Frankreich und Italien:Eine Ohrfeige mit Folgen

Frankreich und Italien: Schon beim Besuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei Italiens Premierministerin Giorgia Meloni im Oktober sah der Händedruck nicht sehr herzlich aus.

Schon beim Besuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei Italiens Premierministerin Giorgia Meloni im Oktober sah der Händedruck nicht sehr herzlich aus.

(Foto: Filippo Attili/Imago)

Der französische Innenminister wirft Italiens Regierungschefin vor, in der Migrationspolitik "unfähig" zu sein. Die Regierung in Rom reagiert empört. Dabei hätten beide Seiten viel zu besprechen.

Von Marc Beise und Kathrin Müller-Lancé, Paris/Rom

"Les Grandes Gueules", also "die großen Klappen", heißt die Sendung, in der der französische Innenminister Gérald Darmanin am Donnerstag auftrat, und der Name ist Programm. Immer wieder verursacht die Sendung Schlagzeilen, im Fall von Darmanin löste sie jetzt erhebliche diplomatische Spannungen zwischen Frankreich und Italien aus.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni sei "unfähig, die Migrationsprobleme zu regeln", für deren Lösung sie gewählt worden sei, sagte Darmanin in der Sendung. Mit seiner Kritik zielte der Minister, der sich selbst gern als kompromissloser Durchgreifer in Migrationsfragen inszeniert, auch auf die extrem rechte Marine Le Pen und deren Rassemblement National. Meloni sei wie Le Pen, sollte das heißen, sie mache Versprechungen, die sie dann doch nicht einlöse, seit ihrer Wahl seien die Probleme mit der Einwanderung nur noch schlimmer geworden.

Kurz vor Darmanins Auftritt hatte der Vorsitzende von Le Pens Partei, Jordan Bardella, dem Innenminister noch vorgeworfen, dass die Regierung mit ihm "alle Migrationsrekorde" breche. Die Reaktion auf Darmanins Aussage aus Rom kam prompt. Italiens Außenminister Antonio Tajani verurteilte sie als "inakzeptabel" und stornierte kurzfristig einen für denselben Tag angesetzten Besuch in Paris.

Giorgia Meloni hat Pläne für einen Paris-Besuch begraben

In Paris bemüht man sich nun um Schadensbegrenzung. Wenige Stunden nach Darmanins Auftritt verschickte das französische Außenministerium eine Erklärung, in der vom "gegenseitigen Respekt" und "Geist der Solidarität" zwischen beiden Ländern die Rede ist. Die Außenministerin und ehemalige Botschafterin in Rom, Catherine Colonna, twitterte auf Italienisch, dass sie mit ihrem Kollegen Tajani telefoniert habe und darauf hoffe, ihn bald doch in Paris begrüßen zu können.

Auch aus der französischen Opposition kam Kritik. Der Vorsitzende der konservativen Republikaner, Éric Ciotti, sprach von einem "diplomatischen Fehler". Es sei kontraproduktiv, diejenigen anzugreifen, die Frankreich vor einem "noch massiveren Ansturm von Migranten" schützen könnten. Ciotti ist Abgeordneter im Département Alpes-Maritimes, das an Italien grenzt, und gilt in Migrationsfragen als Hardliner. Über die italienisch-französische Grenze kommen viele illegal nach Italien Eingereiste, ohne dass die dortigen Sicherheitsbehörden sich große Mühe geben würden, das zu verhindern.

Frankreich und Italien: Große Klappe: Die heftige Kritik von Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin kam im Nachbarland gar nicht gut an.

Große Klappe: Die heftige Kritik von Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin kam im Nachbarland gar nicht gut an.

(Foto: Ludovic Marin/AP)

Die Beschwichtigungsversuche aus Paris werden, so scheint es, in Rom erst mal nicht verfangen, dazu ist die Empörung zu groß. Lo schiaffo, die "Backpfeife" für Meloni, ist Topthema und den römischen Leitmedien seitenlange Schwerpunkte wert. Die Regierung erwartet von Paris eine offizielle Entschuldigung, und Regierungschefin Meloni hat ihre Pläne für einen Besuch bei Präsident Emmanuel Macron mit einem "Basta" begraben. Selbst die Opposition, die in der Sache eher bei Macron ist als bei Meloni, distanziert sich von dem Vorgang nach dem Motto: "Die Opposition, das sind wir schon selbst."

Mühsam hatte man in den vergangen Monaten versucht, die letzte Verstimmung zu kitten, als sich Rom im Herbst 2022 weigerte, ein Schiff von zivilen Seenotrettern mit mehr als 230 Migranten an Bord in Sizilien anlegen zu lassen, bis am Ende Frankreich den Hafen von Toulon öffnete.

Im Zusammenhang mit der neuen diplomatischen Verstimmung ist auch von Bedeutung, dass die italienische Hauptstadt gerade einen umstrittenen Besucher hatte. Der libysche Bürgerkriegsgeneral Khalifa Haftar fuhr diese Woche mit schwerer Eskorte kreuz und quer durch die Stadt, um die wichtigen Politiker bis hin zu Ministerpräsidentin Meloni zu treffen. Die drängte Haftar, dafür zu sorgen, dass aus dem von ihm kontrollierten Gebiet weniger Migranten übers Meer nach Italien kommen. Im Gegenzug verspricht Rom wirtschaftliche Kooperation und Hilfe - das wiederum ist Teil eines immer größeren italienischen Engagements in Nordafrika, das Frankreich misstrauisch beäugt.

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