Frankreich im Wahlkampf:Ich rette deine Firma, du rettest meine Wahl

Staatshilfe als Wahlkampf-Strategie: So hingebungsvoll wie im Moment kämpfen Frankreichs Politiker selten für meist unbekannten Pleite-Kandidaten in der Industrie. Pech hat, wer nicht pünktlich zu den Wahlen in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist. Gerettet wird nur, wer Stimmen bringt.

Michael Kläsgen

Nicolas Sarkozy rauschte wie die rettende Feuerwehr an, wieder einmal. "Wir werden diese Firma retten", raunte er mit martialischem Unterton, umringt von Mikrofonen und Kameras. Der Wahlkämpfer und amtierende Staatspräsident wollte mit seinem Blitzbesuch in der Provinz vor allem eine Botschaft unters Volk bringen: "Ich habe wieder eine Firma vor dem Aus bewahrt". Diesmal die Aluminium-Gießerei von Poitou. Sie ist nicht die erste Firma, der Sarkozy beherzt beigesprungen ist. Sie ist vorerst aber wohl die letzte Fabrik, die gewissermaßen Glück im Unglück hat. Allein wegen des Terminkalenders. Denn die Gießerei ist mitten im Wahlkampf pleite gegangen - und genau deswegen jetzt noch schnell gerettet worden.

France's President and UMP party candidate for his re-election, Nicolas Sarkozy, speaks to employees at the Poitou foundry in Ingrandes

Nicolas Sarkozy in Poitou: Alle wissen, dass die Rettungsaktionen in erster Linie aus politischem Kalkül erfolgen, allen voran die Mitarbeiter.

(Foto: REUTERS)

So hingebungsvoll wie in Wahlkampfzeiten kämpfen Frankreichs Politiker selten für die meist unbekannten Pleite-Kandidaten in der Industrie. Pech für alle anderen Firmen, die vorher oder nachher in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Der Wahlkampf geht nun vorbei. Am Sonntag wird gewählt. Am 6. Mai kommt es zur Stichwahl.

Das Bizarre: Alle wissen, dass die Rettungsaktionen in erster Linie aus politischem Kalkül erfolgen, allen voran die Mitarbeiter. Annick Girard, kurze Haare, Brille, seit 31 Jahren in der Gießerei, resümiert lakonisch: "Das ist reine Politik. Die wollen ein paar Stimmen mehr zusammenkratzen". Auch die Kommentatoren in den Medien urteilen harsch. "Ein ausschließlich wahltaktisches Manöver", befindet der Wirtschaftsexperte in den Hauptnachrichten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.

Obwohl die Strategie durchsichtig ist, lässt die Regierung nicht davon ab: Ein halbes Dutzend Unternehmen stand bis zuletzt auf ihrer Prioritätenliste ganz oben. Vor allem Staatskonzerne nimmt sie in die Pflicht, sich an den Rettungsaktionen zu beteiligen. Ein Zulieferer des Auto-Herstellers Renault, an dem der Staat mit 15 Prozent beteiligt ist, steigt deshalb jetzt bei der Gießerei ein und rettet vorerst knapp 400 Arbeitsplätze.

Bisweilen müssen die Staatskonzerne auf Druck der Regierung gegen ihren Willen Pleite-Kandidaten übernehmen. Den Photovoltaik-Betrieb Photowatt mit seinen 350 Mitarbeitern kaufte der staatliche Atomstromkonzern EdF nur widerwillig für einen symbolischen Preis von vier Euro, nachdem dessen Chef höchstpersönlich von der Regierung einbestellt worden war.

Ähnlich wurden die 800 Jobs beim Transportunternehmen Sernam gerettet. Die Regierung überzeugte die Staatseisenbahn SNCF davon, dass sich ihr Tochterunternehmen Geodis der Pleitefirma annehmen soll. In einem Fall, so monieren Kritiker, fand Sarkozy sogar eine Lösung unter Freunden: Der Reizwäsche-Hersteller Lejaby meldete kurz vor Weihnachten Insolvenz an. Das Aus wurde in der Öffentlichkeit zum Symbol des Niedergangs der französischen Textilindustrie stilisiert.

Politiker sämtlicher Couleur eilen zur Hilfe

Politiker sämtlicher Couleur eilten den Näherinnen mit markigen Sprüchen zu Hilfe. Auch Sarkozy kam. Kurz darauf kaufte ein Zulieferer des Luxuskonzerns LVMH den Betrieb mit seinen 93 Beschäftigten. Ein freudiges Ereignis. Die Kommentatoren vergaßen jedoch nicht den Hinweis, dass LVMH-Chef Bernard Arnault Trauzeuge von Sarkozy war und den Sozialisten nicht eben wohlgesonnen gegenübersteht. Als 1981 François Mitterrand gewählt wurde, wanderte der heute reichste Mann Frankreichs vorübergehend in die USA aus. Jetzt muss er fürchten, dass abermals ein Sozialist Präsident wird.

Doch nicht immer ist den Rettungsversuchen Erfolg beschieden. Ins kollektive Bewusstsein der Industriearbeiter hat sich gefräst, wie Sarkozy vollmundig die Rettung der Stahlindustrie in Lothringen versprach - und scheiterte. Deshalb musste er eifrig an seinem Beschützer-Image polieren. Die Bilanz ist gleichwohl durchwachsen. Die Gießerei hat nur eine Bestandsgarantie bis 2015. Die Raffinerie Petroplus mit ihren 550 Mitarbeitern erhielt sogar nur eine Galgenfrist von sechs Monaten. Für viele ein Zeichen dafür, dass das Aus nur auf die Zeit nach der Wahl vertagt wurde.

Hartnäckig kursieren Gerüchte, wonach vor allem große Konzerne geplante Kündigungen aufgeschoben haben, um dem Amtsinhaber nicht zu schaden. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen orakelte, Peugeot wolle sein Werk in Aulnay-sous-Bois in Norden von Paris schließen. Anlass zu Spekulationen gab auch, dass Konzern-Chef Philippe Varin in den vergangenen Tagen mit Sarkozy und dem Industrieminister sprach. Für Gewerkschafter steht fest, dass sie übereingekommen sind, das Aus des Werks erst nach den Präsidentschafts- und den Parlamentswahlen im Juni bekannt zu geben.

Die französische Regierung übe massiven Druck aus, damit die Konzerne keinen Stellenabbau vor den Wahlen ankündigen, erklärte CFDT-Chef François Chérèque. Aus verschiedenen Quellen wird das bestätigt. Experten halten die Arbeitsplätze in der Autoindustrie, der Petrochemie, der Telekommunikation und der Transport- sowie Logistikbranche für besonders gefährdet. Dabei verlor Frankreich im vergangenen Jahrzehnt bereits je nach Berechnung insgesamt 500 000 bis 700 000 Industriearbeitsplätze. Die Arbeitslosigkeit ist auf den höchsten Wert seit 20 Jahren gestiegen.

Einer Studie zufolge meldeten allein in den vergangenen drei Jahren knapp 900 Unternehmen Insolvenz an. Dass nun ein halbes Dutzend Firmen mit insgesamt maximal 2000 Arbeitsplätzen gerettet werden soll, heißen die Gewerkschaften zwar prinzipiell gut. "Warum hat man aber all die anderen nicht auch zu retten versucht?", fragt Chérèque. Der Feuerwehreinsatz von Sarkozy kurz vor der Wahl ist insofern zweischneidig. Ob er ihm nutzt oder schadet, wird sich nun an diesem Sonntag zeigen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: