Frankreich:Fürbitte an den General

Frankreich: Historischer Ort: Frankreichs Präsident Macron vor einem Bildnis Charles de Gaulles in Colombey-les-Deux-Églises.

Historischer Ort: Frankreichs Präsident Macron vor einem Bildnis Charles de Gaulles in Colombey-les-Deux-Églises.

(Foto: Vincent Kessler/AFP)

Die Regierung befindet sich in einem jämmerlichen Zustand. Anstatt zu handeln, sucht Macron zum Geburtstag der Verfassung Beistand beim Schutz­heiligen der politischen Durchsetzungsfähigkeit: Charles de Gaulle.

Von Nadia Pantel, Paris

In brenzligen Situationen verweist Emmanuel Macron gern auf das große Ganze. Die Franzosen regen sich über seinen prügelnden Mitarbeiter Alexandre Benalla auf? Der Präsident mahnt an, dass seine Reformen wichtiger seien als Fehler seines Personals. Am Donnerstag führte Monsieur le Président diese Strategie wieder in Perfektion vor.

Die Woche hatte jämmerlich begonnen für Macron. Gérard Collomb verließ seinen Posten als Innenminister, es war der dritte Rücktritt eines Mitglieds der Regierung seit Ende der Sommerpause. Während in Berlin alle Zeichen auf Streit stehen, dominiert in Paris das Wegducken. Macrons frühere Verbündete verabschieden sich, statt den Konflikt zu suchen. Und der Präsident feiert lieber den 60. Geburtstag der französischen Verfassung, statt in den Krisenmodus zu wechseln. Vive la République, lautet anscheinend die Devise, einen Innenminister finden wir später.

Der politische Schutzheilige in Sachen Durchsetzungsfähigkeit ist in Frankreich Charles de Gaulle. Und so pilgerte Macron am Donnerstag nach Colombey-les-Deux-Églises, in die kleine Gemeinde im Osten Frankreichs, in der 1970 General de Gaulle auf seinem Landsitz starb. Macron sieht sich gerne in einer Linie mit dem autoritären Gründervater der Fünften Republik, der dem Land zu neuem Selbstbewusstsein verhalf. Auf dem präsidialen Briefpapier wurde de Gaulle in diesem September zu einer Art Wappenfigur. Macron fügte dem offiziellen Emblem des Élysée-Palastes ein Lothringer Kreuz hinzu.

Doch auch mit neuem Wappen und vor dem großen Kreuz: Macron ist einfach nicht de Gaulle

Das Kreuz mit den zwei Querbalken war durch de Gaulle zum Symbol des französischen Widerstands gegen die deutschen Nationalsozialisten geworden. In Colombey-les-Deux-Églises konnte Macron es nicht nur auf Papier, sondern in Granit bewundern. Eine 44 Meter hohe Erinnerung an den Mann, der Frankreich eine Verfassung beschert hat, die darauf ausgerichtet ist, dass alle sich von einer Person repräsentiert fühlen: dem Präsidenten.

Doch auch mit neuem Wappen: Macron ist nicht de Gaulle. Denn am Ende nutzt er den großen Anlass wieder für kleine Sticheleien. Als sich Rentnerinnen bei ihm über finanzielle Einschnitte beklagen, rät er ihnen, sich "mehr anzustrengen". Immerhin sei es, so Macron, de Gaulles Motto gewesen, "sich nicht zu beschweren". Das ist ein Muster, an das sich die Franzosen gewöhnen mussten. Ihr Präsident geht auf Tuchfühlung mit dem Volk, Menschen beschweren sich, Macron erteilt Lektionen und danach tobt das Internet. Dabei wollte Macron das Verfassungsjubiläum eigentlich nutzen, um seine eigene Verfassungsreform neu anzuschieben. Dazu verglich der junge Präsident die Republik von 2018 mit der von 1958. Heute wie damals erlebe Frankreich eine tiefe Krise, den Institutionen mangele es an "Legitimität und Effizienz". Sprich: Heute wie damals brauche es einen entschlossenen Mann, der das Land erneuert.

Tatsächlich sind mangelnde Effizienz und mangelnder Rückhalt in der Bevölkerung brennende Probleme der Präsidentschaft. Der Mangel an Effizienz rührt daher, dass in den vergangenen Wochen die inhaltlichen Debatten von der Rücktrittswelle überschattet wurden. Der mangelnde Rückhalt erklärt sich damit, dass sich in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl die Stimmen relativ gleichmäßig auf die vier ersten Kandidaten verteilten. Macron führte mit nur 2,5 Prozentpunkten vor Marine Le Pen und mit jeweils vier Punkten vor dem konservativen François Fillon und dem linken Jean-Luc Mélenchon. Macron gewann zwar die Stichwahl, doch viele wählten ihn in erster Linie, um einen Sieg der rechtsradikalen Le Pen zu verhindern.

Von diesem stimmenmäßig schwachen Start ließ sich Macron jedoch nicht verunsichern. Seinen Wahlsieg feierte er spektakulär im Innenhof des Louvre. Er entschied sich von Anfang an dafür, die gesamte Machtfülle auszuschöpfen, die ihm die Verfassung zur Verfügung stellt.

Bei seinem Besuch in Colombey-les-Deux-Églises zeigte er sich nun erneut als Fan des Präsidialsystems: "Die Stärke der Verfassung liegt darin, dass sie es einem erlaubt voranzukommen." So vermeide man es, sich in den "alltäglichen Zwischenfällen" zu verlieren. Am Mittwoch hatte Macron den Rücktritt Collombs als "Zwischenfall" bezeichnet. Auf die Nachfrage von Journalisten, ob er glaube, dass der Präsident in Frankreich zu viel Macht habe, sagte Macron: "Ich glaube, dass diejenigen, die das meinen, einfach den Staat nicht mögen. Sie mögen nicht, dass etwas entschieden wird."

Sicher ist, dass Frankreichs Präsidenten seit den 1970er-Jahren immer unbeliebter werden. Dies mag an den Personen liegen, oder eben daran, dass vielen genau die Art, wie "etwas entschieden wird", nicht gefällt. Nach einem Jahr Amtszeit lesen sich die Zustimmungswerte französischer Präsidenten wie folgt: Charles de Gaulle 69 Prozent, Georges Pompidou 59 Prozent, Valéry Giscard d'Estaing 59 Prozent, François Mitterrand 57 Prozent, Jacques Chirac 42 Prozent, Nicolas Sarkozy 33 Prozent. In der neuesten Ifop-Umfrage liegt Macron mit 31 Prozent noch unter dem Negativrekord (32 Prozent) seines Vorgängers François Hollande.

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