angekündigt hat, aus Mangel an Beweisen auf Freispruch zu plädieren, hätte der Ex-Präsident somit kaum mehr etwas zu befürchten.

Die UMP wiederum darf hoffen, dass der Prozess so kaum Staub aufwirbelt und die beginnende Kampagne für die Präsidentschaftswahl 2012 nicht trübt. In Paris wird kolportiert, der derzeitige Präsident Nicolas Sarkozy habe die Hilfe für Chirac eingefädelt, um sich dessen Unterstützung für 2012 zu versichern. Sarkozy selbst weist dies zurück.

Xavier Bertrand, der Generalsekretär der UMP, kündigte am Montag an, er werde dem Parteivorstand vorschlagen, einen Teil der Kosten zu übernehmen. Er rechtfertigte das mit der "Berufung" der UMP, solidarisch mit Chirac zu sein. Auch Premier François Fillon spricht sich für den Deal aus. Der Sozialist Delanoë habe einen ehrenhaften Vorschlag unterbreitet, lobte der Konservative Fillon. Die große Mehrheit der Franzosen wolle, dass der 77 Jahre alte Chirac in Frieden seinen Ruhestand verbringen könne.

Chirac, der das Land von 1995 bis 2007 führte, wird von den Franzosen heute sehr verehrt. In Umfragen bezeichnen sie ihn regelmäßig als ihren beliebtesten Politiker. Während sie Sarkozy als hektisch und durchtrieben schelten, verklären sie die Amtszeit seines Vorgängers. Gewiss, Chirac war in Affären diverser Art verwickelt. Doch ging er nicht stets schadlos daraus hervor? Erlebte das Land während seiner Präsidentschaft nicht ruhigere, bessere Jahre als heutzutage? Und gibt der leutselige Chirac nicht einen würdigen Altpräsidenten ab, mit seinem Engagement für untergehende Kulturen, die Dritte Welt und eine nachhaltige Entwicklung?

Andererseits ist da der Grundsatz der Égalité, der Gleichheit aller Bürger, der insbesondere vor Gericht gilt. Zwar genießt ein Präsident während seiner Amtszeit Immunität vor Strafverfolgung. Danach aber muss auch er sich verantworten. Das Abkommen, an dem Chirac, die Stadt Paris und die UMP schmieden, stößt daher auf Kritik.

Gerechtigkeit nicht mit Rache verwechseln

Besonders die Grünen, die mit den Sozialisten im Pariser Rathaus koalieren, sind verärgert. Die kommende grüne Präsidentschaftskandidatin Eva Joly spricht von einem "politischen Fehler" von Bürgermeister Delanoë und von "Justizverweigerung". Auch unter den Sozialisten gibt es Unbehagen: So sagte der Abgeordnete Arnaud Montebourg: "Ob mächtig oder armselig - wenn man Bürger der Republik ist, dann kann man sich keine Straflosigkeit erkaufen."

Delanoë ist seit Tagen damit beschäftigt, die Kritik zu entkräften und sich zu rechtfertigen, warum er als Sozialist dem Konservativen Chirac hilft. "Ich gebe mich damit zufrieden, streng und gerecht zu sein und die finanziellen wie moralischen Interessen der Pariser zu verteidigen", sagt er. Dabei werde er nicht Gerechtigkeit mit Rache verwechseln. "Es steht mir nicht zu, mich in einen Führer der Inquisition zu verwandeln."

Chirac selbst schweigt bislang zu seinem Arrangement mit Paris. Vergangenen November hat er noch gesagt, er wolle weder Gnade noch Milde. Das Einzige, was zähle, sei Gerechtigkeit. Daher werde er sich voll vor Gericht verantworten: "Ich bin wie ein ganz gewöhnlicher Bürger."

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