Frankreich bekommt endlich ein reguläres Staatsbudget. Mit viel Verzug und nach reichlich Drama – im Februar erst, auch das hat es so noch nicht gegeben. Es ist ein Spar- und Kompromissbudget, mit dem keine der Parteien, die daran mitgeschrieben haben, glücklich ist. Je nach Neigung zur Emphase wird es als „dürftig“, „schlecht“, „hässlich“ oder „visionslos“ beschrieben, querbeet. Aber immerhin: Der Etat für 2025 ist da. Die Franzosen wissen jetzt, was sie erwartet. Es sind vor allem mehr Steuern.
Premierminister François Bayrou, der seit eineinhalb Monaten im Amt ist, hat diese erste Hürde genommen. Zwei Misstrauensanträge musste er dafür heil überstehen. Allein mit seinen festen Alliierten, den Zentristen und den Bürgerlichen, die seine Minderheitsregierung bilden, wäre das unmöglich gewesen: Zusammen bringen sie es nur auf etwa 215 Stimmen im Parlament. Für eine Mehrheit wären aber 289 nötig.
Für sein politisches Überleben benötigte er also die Zustimmung – oder eben in diesem Fall die stille Duldung – von mindestens einer großen Partei der Opposition: von den Sozialisten, mit denen er verhandelt hatte, oder vom extrem rechten Rassemblement National von Marine Le Pen. Und da der Parti Socialiste sich dafür entschied, den Premier vor einem schnellen Sturz zu bewahren, ging dieser recht gelassen in die Abstimmungen im Parlament. Auch die Lepenisten waren fürs Erste nett zu Bayrou. Die Betonung liegt hier im Zusatz: fürs Erste. Bayrous Stand bleibt äußerst fragil.
Bald wollen die Sozialisten selbst einen Misstrauensantrag gegen Bayrou stellen
Die Sozialisten bleiben nämlich in der Opposition. Schon in den kommenden Tagen wollen sie selbst einen Misstrauensantrag stellen, in dem es um die „Werte“ der Republik geht. Bayrou hatte die Linke erschreckt, als er im Zusammenhang mit der Migration von einer „Überschwemmung“ sprach, französisch: submersion, wie das sonst nur die extreme Rechte tut. Viel Aussicht auf Erfolg hat dieser Antrag nicht. Doch es geht den Sozialisten ums Signal.
Fürs Budget aber wollten sie konstruktiv und vernünftig sein, weil Frankreich ja nicht ohne Budget sein könne, weil die Firmen Gewissheit benötigten für ihre Investitionen und allfälligen Einstellungen, die Bauern, die Vereinigungen, alle Bürger. Das zeigten auch die Umfragen: Das Sondergesetz, mit dem die Budgetlosigkeit überbrückt wurde, ließ keine Gestaltung zu. Für ihr Image als kompromissbereite Kraft nahmen die Sozialisten in Kauf, mit ihren Verbündeten aus der Linksallianz Nouveau Front Populaire zu brechen. Die Frage ist, ob sie damit das Bündnis nachhaltig gesprengt haben, oder ob das nur ein punktuelles Ausscheren war.
Nach Ansicht der Seniorpartnerin, der linksradikalen La France Insoumise, begingen die Sozialisten nichts weniger als Verrat. So jedenfalls sieht es ihr Chef, der immer laute Jean-Luc Mélenchon. Der wünscht sich nicht nur einen schnellen Sturz von Bayrou, sondern in der Folge gleich auch den Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron. Damit es schon bald Präsidentschaftswahlen gebe, also lange vor dem ordentlichen Ende von Macrons zweiter und letzter Amtszeit, 2027. Mélenchon ist besessen davon, Marine Le Pen auch. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass Macron freiwillig früher abtritt?
Frankreich steckt nicht nur in einer politischen Krise, sondern auch in einer finanziellen
Alle diese Dynamiken spielen jetzt mit, bei jedem Geschäft im Parlament. Das Budget des Staates ist natürlich ein wichtiger politischer Moment im Leben der Republik, vielleicht der wichtigste auf der Agenda. Nur, Frankreich steckt seit Macrons Auflösung des Parlaments im Sommer 2024 nicht nur in einer politischen Krise, sondern auch in einer finanziellen.
Der französische Staat ist so hoch verschuldet wie noch nie in der Geschichte. Mit dem neuen Etat soll das Defizit etwas begrenzt werden: Im vergangenen Jahr betrug es mehr als sechs Prozent des Bruttoinlandsprodukts, wo doch die Europäische Union eine Obergrenze von drei Prozent festlegt. In seiner Regierungserklärung versprach Bayrou, er werde den Fehlbetrag 2025 auf 5,4 Prozent drücken. Dafür sind 50 Milliarden Euro an Einsparungen und zusätzlichen Steuereinnahmen nötig. 30 Milliarden sollten von Kürzungen in den Ministerien kommen und 20 Milliarden aus Steuermitteln.
Nun, diese optimistische Ratio war schnell überholt. Zwar müssen etwa das Kultur- und das Landwirtschaftsministerium etwas sparen, aber viel ist es nicht. Einige bereits beschlossene Kürzungen, etwa die Streichung von 4000 Lehrerstellen, konnten die Sozialisten abwenden. Und so gibt es jetzt vor allem mehr Steuern.
Die größten 400 Unternehmen im Land müssen künftig 41,2 statt nur 20 Prozent Steuern bezahlen, allerdings nur einmal. Großverdiener werden ebenfalls höher besteuert: Mindestens 20 Prozent ihres Jahreseinkommens müssen Paare abgeben, die zusammen 500 000 Euro verdienen; für Singles liegt die Schwelle bei 250 000 Euro. Außerdem erhebt der Staat auf Flugtickets höhere Abgaben: Für ein Ticket in Economy für einen Flug in Frankreich oder Europa bezahlt man in Zukunft eine Taxe von 7,30 Euro. Bisher waren es 2,63 Euro.
Addiert man alle neuen Steuern, sollten etwa 27 Milliarden Euro herausschauen. Wie genau Bayrou so auf eine Korrektur von 50 Milliarden kommen will, ist schleierhaft. Doch ohne Kompromisse wäre er nun mal gestürzt, sofort, bei der ersten Hürde schon.