Süddeutsche Zeitung

Frankreich:Hohe Maut, leere Straßen

Welche Erfahrungen das Nachbarland mit der Privatisierung des Autobahnnetzes gemacht hat.

Von Michael Kläsgen

"Nimm nicht die Auffahrt in Sanary, sondern die in Bandol. Dann zahlst du keine Gebühr." Solche Hinweise gibt man sich gerne in Frankreich. Die Autobahngebühren sind in dem Land eben immer noch Gesprächsstoff. Man muss dazu wissen: Beide Orte, Bandol und Sanary, grenzen aneinander. Trotzdem fällt in dem einen Autobahngebühr an, im anderen aber nicht. Warum, das erschließt sich kaum. Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass seit der Privatisierung der Autobahnen 1970 einige Firmen sehr gut daran verdienen - was auch stimmt: Die Renditen der Konzessionäre liegen nach Angaben der französischen Wettbewerbsbehörde bei mehr als 20 Prozent. Dafür sind die Autobahnen in gutem Zustand und die Rastplätze gepflegt. Allerdings hat die Maut einen zusätzlichen Preis: Es entstehen Vermeidungsstrategien. Viele fahren eben einen Umweg, wenn sie die Zeit dafür haben. Man will das Geld ja nicht zum Autofenster hinauswerfen. Die Folge: Zufahrtstraßen wie die zur mautfreien Auffahrt in Bandol sind oft ziemlich voll, die Autobahn selbst hingegen leer. So ist es meistens in Frankreich, wenn nicht gerade Schulferien sind.

Sonst gilt, theoretisch zumindest: Freie Fahrt bei 130 Kilometern pro Stunde, dem Tempolimit, - auch, weil viele Lastwagen auf Nebenstraßen ausweichen, um die Maut zu vermeiden. Das macht das Fahren auf der Autobahn angenehm. Wenn da nicht vor allem im Süden alle paar Kilometer eine Mautstation auftauchen würde, die den Fahrfluss jäh unterbricht. Manchmal sind zudem weniger Mauthäuschen geöffnet, als nötig wären, damit der Verkehr weiter fließen könnte. Dann bilden sich trotz leerer Autobahn mitunter kilometerlange Rückstaus. Die Unfallgefahr erhöht sich enorm. Darüber gibt es zwar keine belastbaren Untersuchungen. Dass die Betreiber die Gefahr erkannt haben, zeigt sich aber daran, dass sie mit Schildern und Blinklichtern vor der Unfallgefahr warnen.

Spätestens, wenn man in so einem Rückstau steht, drängt sich die Frage auf, warum Frankreich mit den hohen Einnahmen nicht schon längst ein intelligenteres und zeitgemäßes Mautsystem entwickelt hat. Nur die wenigsten Fahrer haben einen elektronischen Empfänger an der Windschutzscheibe befestigt, mit dem man sich die Maut vollautomatisch vom Konto abbuchen lassen kann. An diesen mit Télépéage markierten Stationen fließt der Verkehr meist, wie man sich das wünscht. Alle anderen Fahrer reihen sich ein, kramen die Karten oder Münzen hervor und zahlen Beträge wie 1,80 Euro, 2,40 Euro oder 12,30 Euro. Manche Urlauber lassen ihre Kinder die Münzen in die Plastikkörbe werfen.

Wie sich die krummen Preise berechnen und warum manche Abschnitte mautfrei sind, darüber gibt es keinerlei Auskunft. Zur Willkür gesellt sich so noch die Intransparenz, die sich wesentlich leichter ertragen ließe, wenn man nicht für Kleinbeträge alle paar Kilometer anhalten müsste.

Für die Betreiber wird die Maut derweil zu einem noch lukrativeren Geschäft. Die Konzessionsgesellschaften, allesamt große Baukonzerne, haben trotz der hohen Renditen mit der Regierung bereits jährliche Preiserhöhungen bis 2023 festgelegt. Die Regierung gab das nur kleinlaut bekannt. Sie weiß, wie heikel das Thema ist.

Laut einer Umfrage wollen 78 Prozent der Franzosen, dass ihre Autobahnen wieder staatlich werden.

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Quelle:
SZ vom 16.06.2016
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