Frankreich:Hundert Kilometer Bewegungsfreiheit

Die Regierung lockert die strikte Ausgangssperre. In Paris bleiben die Parks aber geschlossen, landesweit die Gastronomie.

Von Nadia Pantel, Paris

Gedränge auf den Bürgersteigen, Grüppchenbildung vor der Parkbank - am Wochenende wirkte es, als hätten die Franzosen das Ende der Ausgangssperre inoffiziell vorgezogen. Acht Wochen lang galten in dem Land mit die strengsten Beschränkungen innerhalb Europas, um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Von diesem Montag an werden die Vorgaben gelockert. Die deutlich gefüllteren Straßen verraten, dass viele des Ausharrens zu Hause schon vor dem offiziellen Ende der Ausgangssperre müde waren.

Die neue Freiheit der Franzosen bleibt auch von Montag an überschaubar. Statt wie bisher einen Kilometer darf man sich in den kommenden Wochen 100 Kilometer vom Wohnort entfernen. Man braucht zwar nicht länger einen Passierschein, um zum Bäcker zu gehen, aber dennoch eine Bescheinigung des Arbeitgebers, wenn man in Paris zu Stoßzeiten Metro fahren will. Um zu vermeiden, dass die Pariser wieder dicht an dicht in den Waggons stehen, wurden neue Fahrradwege auf den Asphalt gepinselt. Und Arbeitnehmer sollen, soweit dies möglich ist, weiterhin vom Home-Office aus ihren Job erledigen.

Bis zu den Sommerferien werden Kinder allenfalls auf zwei bis drei Schultage pro Woche kommen

Grundschulen und Kindergärten werden wieder öffnen, aber die Gruppen- und Klassengrößen so stark verkleinert, dass jedes Kind lediglich auf zwei bis drei Schultage in der Woche kommen wird. Bis zu Beginn der achtwöchigen Sommerferien im Juli und August bleibt der Schulbesuch freiwillig. Wer möchte, kann sein Kind auch weiterhin zu Hause lernen lassen. Geschäfte werden in ganz Frankreich wieder öffnen, Bars, Cafés und Restaurants bleiben jedoch weiter geschlossen.

Anders als in Deutschland gingen den Lockerungen keine wochenlangen Debatten über den Sinn der Beschränkungen voraus. Dies dürfte auch damit zu tun haben, dass die Zahl der Todesopfer, die in Frankreich an oder mit einer Covid-19-Erkrankung gestorben sind, deutlich über der in Deutschland liegt. Am Wochenende überstieg die Zahl der Toten 26 000. Mehr als 95 000 mit Sars-CoV-2 infizierte Personen mussten bisher ins Krankenhaus.

Vor allem im Großraum Paris, wo zwölf Millionen Menschen auf engem Raum leben, und im Nordosten Frankreichs zirkuliert das Virus weiter. Um zu verhindern, dass sich ein Gefühl von Entspannung einstellt, hat die Regierung Paris und den Nordosten zur "roten Zone" erklärt. Der Rest des Landes ist grün. In der roten Hälfte bleiben Parks und öffentliche Plätze geschlossen, die Krankenhäuser arbeiten weiter am Rand zur Überlastung. In der grünen Hälfte gilt die Virusausbreitung als eingedämmt, und die Bürgermeister fordern, dass die Strände öffnen dürfen. Für grüne und rote Zone gilt jedoch gleichermaßen der medizinische Notstand. Parlament und Senat haben sich darauf geeinigt, ihn zunächst bis zum 10. Juli zu verlängern.

Der Übergang von der Ausgangssperre zu einem leicht erweiterten Bewegungsradius bleibt nicht ohne Schwierigkeiten. Nachdem die Regierung nun doch das Tragen von Masken empfiehlt, hakt es bei der Beschaffung. In einem ärmeren Wohnquartier im Norden von Paris musste die Polizei eine Menschenansammlung auflösen, die entstanden war, als Gratismasken verteilt wurden. Seit Beginn der Krise ist der Preis medizinischer Einwegmasken rasant gestiegen; die Regierung hat ihn nun auf 95 Cent begrenzt.

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