Frankreich:Frankreich verletzt Stabilitätspakt

Macrons Versprechungen an die Gelbwesten kosten zehn Milliarden Euro.

Von Cerstin Gammelin, Alexander Mühlauer, Nadia Pantel, Berlin/Brüssel/Paris

EU-Gipfel in Brüssel

Mehr Schulden für weniger Proteste: Macron geht auf die Gelbwesten zu.

(Foto: Francisco Seco/dpa)

Der Preis der Zugeständnisse an die Protestbewegung der Gelbwesten liegt nun offiziell bei zehn Milliarden Euro. Dies sagte Frankreichs Premierminister Édouard Philippe in einem Gespräch mit dem Wirtschaftsblatt Les Echos, das am Sonntagabend veröffentlicht wurde. Vor einer Woche hatte Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache unter anderem eine Erhöhung des Mindestlohns und den Verzicht auf Steuererhöhungen bei Menschen mit niedriger Rente angekündigt. Er reagierte auf die Proteste der Gilets jaunes, die sich gegen hohe Lebenshaltungskosten richten.

Die angekündigten Ausgaben schlagen sich direkt im Haushalt 2019 nieder. Statt mit der ursprünglich geplanten Neuverschuldung von 2,8 Prozent rechnet die Regierung nun mit einer Neuverschuldung von 3,2 Prozent. Frankreich überschreitet somit die Maastricht-Stabilitätsgrenze, an die sich Macron halten wollte. Philippe kündigte jedoch an, dass die steigenden Sozialausgaben nicht allein über Neuverschuldung finanziert werden sollen, durch Kürzungen im Budget würden an anderen Stellen vier Milliarden Euro eingespart.

Aus Brüssel hat die französische Regierung keinen großen Widerstand gegen ihre Verschuldungspläne zu befürchten. Die Europäische Kommission scheint die Zugeständnisse an die Gelbwesten-Bewegung tolerieren zu wollen. So hatte der französische EU-Kommissar Pierre Moscovici bereits vergangene Woche im französischen Senat gesagt, dass es laut EU-Regeln nicht verboten sei, die Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung "einmalig und begrenzt" zu überschreiten. Steige dieser Wert nicht über 3,5 Prozent und dauere er kein zweites Jahr an, werde nicht zwingend ein Defizitverfahren ausgelöst.

Die Erklärungen aus Brüssel kommen in Berlin ganz unterschiedlich an. Der Unions-Finanzobmann im Bundestag, Hans Michelbach (CSU), übte heftige Kritik. Er forderte die EU-Kommission am Montag auf, die französische Defizitausweitung "ohne falsche Rücksichtnahme" zu prüfen. Präsident Emmanuel Macron müsse die zusätzlichen Ausgaben durch Einsparungen an anderer Stelle kompensieren, sagte er. Michelbach widersprach zudem der Einschätzung der EU-Kommission, dass die wirtschaftliche Situation in Frankreich eine andere sei als in Italien.

In Brüssel wird darauf verwiesen, dass Frankreich - anders als etwa Italien - weiter wirtschaftspolitische Reformen vorantreiben wolle und damit das Wachstum stärke. Dieses Argument hält die italienische Regierung allerdings für unglaubwürdig. Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini forderte den französischen Kommissar auf, beide Länder gleich zu behandeln. Er sei es leid, dass beim Haushalt mit "zweierlei Maß" gemessen werde, sagte Salvini. Moscovici entgegnete, dass die Situationen beider Länder nicht vergleichbar seien. Anders als Frankreich verletze Italien bereits das dritte Jahr in Folge die europäischen Haushaltsregeln. Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts in München, sagte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Frankreich darf nicht anders behandelt werden als Italien."

Andere Ökonomen warnten vor "übertriebener Starrheit bei der Defizitanalyse". Sie sei "Wasser auf die Mühlen der Reformgegner", sagte Henrik Enderlein, Präsident der Hertie School in Berlin. Auch Kanzler Gerhard Schröder habe die Defizitkriterien nicht eingehalten, als die Agenda 2010 beschlossen wurde. "Es ist ökonomisch sinnvoll, angebotsseitige Reformen mit nachfrageseitigen Maßnahmen zu begleiten", sagt er. Die Europa-Expertin der Grünen im Bundestag, Franziska Brantner, forderte Macron auf, "sozial gerechte Steuern" zu erheben, um künftig die europäischen Schuldenregeln einhalten zu können.

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