François Fillon ist der lachende Dritte in diesem Machtkampf, und doch verkneift sich der 62-Jährige am Abend seines Sieges jede triumphierende Geste. "Seit Monaten gehe ich ruhig und ernst meinen Weg", sagt der Mann, der gute Chancen hat, sich als Kandidat der Konservativen durchzusetzen und im kommenden Frühjahr Frankreichs Präsident zu werden. "Niemand, der verloren hat, soll sich gedemütigt fühlen. Wir werden jeden Einzelnen brauchen."
Der Außenseiter Fillon hat bei der Vorwahl, mit der das bürgerlich-konservative Lager ihren Präsidentschaftskandidaten bestimmt, nicht nur Ex-Präsident Sarkozy aus dem Rennen geworfen. Völlig unerwartet ließ er mit 44,1 Prozent der Stimmen auch den bisherigen Favoriten Alain Juppé (28,6 Prozent) deutlich hinter sich. Das dürfte ihn selbst am meisten überraschen. Seit Fillon vor mehr als zwei Jahren als Erster ins Vorwahl-Rennen gestartet ist, waren seine Umfragewerte bescheiden bis unterirdisch. Erst in den vergangenen Tagen hat er aufgeholt, auch im dritten TV-Duell mit allen sieben Kandidaten konnte er offenbar Boden gutmachen.
Woher die plötzliche Beliebtheit von "Mister Nobody"?
Ein wenig Genugtuung könnte man François Fillon nicht verdenken angesichts der Fehlschläge und des Spotts, die er in seiner Politikerkarriere - seit 1993 hatte er sechs verschiedene Ministerämter inne - einstecken musste. Immer wieder schloss er wenig gewinnbringende Allianzen oder wurde in letzter Minute abserviert. Als Premierminister von 2007 bis 2012 hat ihn Präsident Sarkozy öffentlich als "seinen Mitarbeiter" bezeichnet und auch sonst regelmäßig untergebuttert. Danach scheiterte Fillon beim Versuch Parteichef zu werden. Selbst Parteifreunde nannten ihn "Mister Nobody" und attestierten ihm den "Charme einer Auster".
Woher kommt also seine plötzliche Beliebtheit? Abgesehen davon, dass sich die Meinungsforscher schwer mit ihren Prognosen bei dieser allerersten Vorwahl taten, welche die Partei je abgehalten hat - Fillon profitierte sicherlich vom erbitterten Kampf der bisherigen Favoriten.
Außerdem verbindet er in seiner Person das, was viele Wähler an den beiden anderen Kandidaten schätzen: Er vertritt einen streng rechten - und islamkritischen - Kurs wie Sarkozy, tritt dabei aber so staatsmännisch auf wie Juppé. "Er ist ruhiger als Sarkozy, aber entschlossener als Juppé", schreibt die Tageszeitung Le Figaro und nennt ihn "Kandidat der Synthese". Zugutekommen dürfte ihm auch seine Rechtschaffenheit. Im Gegensatz zu den beiden anderen ist er weder vorbestraft noch steht ihm ein Prozess ins Haus. Es ist auch möglich, dass viele - vor allem linke - Wähler aus taktischen Gründen für ihn gestimmt haben, weil sie Juppés Sieg für sicher hielten und Sarkozy verhindern wollten.
Fillon vertritt das wirtschaftlich liberalste Programm aller Vorwahlkandidaten, gerne zitiert er Margaret Thatcher. Er möchte im öffentlichen Dienst 500 000 Stellen streichen, die 35-Stunden-Woche abschaffen und den Kündigungsschutz lockern - Reformideen, die in Frankreich oft großflächige Streiks auslösen. Er gilt als EU-Kritiker und Freund Russlands, gesellschaftlich hat er streng konservative Vorstellungen. Zuletzt hat Fillon ein Buch gegen den "islamischen Totalitarismus" geschrieben, er will das Gesetz zur Homo-Ehe ändern. Ein Großteil seiner Stimmen dürfte Fillon von katholischen Konservativen vom Land bekommen haben.
Mit Sarkozy hat auch der Populismus verloren
In die Stichwahl kommenden Sonntag geht er angesichts seines großen Vorsprungs als Favorit. Außerdem haben sich Sarkozy und fast alle anderen unterlegenen Konkurrenten für ihn ausgesprochen. Wird Fillon tatsächlich Kandidat der Konservativen, könnte er bei der Stichwahl im Mai auf Marine Le Pen treffen, die Chefin des rechtsextremen Front National (FN). Mit seinem nationalkonservativen Kurs wäre Fillon sicher keiner einfacher Gegner für sie. Andererseits dürfte sich Fillon schwerer tun als der versöhnende Juppé, auch Stimmen linker Wähler zu bekommen.
Dass die Konservativen sich bei ihrer Kandidatensuche auf das Wagnis einer offenen Vorwahl eingelassen haben, liegt an der verfahrenen Situation innerhalb eines Lagers, das sich seit dem Machtverlust 2012 bis aufs Blut zerstritten hat. Nach der Umbenennung von UMP in "Les Républicains" sollte die Vorwahl ein weiteres Zeichen der Erneuerung sein - und nebenbei die Kräfteverhältnisse klären. Jeder Franzose, der zwei Euro Gebühr zahlt und unterschreibt, dass er konservative Werte teilt, darf abstimmen. Mehr als vier Millionen nahmen am Sonntag an der ersten Runde teil, das ist fast jeder zehnte Wahlberechtigte.
Bitter ist das Ergebnis der ersten Runde für Nicolas Sarkozy. Bei einer parteiinternen Abstimmung der Republikaner hätte der Ex-Präsident wohl das Rennen gemacht. Nun wird er sich endgültig aus der Politik zurückziehen. Viele Franzosen sind erleichtert, dass Sarkozy ausgeschieden ist: Mit der Niederlage eines Mannes, der immer wieder am rechten Rand gezündelt hat, hat bei dieser Wahl auch der Populismus verloren.